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Notlage oder nicht Notlage: Die Asylwende und ihre ständigen Wendungen

Notlage oder nicht Notlage: Die Asylwende und ihre ständigen Wendungen

Notlage oder nicht Notlage: Die Asylwende und ihre ständigen Wendungen

Eine Zurückweisung an der deutsch-französischen Grenze: Auch nach Dobrindts Asyl-Erlaß eine Seltenheit. (Themenbild)
Eine Zurückweisung an der deutsch-französischen Grenze: Auch nach Dobrindts Asyl-Erlaß eine Seltenheit. (Themenbild)
Eine Zurückweisung an der deutsch-französischen Grenze: Auch nach Dobrindts Asyl-Erlaß eine Seltenheit. Foto: IMAGO / onw-images
Notlage oder nicht Notlage
 

Die Asylwende und ihre ständigen Wendungen

Kommen sie nun oder kommen sie nicht? Ob Zurückweisungen an der Grenze stattfinden sollen oder nicht, scheint nicht einmal der neue Kanzler Merz zu wissen – ein fatales Signal. Ein Kommentar von Kurt Zach.
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War sie das schon, die „Asylwende“? Die erste Ansage aus der Regierung des eben gewählten Bundeskanzlers Friedrich Merz (CDU), die sein Wahlversprechen einer Richtungsänderung der chaotischen Migrationspolitik einlösen sollte, hat zunächst einmal reichlich Verwirrung gestiftet.

In der Umsetzung bleibt die Anweisung des neuen Bundesinnenministers Alexander Dobrindt (CSU), die Zurückweisungen an den Grenzen auch im Falle eines Asylersuchens ermöglichen soll, zumindest vorerst im Bereich der Symbolpolitik. Denn Merz steckt mitsamt seiner Ministerriege bis zum Hals in einer Asyl-Fallgrube, die er sich selbst gegraben hat und aus der er auch nicht herauskommt, ohne zugleich die innenpolitische „Brandmauer“ niederzureißen, mit der er sich in rot-grüne Geiselhaft begeben hat.

Spektakulär klingt es auf den ersten Blick schon, was Dobrindt bereits nach wenigen Tagen im Amt dem Bundespolizeipräsidenten Dieter Romann schrieb: Er nehme „die mündliche Weisung vom 13. September 2015“ zurück, das Asylgesetz werde wieder voll angewendet, dem zufolge Schutzsuchenden „bei der Einreise aus einem sicheren Mitgliedstaat die Einreise verweigert werden kann“.

Was fast zehn Jahre lang als unumstößliches Dogma galt, daß die Zurückweisung illegaler Migranten angeblich gegen alle geheiligten Prinzipien des deutschen und europäischen Rechts verstoße, beruhte also auf einer simplen, nicht mal schriftlichen Anweisung von Merkels damaligem Innenminister Thomas de Maizière (CDU), die, wenn auch mit gewaltiger Verspätung, auch wieder kassiert werden kann.

Bundespolizei kontrolliert nur stichprobenhaft die Grenzen

Die Tücke liegt im Detail, nämlich in dem von Dobrindt durch Unterstreichung hervorgehobenen Wörtchen „kann“, das seine Anweisung in die Beliebigkeit verschiebt. Denn das geltende Recht, das Dobrindt wieder angewandt wissen will, schreibt zwingend Zurückweisungen vor, wenn Migranten aus einem angrenzenden sicheren Staat einreisen, in dem ihr Asylbegehren geprüft und entschieden werden könnte – das sind sämtliche Nachbarn Deutschlands.

Darauf weist die Bundespolizei selbst hin und widerspricht insofern ihrem Dienstherrn. Staatsrechtler bestätigen, daß keine EU-Regelung der vollumfänglichen Anwendung des Asylgesetzes entgegensteht. Einige Juristen aus der Merkel-treuen Schule widersprechen. Europäische Nachbarn, daran gewöhnt, illegal in ihre Länder gelangte Migranten einfach nach Deutschland weiterzureichen, protestieren. Die Grünen zetern, der Koalitionspartner SPD grummelt, und der Hickhack beginnt.

