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Gastbeitrag: Die Deutschlandstiftung Integration und das Theater der Empörung

Gastbeitrag: Die Deutschlandstiftung Integration und das Theater der Empörung

Gastbeitrag: Die Deutschlandstiftung Integration und das Theater der Empörung

Merz auf dem Treffen der Deutschlandstiftung Integration: Scharfe Kritik von Stipendiat. Foto: PIcture Alliance
Merz auf dem Treffen der Deutschlandstiftung Integration: Scharfe Kritik von Stipendiat. Foto: PIcture Alliance
Merz auf dem Treffen der Deutschlandstiftung Integration: Scharfe Kritik von Stipendiat. Foto: PIcture Alliance
Gastbeitrag
 

Die Deutschlandstiftung Integration und das Theater der Empörung

Es war der geplante Skandal: Als Bundeskanzler Friedrich Merz eine Rede bei der Deutschlandstiftung Integration hält, verlassen dutzende Teilnehmer medienwirksam den Saal, wegen dessen „Stadtbild“-Äußerung. In der JF schreibt der frühere Stipendiat Arian Aghashahi, was er davon hält – und äußert auch Kritik am CDU-Chef.
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Das Stadtbild der deutschen Gegenwart gleicht nicht mehr einem visuellen Phänomen, sondern einem politisch-moralischen Schlachtfeld, auf dem sich die letzten Bastionen einer noch nicht völlig aufgelösten Vernunft gegen die Heerscharen der Gefühlsdiktatur behaupten müssen. Am 19. November 2025 wurde dieses Szenario im Allianz Forum Berlin mit einer theatralischen Präzision inszeniert, die offenbarte, wie vollständig sich die Kulturtechniken der Empörung bereits in die Institutionen eingegraben haben.

Bundeskanzler Friedrich Merz, Schirmherr der Deutschlandstiftung Integration, betrat die Bühne zur Verleihung des Talisman-Preises für gesellschaftlichen Zusammenhalt, und rund dreißig Stipendiaten dieser Stiftung verließen demonstrativ den Saal. Sie trugen Sticker mit der Aufschrift „Wir sind das Stadtbild“ und arrangierten sich im Eingangsbereich für ein Gruppenfoto, eine in jeder Regisseurshinsicht perfekt choreographierte Geste des stummen Protests. Diese Geste verrät mehr über den gegenwärtigen Zustand der deutschen Integrationsarbeit, als hundert akademische Dissertationen es vermöchten.

Die Ironie dieser Konstellation ist von solch schmerzhafter Deutlichkeit, daß sie beinahe zur Komödie zu werden droht. Der Bundeskanzler, zugleich Schirmherr jener Institution, deren vorgebliches Existenzrecht die Förderung von Integration ist, wird von den Stipendiaten ebendieser Stiftung öffentlich düpiert. Er soll eine Festrede über gesellschaftlichen Zusammenhalt halten, doch die Protagonisten des Zusammenhalts demonstrieren nichts als Spaltung.

Er soll Vorbilder mit Migrationshintergrund ehren und ihre Leistungen würdigen, doch ebendiese Anwesenden verweigern ihm das Gehör, das Mindeste einer civilité, das Grundwerk menschlichen Zusammenseins. Was sich hier vollzog, war kein Protest im klassischen, politischen Sinne, sondern ein Symptom der fundamentalen Dysfunktionalität einer Institution, die mit bewundernswerter Konsequenz das exakte Gegenteil dessen praktiziert, was sie in ihrer Gründungsurkunde zu fördern vorgibt.

Die theatralische Inszenierung und ihre willigen Apologeten

Der Vorgang selbst entfaltete sich nach dem perfektionierten Drehbuch der zeitgenössischen Empörungsindustrie mit einer Akribie, die nicht von Dilettanten herrührt. Die Stipendiaten verließen nicht einfach, gleichsam beiläufig, den Saal; sie verließen ihn performativ, sichtbar, ausgestattet mit einer visuellen Botschaft, die für die sozialen Medien optimiert war, jene neuen Marktplätze der Selbstinszenierung. Sie kehrten nach Merz‘ gut zwanzigminütiger Rede zurück, eine Rückkehr, die das gesamte Anliegen als das offenbarte, was es war: nicht um Dialog, sondern um Demonstration; nicht um Diskurs, sondern um Show.

