Noch lange Zeit lag in den achtziger Jahren in meinem Portemonnaie neben Ausweis und Führerschein eine zerknitterte gelbe Eintrittskarte. Es war das Ticket für die CDU-Wahlkampfveranstaltung am 1. März 1983 im südbadischen Winzerdörfchen Auggen bei Freiburg im Breisgau. Der Redner: Franz Josef Strauß.
Ich war damals 15 Jahre alt, seit einem halben Jahr Mitglied in der Jungen Union, und „FJS“ war das schwerste Geschütz im Bundestagswahlkampf der Union. In der Studentenstadt Freiburg hätte ein Auftritt wegen der starken Hausbesetzerszene und linksradikalen Chaoten zu Straßenschlachten geführt, deshalb trat der bayerische Ministerpräsident in diesem Kaff auf.
8.000 Zuhörer waren gekommen und wollten ihn hören. Der Saal tobte, als Strauß sich endlich mit dreiviertelstündiger Verspätung zum Bayerischen Defiliermarsch durch die Menge schob. Seine Rede – ein Parforceritt durch den Schlamassel, den die Regierung Schmidt/Genscher dem Land hinterlassen hatte. Die Linken haßten Strauß. „Stoppt Strauß“-Aufkleber waren das „Must have“ für jeden braven Schüler, der seine „kritische Haltung“ demonstrieren wollte.
Abgeblasene „geistig moralischen Wende“
Strauß war lange die Inkarnation der CSU, die CSU Inkarnation der bayerischen Identität und Bayern – das muß ich als geborener Bayer unterstreichen – das wahre Preußen der Bundesrepublik. Hier gehen die Uhren eben oft immer noch anders, auch wenn der Rest des Landes schon verrückt spielt.
Doch ausgerechnet Strauß war es, der mit seinem überraschend an die DDR vermittelten Milliardenkredit nach dem Sieg bei der Bundestagswahl 1983 das Faß für viele Konservative zum Überlaufen brachte. Nach einer von Kanzler Kohl faktisch abgeblasenen „geistig moralischen Wende“ war die Aktion von Strauß das I-Tüpfelchen. Es kam zur Absplitterung der von ausgetretenen CSU-Bundestagsabgeordneten gegründeten Republikaner und einer dauerhaften Vakanz konservativer Politik in Deutschland. Die JF selbst ist übrigens Produkt dieser Entwicklung.
Ein Franz Josef Strauß fehlt heute schmerzlich
Ganz aktuell in der Asyl-Krise sind von etablierten Politikern in der Regel oft einzig aus der CSU realitätsnahe Stellungnahmen zu vernehmen. Die CSU ist die einzige Partei, die das Selbstverständnis als Volkspartei – die höchstmögliche Identität mit dem ganzen Volk – noch zu verkörpern versucht.
Die starke Polarisierung, die die alte Bundesrepublik in der Ära Strauß erlebte – Nato-Doppelbeschluß, Bau von Kernkraftwerken, Räumung besetzter Häuser, Abwehr kommunistischer Subversion –, ist einer Konsenssoße gewichen, bei der gesellschaftspolitische Unterschiede zwischen Grünen und der Union nur noch mit der Lupe zu finden sind. Es fehlen heute Politiker vom Kaliber eines Franz Josef Strauß, die Fraktur reden und in entscheidenden Fragen auch den offenen Dissens provozieren.
JF 37/15