Im September 2024 lag der Schlüsselzins im Euroraum noch bei 4,5 Prozent. Bis zum Juni 2025 hat ihn der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) auf 2,0 Prozent gesenkt. Die Finanzmärkte rätseln: Werden die Euro-Kreditkosten noch weiter verringert? Oder ist jetzt der Boden des Zinszyklus’ erreicht? Aus der EZB gibt es Stimmen, die die Erwartung für weitere Zinsreduktionen vertreiben wollen.
Doch das klingt wenig überzeugend mit Blick auf die Inflations- und Wachstumserwartungen, die die Zentralbankräte veröffentlicht haben. So beträgt die von ihnen für 2026 in Aussicht gestellte Inflation 1,6 Prozent – nach 2,0 Prozent in diesem Jahr. Vor allem geht man in Frankfurt auch davon aus, daß das Wirtschaftswachstum im Euroraum kümmerlich bleibt: 0,9 Prozent in diesem Jahr, 1,1 Prozent 2026 und vielleicht 2,0 Prozent 2027.
Schon ein EZB-Zins von zwei Prozent bremst die Eurozone
Und gerade die anhaltende Wachstumsschwäche im Euroraum treibt die Wahrscheinlichkeit, daß die EZB-Räte die Kreditkosten weiter absenken, beträchtlich in die Höhe. Denn die anhaltende Wachstumsschwäche ist katastrophal: Sie läßt die Staatsschuldenlast im Euroraum immer weiter anschwellen. Sie betrug Ende 2024 87,4 Prozent des Euroraum-Bruttoinlandsproduktes (BIP). Vor allem die großen Staaten ächzen unter ihren Krediten. So hat Italien eine öffentliche Schuldenlast von 135,3 Prozent des BIP, Frankreich von 113 Prozent, Spanien von knapp 102 Prozent. Deutschland liegt bei 62,5 Prozent – aber die Billionenverschuldung des Kabinetts Merz-Klingbeil wird die deutsche Schuldenquote Richtung 90 Prozent verschieben.
Und das bedeutet: Die Regierungspolitiker brauchen dringend niedrigere Zinsen, damit die schon jetzt überforderten Staatshaushalte die absehbar steigenden Zinskosten tragen können. Man bedenke nur einmal: Bei einem hypothetischen Zins von zwei Prozent beläuft sich die Zinslast der Euro-Staaten bereits auf 1,75 Prozent des BIP – und damit übersteigt sie das langfristige Wachstumspotential der Länder, das derzeit nur etwa 0,9 bis 1,3 Prozent pro Jahr beträgt.
Die Zentralbank schmeißt die Notenpressen an
Anders gesagt: Bei einem Zins von zwei Prozent geht mehr als das jährliche zusätzlich erwirtschaftete Einkommen für Zinszahlungen drauf. Auch wenn es kaum jemand sagen will: Im Euroraum herrscht „Fiskalische Dominanz“. Das heißt, die finanzielle Lage der Staatsfinanzen bestimmt mehr denn je, was die EZB-Räte geldpolitisch zu tun haben. Besonders besorgniserregend ist dabei, daß kein Ende in Sicht ist für die staatliche Schuldenmacherei.
Im Gegenteil. Das anhaltend niedrige Wirtschaftswachstum, das sich auch mit Zinssenkungen nicht steigern läßt, verbunden mit fortgesetzten Staatsdefiziten, ruiniert die Staatshaushalte. Steigende Ausgaben für Sozialtransfers, staatliche Kranken- und Pflegeversorgung, staatliche Renten- und Pensionszahlungen schießen in vielen Euro-Ländern in die Höhe. Und weil die politische Bereitschaft fehlt, Ausgaben zu kürzen, steigen die Staatsdefizite weiter an. Es wird kommen, wie es leider kommen muß: Die EZB schmeißt die elektronischen Notenpressen an, um die offenen Rechnungen mit neu geschaffenen Euro zu bezahlen. Auch wenn einige EZB-Räte signalisieren, sie wollen die Zinsen nicht weiter senken, ist das bestenfalls eine Pause, aber sicherlich nicht das Ende ihrer Politik der Zinssenkungen.
Prof. Dr. Thorsten Polleit ist Volkswirt und Herausgeber des „Boom & Bust Report“.