Gäbe es ihn noch, Roberto Blancos „Puppenspieler von Mexiko“, er wäre wohl – gerad’ nicht froh; und auch bei der Erinnerung an den Schlagerrefrain „Mexiko, Mexiko, Mexiko“ ahnen wir – Schwein, das hat man anderswo. Mit anderen Worten: Welchen Erkenntnisgewinn können wir aus der in Mexiko ausgebrochenen tödlichen „Schweinegrippe“ ziehen, die nun auch den alten Kontinent zu befallen droht?
Nach ersten wissenschaftlichen Erklärungen handelt es sich um eine Mutation des auch bei Schweinen vorkommenden H1N1-Virus. Schon seit Jahren hatten Wissenschaftler vor der globalen Ausbreitung eines neuen Erregers gewarnt, der genetisches Material von Mensch und Schwein vereint. Erfreut über die pandemische Botschaft dürften insbesondere islamistische Fundamentalisten sein, die seit je gegen den Verzehr von Schweinefleisch wettern.
So hatte unlängst der zur Ahmadiyya-Sekte gehörende Konvertit Hadayatullah Hübsch erklärt, daß Schweine „Neigungen zu einem ausschweifenden Sexualleben und Homosexualität“ besäßen, in einer Ausgabe der Zeitschrift Gegengift schließlich unterstellte er, daß Menschen, die Schwein essen, durch diesen inkorporativen Akt selber zu Schweinen würden.
Nicht von ungefähr kämen schließlich Schimpfworte wie „Schweinereien“ oder „schweinischer Charakter“. Seine moralischen Qualitäten als „schamloses und schmutziges Tier“, das „nicht davor zurückschreckt, das Fleisch seiner Artgenossen zu essen“, übertrage das Schwein letztlich auf den Menschen, der es ißt.
Indes ist die Medizin schon viel weiter. Bereits seit Jahren wird geforscht, das Schwein zum „Ersatzteillager“ des Menschen zu machen. Bis es soweit ist, werden noch Jahrzehnte ins Land gehen. Was aber passiert in dieser Zeit mit dem vielzitierten „Schweinesystem“ des Kapitalismus? Der nächste – und gleichsam ritualisierte – Angriff auf selbiges steht bereits vor der Tür.
Am 1. Mai werden in bestimmten Bezirken der deutschen Hauptstadt wieder bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen. Die Rate der inzwischen schon beinahe täglich in Flammen aufgehenden Autos wird noch einmal sprunghaft in die Höhe steigen. Für einen zivilgesellschaftlichen Aufschrei wird dies aber nicht reichen. Statt dessen wird auch dieser Tage wieder über die für Deutschland ubiquitäre Gefahr von Rechtsextremismus und Rassismus debattiert, der – so das nur zu bekannte Lamento – bis in die Mitte der Gesellschaft reiche. Wenn dem bloß so wäre!
Mir selbst erscheint diese Mitte sehr ominös. Denn die aus der linksextremistischen Szene verübten Brandanschläge genießen in der vermeintlichen Mitte der Gesellschaft eine geradezu unheimliche Sympathie. Mein Bekanntenkreis im Umfeld der Gethsemanekirche gibt da ein beredtes Zeugnis: Der Besitzer eines vielfrequentierten Lokals mit großem Mittelklassewagen etwa paßt exakt in die Zielgruppe jener Yuppies und „Gentrifizierungs“-Gewinner, deren Autos nur allzu schnell in Flammen aufgehen.
Angesprochen auf die Gefahr für sein Fahrzeug gibt er sich gelassen: Als „linker“ könne ihm sowas eigentlich nicht passieren. Vielleicht wären Autos auch das falsche Anschlagsziel, aber „wenn bei Schering was in Flammen aufgeht, das wäre schon ganz in Ordnung“. Desgleichen ein gut verdienender Techniker, der eine Kawasaki sein eigen nennt. Er flucht über die Gentrifizierung, und ist sich sicher, daß „BMW-Fahrer nicht die Falschen sein können“.
Eine vermeintliche Zivilgesellschaft sieht anders aus.
Das weiß auch Joachim Gauck. In seiner exzellenten Rede vor der Friedrich-Naumann-Stiftung am vergangenen Dienstag („Zwischen Furcht und Neigung – die Deutschen und die Freiheit“) beklagte er das Fehlen des Bürgers. An dessen Stelle seien die Konsumenten getreten, die „in selbstgewählter Ohnmacht“ leben, „ohne Diktator, aber mit Ketten, und manche sind aus Gold.“ Von dieser Gruppe aus der Mitte der Gesellschaft, so Gauck, gehe mehr Gefahr aus für die Freiheit als von Rechtsextremisten. – Was heißt das jetzt für die zitierten Zeitgenossen aus der Nachbarschaft? Wenn ihnen diesmal nichts abgefackelt wird, haben sie einfach noch mal „Schwein gehabt“.