In vielleicht vier Wochen beginnt die Schlammperiode in der Ukraine. Rasputiza nennen das Russen und Ukrainer: Wegelosigkeit. Panzer und Fahrzeuge versinken im Schlamm, schnelle Bewegungen sind kaum mehr möglich. Offenbar hatte Putin darauf spekuliert, die Front des Sommers ließe sich weitgehend halten, bis „General Schlamm“ das Regiment übernimmt. Doch haben ihm die ukrainischen Truppen einen Strich durch die Rechnung gemacht.
Mit ihren überraschend großen Geländegewinnen in der vergangenen Woche düpiert eine zahlenmäßig nach Soldaten, militärischem Gerät und Feuerkraft unterlegene Armee die Großmacht Rußland. Immer drastischer zeichnet sich das Bild eines militärischen Desasters ab, in das Putin sein Land und sein Volk manövriert hat.
Viele Militärexperten sind in den vergangenen Tagen stiller geworden. Geblendet vom „Buchwert“ der russischen Armee, hatte man der Ukraine keine Chance gegen ihren übermächtigen Feind zugetraut. Aber neben dem Einsatz moderner westlicher Waffensysteme, amerikanischer und britischer Aufklärung, zahlt sich offenbar eine seit 2014 veränderte Ausbildung aus.
Und das entscheidende: die Frage der Kampfmoral. Auf der einen Seite kämpft eine Nation um ihre Freiheit, existiert quer durch die politischen Lager und Bevölkerungsschichten ein erkennbarer Wille, sich nicht zu unterwerfen. Auf der anderen Seite kristallisiert sich das Bild einer katastrophal geführten, miserabel versorgten Armee heraus, deren Einsatzkräfte überwiegend dem nichteuropäischen Teil der Russischen Föderation entstammen. Von Woche zu Woche ist diesen Männern weniger zu vermitteln, was um Himmels willen sie zwischen Odessa und Charkiw zu suchen haben.
Putin setzt auf Zermürbung
Dies wird nicht zu einer Kurskorrektur der russischen Politik führen. Neben weiterer militärischer Eskalation setzt Putin darauf, die westliche Solidarität mit der Ukraine auf wirtschaftlicher Ebene zu zermürben. Schon jetzt ächzen hierzulande Mittelstand und Industrie unter der Last explodierender Energiekosten, wächst die Angst der Bürger vor Blackouts und unbezahlbarem Gas.
Deutschlands anhaltende politische und militärische Schwäche zeigt sich jetzt unerbittlich: Verhandlungsführer für mögliche Friedensvereinbarungen sind Amerikaner und Russen. Daß geopolitisch gegensätzliche Interessen in der Ukraine kulminieren, war lange bekannt. Es lag jedoch an Deutschlands Schwäche, daß unser Kontinent zur Manövriermasse der Flankenmächte wurde. All die frisch bekehrten Bellizisten in den Berliner Ministerien haben davon nichts verstanden. Dazu würde gehören, zu begreifen, daß auch die Nation eine Würde und Ehre hat und daß deren Bedeutung nicht im Opportunismus oder dem Abwägen materieller Vor- und Nachteile aufgeht.