Ein Mammut-Parteitag steht der AfD bevor. Das Adrenalin der jüngsten Landtagswahlkämpfe, die der Partei in drei Bundesländern Ergebnisse zwischen 12 und 25 Prozent bescherten, weicht allmählich aus den Adern. Die rund 2.500 Parteimitglieder, die am kommenden Wochenende in Stuttgart zusammenkommen, um der Partei endlich ein aussagekräftiges Parteiprogramm zu geben, dürfen sich durch ein telefonbuchstarkes, fast 1.500 Seiten zählendes Antragswerk kämpfen.
Nach dem Essener Parteitag im vorigen Jahr, bei dem sich die Partei eine neue Führung gegeben und sich die Gruppe um Bernd Lucke abgespalten hatte, geriet die AfD vorübergehend in eine demoskopische Flaute, sanken die Umfragewerte zeitweise unter fünf Prozent. Doch dann sorgte die CDU-Kanzlerin Merkel mit der symbolträchtigen Grenzöffnung im September und der im folgenden völlig außer Kontrolle geratenen Asylpolitik für neuen, enormen Rückenwind für die AfD. Immer deutlicher wird für die Wähler, daß der Kurs der Kanzlerin eben nicht alternativlos ist, wie sie gerne postuliert.
Wandel der öffentlichen Meinung
Die prall geblähten Segel der Partei können nicht darüber hinwegtäuschen, daß das Schiff gelegentlich stärker schlingert, Schlagseite zu bekommen droht, sich diverse Hände um das Steuerruder balgen und die Diskussion unter den Matrosen nicht verstummen will, welcher Kapitän den Kahn 2017 in den Bundestag steuern wird.
Die AfD und ihr phänomenaler Aufstieg stehen für einen Wandel der öffentlichen Meinung, eine veränderte politische Tektonik der Bundesrepublik, deren Folgen noch nicht abzusehen sind. Die intellektuelle Lufthoheit der Linken ist erschüttert, das Monopol der Union und der FDP auf Alleinvertretung des bürgerlichen Lagers ist Geschichte. Überall wechseln die Positionen, Personen die Lager, politische Grenzen verflüssigen sich.
Neuerwachte Macht des Souveräns – das Volk
Die Wähler erleben neu, welche Macht der Souverän, das Volk, an der Wahlurne hat: Ohne die hohen Umfragewerte für die FPÖ in Österreich, deren enorme Stärke sich bei der Bundespräsidentenwahl am vergangenen Sonntag manifestierte, wäre die Große Koalition in Wien nicht auf einen Kurs der Vernunft in der Asylpolitik eingeschwenkt. Und ohne die erdrutschartigen Zugewinne für die AfD dämmerte der Großen Koalition in Berlin nicht, daß mit dem Volk ein „Weiter so“ bei der Asylpolitik nicht zu machen ist.
Auf Dauer wird reines „Dagegen“ nicht reichen. Die AfD wird bei ihrem Programmparteitag zeigen müssen, wieviel realpolitische Vernunft in ihr steckt und wofür sie genau steht. Als Projektionsfläche für „Systemoppositionelle“ aller Art und Couleur ist die AfD auch genauso schnell wieder Geschichte, wie sie gekommen ist.
JF 18/16