Der Applaus aus den üblichen Milieus ließ nicht auf sich warten. Luigi Pantisano von den Linken nannte die Demonstranten „mutige Menschen“, jenes Zauberwort, das heute alles Unüberlegte, Unreflektierte und Gefühlsgeschwollene zu sanktionieren vermag. Volt-Funktionär Sahak Ibrahimkhil feierte die Aktion als „angemessenen Umgang“ mit „Hetzern, Spaltern und Lügnern“, eine Rhetorik, die durch pure Wiederholung und Durchsetzungskraft gegenüber aller empirischen Überprüfbarkeit zu triumphieren sucht. Die Deutschlandstiftung Integration selbst distanzierte sich nicht etwa von dieser Unhöflichkeit, nicht etwa von dieser Verletzung elementarer Respekt- und Umgangsformen, sondern erklärte mit einer Heuchelei, die kaum noch zu überbieten ist, sie „respektiere die Entscheidung“ und stehe „für Dialog“. Welche Verachtung für die Sprache liegt darin, sie zu mißbrauchen, indem man das Gegenteil von Dialog als Dialog bezeichnet.

Hier manifestiert sich das zentrale Paradoxon dieser Epoche. Dialog bedeutet Sprechen, nicht Schweigen; Dialog bedeutet Zuhören, nicht Hinausgehen; Dialog bedeutet die Bereitschaft zur Auseinandersetzung, nicht deren demonstrative Verweigerung. Dialog ist eine Kunst der Zivilisation, die Voraussetzung einer offenen Gesellschaft. Was hier praktiziert wurde, war das exakte Negativ von Dialog.

Es war die Kultivierung der eigenen Opferrolle zu einer Kunstform erhoben; die Weigerung zur Differenzierung als Tugend maskiert; die demonstrative Selbstimmunisierung gegen jede ernsthafte inhaltliche Auseinandersetzung als politische Aktion inszeniert. Die Stipendiaten zeigten nicht Mut, sondern Flucht; nicht Stärke, sondern Fragilität; nicht Integration, sondern deren bewußte Ablehnung, ihre Negation, ihre Dissoziation. Sie offenbarten damit, daß sie verstanden haben, was die Stiftung ihnen wirklich beibringt: nicht den Aufstieg, sondern die Opferidentität; nicht die Teilhabe, sondern die Abgrenzung; nicht die Zukunft, sondern die ewige Reklamation der Vergangenheit.

Das Schweigen statt Sprechen als neue Integrationstheologie

Die Philosophie hinter dieser Geste offenbart sich in ihrer ganzen tragischen Tiefe, wenn man sie im Kontext der ursprünglichen Merz-Äußerung betrachtet. Am 14. Oktober hatte der Bundeskanzler in Potsdam gesagt, die Bundesregierung habe die Asylzahlen um 60 Prozent gesenkt, aber „wir haben natürlich immer im Stadtbild noch dieses Problem“. Eine Woche später konkretisierte er, gemeint seien Migranten ohne dauerhaften Aufenthaltsstatus, die nicht arbeiteten und sich nicht an die in Deutschland geltenden Regeln hielten. Diese Präzisierung, diese notwendige Differenzierung, wurde von der Empörungsmaschine hartnäckig ignoriert, denn sie hätte die Empörung selbst delegitimiert. Stattdessen wurde eine Kampagne losgetreten, orchestriert von jenen, die das Aussprechen des Offensichtlichen zum absoluten Tabu erklärt haben, zu jenem unaussprechlichen Namen, der nicht genannt werden darf.

Die Stipendiaten der Deutschlandstiftung Integration, viele von ihnen hochgebildet, in Deutschland aufgewachsen oder dort sozialisiert, längst integrale Teile des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens, konnten oder wollten nicht die elementare logische Operation vollziehen, sich selbst von einer generalisierten Kritik auszunehmen. Sie hätten sagen können: „Das trifft auf uns nicht zu, wir sind Teil dieser Gesellschaft.“ Stattdessen machten sie sich zu Vollstreckern ihrer eigenen Entfremdung.

Sie machten sich damit zu Repräsentanten jener selbstverschuldeten Unmündigkeit, von der Immanuel Kant vor 240 Jahren forderte, der Mensch müsse sich aus ihr befreien. Sie demonstrierten nicht gegen eine tatsächliche Ungerechtigkeit, sondern gegen die Zumutung, daß man zwischen verschiedenen Formen von Migration unterscheiden müsse; daß nicht alle Migranten gleich sind; daß Erfolg und Mißerfolg auf individuellen Entscheidungen beruhen und nicht auf gesellschaftlichen Verschwörungen. Sie zeigten nicht Solidarität mit jenen, die tatsächlich unter Diskriminierung leiden, sondern praktizierten eine identitätspolitische Scharade, ein Virtue Signaling auf Kosten ihrer eigenen Institution und ihrer eigenen Glaubwürdigkeit.