Dobrindt verweist – wohl in der Hoffnung, SPD, Grüne und Asyllobby damit zu besänftigen – auf zahlreiche Ausnahmen von seiner Anordnung. Die Grenzkontrollen seien auch nicht als Dauereinrichtung gedacht, beschwichtigt Kanzleramtsminister Thorsten Frei (CDU). Nichts geschieht ohne Abstimmung mit den EU-Partnern, behauptet Merz. Der Kanzler habe sich auf eine „nationale Notlage“ nach Art. 72 EU-Arbeitsvertrag berufen, freut sich die Merz gewogene Welt zu früh; der Regierungssprecher dementiert umgehend, um die Sozialdemokraten zu beruhigen.

Das absehbare Ergebnis: Die Bundespolizei kontrolliert an den Grenzen, aber nur stichprobenhaft und jedenfalls nicht vollständig, trotz der Abstellung von dreitausend zusätzlichen Beamten. Die Bundespolizisten sprechen zwar Zurückweisungen aus, aber keineswegs ausnahmslos und bis dato kaum häufiger als zuvor im Rahmen der „verstärkten Kontrollen“ von Dobrindts Amtsvorgängerin Nancy Faeser (SPD).

An den Asylflut-Ursachen arbeitet Schwarz-Rot nicht

Nach einer Woche erregter Debatten fällt die Bilanz ernüchternd aus. Der als Coup inszenierte, verstolperte Bruch mit der migrationspolitischen Herrschaft des Unrechts der Merkeljahre bleibt Stückwerk. Dobrindts Anweisung bedeutet nicht einmal die Rückkehr zum Zustand vor dem Willkommensputsch, auch wenn CSU-Chef Markus Söder großsprecherisch das Gegenteil behauptet.

Das System der Dublin-III-Verordnung ist nach wie vor dysfunktional. Faktisch verdammt es Deutschland dazu, seine Nachbarn um Rücknahme illegal durchgewunkener Migranten anzubetteln und dabei sowohl an Obstruktion durch die Asylforderer selbst und ihre Helfer als auch an den eigenen Gerichten und am Unwillen der Durchreiseländer zu scheitern. Selbst wenn sie konsequent durchgeführt würden, wären Grenzschließung und Zurückweisungen nur der erste Schritt zu einer echten Migrationswende. Dafür müßten nicht nur die millionenfachen rechtswidrigen Zuzüge der letzten zehn Jahre durch umfassende Abschiebungen rückgängig gemacht werden.

Um die illegale Migration auf Null zu bringen und nicht nur unter irgendeine willkürliche „Obergrenze“ zu drücken, müßten zuerst und vor allem die Migrationsmagnete abgestellt werden, die Zuwanderer aus aller Welt in Scharen über die EU-Grenzen und in den deutschen Sozialstaat strömen lassen: „Bürgergeld“ und sozialstaatliche Vollversorgung, großzügige Aufenthaltsgewährungen und Blitzeinbürgerungen.  Das wäre zugleich die Voraussetzung, den Respekt der europäischen Partner zu gewinnen und deren Groll über die moralisierenden Alleingänge deutscher Regierungen zu mildern.

Aus einer Nicht-Notlage wird eine politische Notlage

Dobrindts Anweisung, die Hintertüren und Schlupflöcher so groß wie Scheunentore offenläßt, verfolgt zunächst vor allem einen Zweck: enttäuschte Wähler zurückgewinnen. Das sollte auch im Interesse der SPD sein, der die Wähler ebenfalls davonlaufen. In Großbritannien hat Premier Keir Starmer (Labour) einen schärferen Migrationskurs ausgerufen und die Politik der offenen Grenzen für gescheitert erklärt; bei den deutschen Sozialdemokraten ist nicht einmal der Ansatz eines Umdenkens zu erkennen.

Mit diesem Koalitionspartner gelingt der Union nicht einmal Symbolpolitik, geschweige denn die Migrationswende. Aussichtsreichere Regierungsoptionen versagt sie sich aus ideologischen Gründen. Merz, der sich weigert, die „nationale Notlage“ zu erklären, hat sich selbst in eine parteipolitische Notlage manövriert. Wenig spricht dafür, daß er daraus aus eigener Kraft herausfindet.

Aus der JF-Ausgabe 21/25.

Eine Zurückweisung an der deutsch-französischen Grenze: Auch nach Dobrindts Asyl-Erlaß eine Seltenheit. Foto: IMAGO / onw-images
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