Vor 70 Jahren stand Deutschland am Wendepunkt. Seit der Landung in der Normandie vom 6. Juni 1944 lief die Offensive der Alliierten im Westen. Im Osten überrannte die Rote Armee die Wehrmacht, die Heeresgruppe Mitte brach zusammen, Stalins Soldaten standen kurz vor der Reichsgrenze.
Als Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg am 20. Juli 1944 um 6 Uhr morgens seine Wohnung in der Tristanstraße in Berlin-Nikolassee verläßt, ist er entschlossen, an diesem Tag gegen Hitler loszuschlagen. In einer auf Befehl und Gehorsam gegründeten Armee, deren Soldaten einen Eid auf den „Führer und Reichskanzler“ schwören mußten, hatten sich zahlreiche Offiziere gemeinsam mit politischen Köpfen und Intellektuellen zusammengeschlossen, um das Joch der NS-Herrschaft abzuwerfen und Deutschland vor dem Untergang zu bewahren.
Ein kaum zu fassender Vorgang. Nach zahlreichen fehlgeschlagenen Versuchen Monate und Jahre zuvor sollte das Schicksal in höchster Not noch gewendet werden. Die mögliche Vergeblichkeit hatten die Widerstandskämpfer dabei vor Augen. Doch es ging um die Tat an sich als ein Zeichen an die Welt, wie aus dem Appell Henning von Tresckows an seinen Mitverschwörer Stauffenberg wenige Tage vor dem 20. Juli hervorgeht.
Selbstloser Einsatz für die Ehre des Vaterlands
Dieser selbstlose Einsatz für die Ehre des Vaterlandes ist für uns heute schwer begreiflich. Nicht alle, doch viele in der Opposition damals hatten sich bereits seit der Machtergreifung 1933 gegen das NS-Regime gewandt und nicht erst mit der Niederlage vor Augen. Eine große Zahl bezahlte dies mit dem Leben. Unter den Widerstandskämpfern waren erstaunlich viele Konservative, Christen, Soldaten.
Die Perspektive des einfachen Landsers war eine andere. Der Publizist Wolfgang Venohr, als 19jähriger Waffen-SS-Soldat an der Ostfront eingesetzt, schilderte in seinen Lebenserinnerungen („Die Abwehrschlacht“, JF Edition), wie er und seine Kameraden das Attentat als „Schweinerei“ kommentierten: „Die Truppe hat für den Putsch keinerlei Verständnis.“ Venohr näherte sich erst nach dem Krieg mühsam der Geschichte des militärischen Widerstandes und setzte Stauffenberg in mehreren Filmen und Büchern ein Denkmal.
Stauffenberg wußte um das Dilemma seines Handelns: „Derjenige, der etwas zu tun wagt, muß sich bewußt sein, daß er wohl als Verräter in die deutsche Geschichte eingehen wird. Unterläßt er jedoch die Tat, dann wird er ein Verräter an seinem Gewissen.“ Die Männer des 20. Juli gaben ein Beispiel für das Ethos des patriotischen Offiziers. Die Grenze des Gehorsams ist erreicht, wenn die Führung des Staates verbrecherisch handelt. Auch dank dieser Tat können wir Deutsche heute aufrecht gehen.
JF 30/14