Die Selbstwidersprüchlichkeit einer Desintegrationsfabrik

Die Deutschlandstiftung Integration wurde 2008 vom Verband Deutscher Zeitschriftenverleger gegründet, in jenem Moment, als Deutschland unter Angela Merkel bereits den langsamen Weg in die Auflösung seiner selbst angetreten hatte, ohne es zu wissen oder wahrhaben zu wollen. Ihr Stipendienprogramm „Geh Deinen Weg“, 2012 ins Leben gerufen, hat über 2.500 junge Menschen mit Migrationshintergrund gefördert, oder besser gesagt: hat sie in ein System der Opferidentifikation eingespannt. Bundespräsident a. D. Christian Wulff, Vorsitzender des Stiftungsrats, formulierte bei der Jubiläumsveranstaltung 2018 die großen Worte von der Integration als „großer Herausforderung“ der Generation. Die Stiftung setze sich für „Chancengleichheit“ ein, für „Vernetzung“, für „gesellschaftlichen Zusammenhalt“. Es sind die schönen Worte einer Epoche, die nicht mehr an ihr eigenes Bestehen glaubte.

Die Stiftung operiert mit einem Integrationsverständnis, das zwischen Integration und Assimilation nicht mehr unterscheidet, ja die Unterscheidung selbst als problematisch, ja als „rassistisch“ empfindet. Integration bedeutet notwendig ein Mindestmaß an Anpassung; es bedeutet, die Sprache des Landes zu sprechen, wirklich zu sprechen, nicht als folkloristisches Accessoire, sondern als Werkzeug des Denkens und der Teilhabe; es bedeutet, die Grundwerte dieser Gesellschaft zu teilen, ihre rechtliche und kulturelle Ordnung zu akzeptieren, sich nicht nur faktisch, sondern existentiell als Teil ihrer Gesellschaft zu verstehen.

Die Stiftung fördert nicht Integration, sondern Differenz

Wer Integration fordert, fordert implizit auch Assimilation in jenen konstitutiven Bereichen, die das menschliche Zusammenleben überhaupt erst ermöglichen. Die Deutschlandstiftung Integration jedoch hat sich offenbar den Satz des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan zu eigen gemacht, wonach Assimilation ein „Verbrechen“ sei. Sie agiert nicht im Interesse des deutschen Volkes und seines Zusammenhalts, nicht im Interesse einer gelingenden Integration, sondern im Interesse jener identitätspolitischen Eliten, die Integration als existentielle Bedrohung ihrer Sonderstellung verstehen und sie daher bekämpfen, wo sie können.

Die Stiftung fördert nicht Integration, sondern Differenz; nicht Anpassung, sondern Identitätspolitik als Überlebensprinzip; nicht Dialog, sondern Demonstration als Kunstform; nicht Aufstieg, sondern die Externalisierung der Opferrolle. Sie ermutigt nicht zur ernsthaften Auseinandersetzung mit der Mehrheitsgesellschaft, sondern zur Abgrenzung von ihr; nicht zur Übernahme von Verantwortung, sondern zur ewigen Reklamation von Rechten. Sie produziert keine Integrationserfolge im klassischen Sinne, keine Menschen, die ihr Leben selbstverantwortlich gestalten, sondern Empörungsspezialisten, Professionelle der Opferverwaltung, Dienstleister in der Feindbildindustrie.

Die persönliche Anekdote als Augenöffnung

Ich selbst wurde am 1. Januar 2018 als Stipendiat in das Programm „Geh Deinen Weg“ der Deutschlandstiftung Integration aufgenommen. Ich war damals 21 Jahre alt, voller Hoffnungen, voller Energie für den Aufstieg. Im Kontext meines persönlichen Strebens war es opportun, Teil dieses Netzwerks zu werden; Zugang zu Mentoren, zu exklusiven Veranstaltungen, zum Siegel „Stipendiat der Deutschlandstiftung Integration“ im Lebenslauf zu erhalten. Es war alles sehr verlockend, sehr vielversprechend, sehr nach Zukunft riechend. Heute, sieben Jahre später, schäme ich mich dafür.

