Es gibt Daten, die sich ins kollektive Gedächtnis einer Nation einbrennen. Der 9. November 1989 gehört für Deutschland dazu, ebenso der 11. September 2001. Und, auf seine eigene, schmerzhafte Weise: die Silvesternacht 2015/16 auf der Kölner Domplatte.
Bis dahin herrschte in großen Teilen des politischen und medialen Betriebs ein Ausnahmezustand euphorischer Selbstgewißheit. Die Bilder vom Münchner Hauptbahnhof, wo man ankommende Migranten mit Applaus, Teddybären und Transparenten begrüßte, galten als Beweis dafür, daß Deutschland sich neu erfunden hatte – als moralische Instanz in der Welt, als Land der offenen Arme. Das Merkelsche „Wir schaffen das“ vor zehn Jahren wurde zur säkularen Glaubensformel.
Zweifel oder Kritik galten als Sakrileg. Nein, sie gelten immer noch als solches, wie uns die Fairneß-Vereinbarung von Köln, nach der die Parteien jenseits der AfD auf das Thema Migration im Kommunalwahlkampf verzichten wollen, gruselnd belegt. Schon damals galt: Wer Skepsis anmeldet, mußte sich gefallen lassen, in die Nähe von Dunkeldeutschland, Pegida oder noch Schlimmerem gerückt zu werden.
Kölner Silvesternacht war Zäsur
Dann kam die Nacht vom 31. Dezember auf den 1. Januar. Plötzlich standen nicht mehr glückselige Selfies mit syrischen Familien im Mittelpunkt, sondern Hunderte Anzeigen wegen sexueller Übergriffe, Raub, Körperverletzung (JF berichtete). Plötzlich war von „nordafrikanischen Intensivtätern“ die Rede. Plötzlich mußte man sich eingestehen: Nicht jeder, der über die Grenze kam, war ein Arzt, Ingenieur oder der künftige Nachbar, der „uns geschenkt“ wurde.
Today bureaucracy isn’t the order of the day in #Munich.Instead it’s a warm #RefugeesWelcome. http://t.co/Tg5SRQMW7a pic.twitter.com/2JcV84ENxQ
— Lotte Leicht @lotteleicht.bsky.social (@LotteLeicht1) September 5, 2015
Und das eigentlich Bemerkenswerte: Nicht die Übergriffe selbst – so abscheulich sie waren – erschütterten die Republik, sondern der Umgang damit. Polizei und Politik reagierten erst zögerlich, dann beschwichtigend. Die Presse brauchte mehrere Tage, um die Dimension des Skandals beim Namen zu nennen. Und als es nicht mehr zu leugnen war, folgte die nächste Volte: Man solle die Ereignisse „nicht instrumentalisieren“. Übersetzt hieß das: Bitte keine falschen Schlüsse ziehen, bitte weiterträumen, bitte die Realität nur in homöopathischen Dosen zur Kenntnis nehmen.
Doch die Illusion war dahin. Köln markierte das Ende des Taumels, in dem ein ganzes Land seine Grenzen – geografisch wie geistig – aussetzte. Es war der Punkt, an dem die moralische Selbstverliebtheit mit der Wirklichkeit kollidierte. Ein Kater nach der Party der „Willkommenskultur“.
Politik muß Schutz gewährleisten
Natürlich versuchte man im Nachgang, den Diskurs wieder einzufangen. Von „strukturellem Sexismus“ war plötzlich die Rede, als wären die Übergriffe am Rhein lediglich eine Fortsetzung deutscher Herrenwitze mit anderen Mitteln. Doch es funktionierte nicht mehr. Der Lack war ab, die Risse waren sichtbar.
Die Silvesternacht von Köln bleibt ein Menetekel: Sie zeigt, was passiert, wenn man Realität verdrängt, weil sie nicht ins Wunschbild paßt. Und sie erinnert daran, daß Politik nicht im Verteilen von Teddybären besteht, sondern im Schutz der eigenen Bürger. Alles andere ist Folklore.
Umso bemerkenswerter ist nun die aktuelle „Fairneß-Vereinbarung“ von Kirchen und Parteien, denen sich sogar die CDU unterwirft. Migranten sollen nicht schuld sein an Problemen der inneren Sicherheit. Nach dem Domplatten-Effekt oder dem Attentat von Solingen muß man angesichts des gewollten Ignorierens von Problemen zehn Jahre nach dem großen, folgenreichen Zustrom kulturfremder Menschen wohl konstatieren: Hier ist nicht nur der Lack ab, hier wurde derselbe sogar gesoffen.