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Nach Rededuell in Tübingen: Palmers potemkin’scher Pluralismus

Nach Rededuell in Tübingen: Palmers potemkin’scher Pluralismus

Nach Rededuell in Tübingen: Palmers potemkin’scher Pluralismus

Tübingens OB Palmer trifft auf AfD-Landeschef Markus Frohnmaier: Duell auf Augenhöhe? Foto: IMAGO / Ulmer II
Tübingens OB Palmer trifft auf AfD-Landeschef Markus Frohnmaier: Duell auf Augenhöhe? Foto: IMAGO / Ulmer II
Tübingens OB Palmer trifft auf AfD-Landeschef Markus Frohnmaier: Duell auf Augenhöhe? Foto: IMAGO / Ulmer II
Nach Rededuell in Tübingen
 

Palmers potemkin’scher Pluralismus

In einer öffentlichen Diskussion wollte Tübingens OB Boris Palmer die AfD „stellen“. Ein Schritt auf dem Weg hin zu demokratischer Normalität – doch der Gestus, die Rechten hätten von Anfang an unrecht, entlarvt die Debatte als hohl. Ein Kommentar von Julian Theodor Islinger.
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Boris Palmer kann man für seinen Versuch, die öffentliche Debatte mit einem AfD-Funktionär zu suchen, durchaus Respekt zollen. Zumindest mehr als den Schreihälsen vor und in der Halle, die bis zuletzt lautstark darum bemüht waren (die JUNGE FREIHEIT berichtete), die vielbeachtete Podiumsdiskussion mit AfD-Funktionär Markus Frohnmaier (die JUNGE FREIHEIT berichtete) zu verhindern. Zuzurechnen ist ihm also, daß er zumindest den Fehdehandschuh aufgenommen hat. Gegen alle Widerstände, bis hin zu persönlichen Anfeindungen. Gerade in einer Zeit von eingeschränkter Meinungsfreiheit und grassierenden Verbotsdebatten ist das ein – entschuldigen Sie mir bitte diese altparteilich klingende Floskel – starkes Zeichen.

Streitbar ist Palmer ja. Das wissen die Tübinger und das weiß auch seine Ex-Partei, die Grünen, die ihn aufgrund seiner kontroversen Ansichten nur zu gerne losgeworden sind. Und streitbar war er auch in der Diskussion mit Frohnmaier. Fast verbissen offensiv versuchte sich Palmer an einer Attacke nach der nächsten, nur, daß ihm diese nicht wirklich gelingen wollten. Merklich geknickt zog er dann gestern ein umfangreiches Resümee auf Facebook: Die Debatte kannte weder Gewinner noch Verlierer.

Statistik wird bei Palmer zum Ringrichter

Natürlich ist Palmer ein wenig eitel, und so versuchte er nachträglich zumindest einige Punktsiege auf seinem Konto zu verbuchen. Auf seinen Social-Media-Kanälen meinte er ein wenig vorschnell, der AfD zumindest in puncto der Kriminalstatistiken das Wasser abgegraben zu haben. Palmer wörtlich: „Wenn man die Statistik aber ernst nimmt, und das tue ich, dann muß man nicht nur zugeben, daß Frohnmaier damit Recht hat“, daß Asylbewerber bestimmter Ethnien um ein Vielfaches krimineller als die alteingesessene Bevölkerung sind. Das gab er unumwunden zu, schob aber sofort nach, daß „Deutschland heute erheblich sicherer, als vor 25 Jahren“ sei. Gegenwärtig gebe es 20 Prozent weniger Tötungsdelikte als früher.

„Es stimmt beides“, belehrte der meinungsstarke Tübinger Oberbürgermeister auf Facebook. „Von den Asylbewerbern geht leider ein erhöhtes Risiko aus, aber Deutschland ist insgesamt sicherer geworden. Das sind unbequeme Wahrheiten, die links wie rechts nicht gern gehört werden.“ Die AfD sei in diesem Fall komplett entlarvt!

Kann die AfD überhaupt „gestellt“ werden?

Ja, gut, das ist natürlich ein sehr schlagkräftiges Argument gegen Abschiebungen und für mehr Zuwanderung. Das ergibt Sinn. In Wahrheit sagen diese Zahlen aber etwas anderes aus. Nämlich, daß die indigenen Deutschen in der Summe friedlicher, domestizierter und konfliktscheuer geworden sind. Man denke nur an die deutsche Zurückhaltung in der Dresdner Tram, wo ein US-Bürger den Einheimischen zeigen mußte, was Zivilcourage im Zeitalter der Überfremdung bedeutet. Es gibt auch keine deutschen Chikago- oder Nutella-Banden mehr. Das sind Bereiche, die heute in der Hand von anderen Akteuren liegen. Argumentativ kein Sieg nach Punkten.

Und das ist folglich der Tenor in der Presseberichterstattung: Palmer konnte die AfD nicht wirklich stellen. Womit wir beim Pudels Kern wären. Die Welt titelte beispielsweise leicht gefrustet, daß die AfD überhaupt nicht mehr gestellt werden könne. Das Zeitfenster dafür sei einfach vorbei. Der zerknirschte Artikel verdeutlicht das eigentliche Problem ganz gut: Die Erwartungshaltung von Medien und der AfD nicht gewogenen Beobachtern zeigt sehr deutlich deren verqueres Diskursverständnis auf. Wer eine Debatte nur führt, um den anderen zu stellen und nicht, weil Debatten generell wichtig sind, und auch Lehrhaftes bereithalten könnten, führt Debatten aus falschen, aus unehrlichen Gründen.

Wo Debatte zu einem Kampfinstrument verkommt

In dieser Erwartungshaltung des „Stellens“ verbirgt sich ja bereits eine arrogante Voreingenommenheit, die jede echte und ergebnisoffene Debatte erschwert. Die theoretische Möglichkeit, daß man am Ende ja die schlechteren Argumente haben könnte, wird unter dieser Prämisse gar nicht erst eingepreist.

Das Medium der Debatte verkommt in dieser Denke zum Instrument des Kampfes, zur Waffe. Auch deshalb konnte Palmer keinen Stich gegen Frohnmaier landen. Weil der Popanz nicht ernst gemeint war. Am Ende bleibt ein Theater, welches den Ausrichtern auf offener Bühne entglitten ist.

Tübingens OB Palmer trifft auf AfD-Landeschef Markus Frohnmaier: Duell auf Augenhöhe? Foto: IMAGO / Ulmer II
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