Ich schäme mich nicht für meine Herkunft, nicht für meine Biographie, nicht für den Weg, den ich gegangen bin. Ich schäme mich für die Assoziation mit einer Institution, die Integration im Namen führt, aber Dissoziation in der Praxis durchsetzt. Ich schäme mich dafür, Teil eines Programms gewesen zu sein, das nicht Aufstieg fördert, sondern Opferidentität; das nicht zur Überwindung der eigenen Grenzen ermutigt, sondern zur Kultivierung von Ressentiments; das nicht Brücken baut zwischen den Menschen, sondern Gräben vertieft zwischen den Welten. Die Deutschlandstiftung Integration ist kein Integrationsprojekt, sondern eine Desintegrationsfabrik; nicht eine Schule des Aufstiegs, sondern eine Akademie der Opferverwaltung; nicht ein Ort der Hoffnung, sondern ein Monument der Kapitulation.

Die Stiftung müßte, wollte sie ihrem Namen gerecht werden, Assimilation fördern in jenem tieferen, nicht-pejorativen Sinne. Sie müßte jungen Menschen mit Migrationshintergrund vermitteln, daß sie nicht Fremde in dieser Gesellschaft sind, sondern daß diese Gesellschaft ihre Gesellschaft ist, wenn sie sie sich nehmen; daß sie die Werte dieser Gesellschaft, ihre rechtliche Kultur, ihre Sprache teilen müssen, um nicht nur erfolgreich, sondern frei zu sein; daß Kritik an Migrationspolitik keine Kritik an ihrer Person, ihrer Würde, ihrem Menschsein ist; daß Differenzierung möglich, notwendig und bereichernd ist.

Stattdessen zementiert sie das Gegenteil. Sie wird weiter Stipendiaten fördern, die bei Integrationsveranstaltungen demonstrativ den Saal verlassen. Sie wird weiter Preise für gesellschaftlichen Zusammenhalt verleihen, während sie gesellschaftliche Spaltung in ihren eigenen Reihen praktiziert. Sie wird weiter behaupten, für Chancengleichheit zu stehen, während sie junge Menschen dazu erzieht, sich als permanente Opfer zu verstehen. Und Friedrich Merz wird weiter Schirmherr dieser Stiftung bleiben, weil ihm der Mut fehlt, die notwendigen Konsequenzen aus dem Offensichtlichen zu ziehen.

Das Monument einer gescheiterten Epoche

Die Deutschlandstiftung Integration ist das symbolische Artefakt einer Epoche, die sich selbst nicht mehr vertraut, die an ihre eigenen Werte nicht mehr glaubt, die ihre Traditionen nur noch als Unterdrückung sieht und daher bereit ist, alles zu opfern auf dem Altar einer imaginierten Gerechtigkeit. Sie ist ein Kind der Merkel-CDU, jener Partei, die unter der Führung von Angela Merkel die Konservativität zugunsten einer diffusen Progressivität aufgab und damit am Ende keine ideologische Heimat mehr hatte. Sie ist das Produkt einer Gesellschaft, die ihre Bürger mit Migrationshintergrund nicht als Deutsche behandelt, sondern als permanente Sonderfälle; nicht als Bürger mit Rechten und Pflichten, sondern als Objekte von Mitleid und Zuwendung; nicht als Subjekte ihres eigenen Lebens, sondern als Kollektive mit Spezialstatus.

Die künftige politische Aufgabe kann daher nur lauten: Die Finanzierung der Deutschlandstiftung Integration durch Steuermittel muß beendet werden. Eine Institution, die mit öffentlichen Geldern das Gegenteil von Integration praktiziert, die Desintegration systematisch zur Tugend erklärt, verdient keine öffentliche Unterstützung. Die nächste Bundesregierung, gleich welcher Farbe sie sein wird, muß den Mut aufbringen, sämtliche Mittel für diese Institution zu streichen.

Nicht aus Bosheit oder Ressentiment, sondern aus einer elementaren Pflicht gegenüber jenen Bürgern mit Migrationshintergrund, die Integration im klassischen, ehrenhaften Sinne verstehen; gegenüber jenen, die sich nicht als Opfer inszenieren, sondern als Gewinner dieser Gesellschaft; gegenüber einem Steuerzahler, der nicht für die Produktion von Empörungsspezialisten und Opferverwaltungsexperten bezahlen soll. Die Deutschlandstiftung Integration hat ihr Existenzrecht verspielt. Sie ist nicht nur gescheitert, sondern zu einem aktiven Hindernis der Integration geworden. Ihre Schließung wäre nicht das Ende von Integration, sondern ihr wirklicher Anfang.

Merz auf dem Treffen der Deutschlandstiftung Integration: Scharfe Kritik von Stipendiat. Foto: PIcture Alliance
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