„Jemand mußte Josef K. verleumdet haben…“ Es erinnert an den ersten Satz aus Franz Kafkas Roman „Der Prozeß“, was sich da zwischen der scheidenden Verfassungsministerin und der größten Oppositionspartei des Landes abspielt. Auf der Basis von Geheimgutachten wird ein Scherbengericht inszeniert, ein öffentlicher „Prozeß“ angestoßen, der keine Prozeßordnung kennt, auch weil er die „Angeklagten“ in völliger Unkenntnis darüber läßt, was ihnen im Einzelnen vorgeworfen wird. Ein politischer Lynchmob soll die medialen Marktplätze stürmen und außergerichtlich vollenden, was Nancy Faeser (SPD) trotz aller Macht ihres Amtes nicht gelungen ist: die Liquidierung des politischen Gegners.
Mit der von ihr jetzt veröffentlichten Einstufung der AfD als „gesichert rechtsextremistisch“ durch das ihr unterstellte Bundesamt für Verfassungsschutz hinterläßt Faeser in bewährter Antifa-Manier ihrem designierten Nachfolger Alexander Dobrindt (CSU) eine kapitale Stinkbombe auf dem Schreibtisch. Durch deren Schwaden wird sich Dobrindts Juristentruppe eine ganze Weile kämpfen müssen. Dabei sind die juristischen, sprich verfassungs- und parteienrechtlichen Aspekte Faesers Manöver gar nicht die unmittelbar folgenreichen. Auch wenn es postwendend Einspruch von namhaften Staats-und Verfassungsrechtlern gab. Die juristische Aufarbeitung – bis hin zu einem jetzt wieder im Raum stehenden Verbotsverfahren gegen die Blauen – dürfte ein Marathon werden, dessen Zeithorizont weit über den Termin der nächsten Bundestagswahl hinausreicht.
„Gefährdung der Demokratie kommt von innen“
Es sind die unmittelbar politischen Folgen von Faesers Abschiedsgruß, die – ganz offensichtlich so von ihr gewollt – jetzt für die Blauen ganz oben auf der Tagesordnung stehen. Und es war der renommierte Medienanwalt Joachim Steinhövel, der noch am Freitag den Bogen schlug von der formalrechtlichen zur politischen Dimension von Faesers Coup.
„Was da vorgefallen ist am letzten Amtstag von Nancy Faeser, ist meiner Ansicht nach ein Beleg dafür, daß die Gefährdung unserer Demokratie von innen kommt und Nancy Faeser gibt dieser Gefahr ein Gesicht“, sagte Steinhövel bei WELT TV. Ein Viertel der Wähler werde „durch ein faktisches Oppositionsverbot weggesperrt werden“, so Steinhövel weiter. Den Staat zu instrumentalisieren, „um den stärksten politischen Gegner auszuschalten“ habe für ihn „das Zeug zu einer Staatskrise“.
Wenn man es denn so nennen will, ist das seit Jahren – wie alle Umfragen zeigen – von Osten nach Westen kriechende Staatsmißtrauen bereits ein unübersehbares Zeichen einer solchen Krise. Brandenburgs Innenministerin Katrin Lange (SPD) zum Beispiel weiß sehr genau, daß für viele, wenn nicht die Mehrzahl der Wähler in ihrem Bundesland wie im gesamten Osten, der Verfassungsschutz längst den Geruch des Regierungsschutzes hat. Jedenfalls beeilte sie sich noch am Freitag zu versichern, daß „die heutige Entscheidung des Bundes zunächst keine unmittelbaren Auswirkungen“ auf die Einstufung der AfD in Brandenburg habe. Lange sagt das wohl wissend, daß viele im Osten auf den Nazi-Tourette-Lärm aus der Hauptstadt nur noch mit Achselzucken reagieren.
Faesers Hinterlassenschaft: Die nochmal erhöhte Brandmauer
Mit dieser regierungsamtlichen Selbstdelegitimation – vom „Verfassungsschutz“ bis zum Staatsversagen in der Migrations-, Infrastruktur- und Energiepolitik – ist die AfD bislang ganz gut gefahren. Nicht nur im Osten speist sich ihr Wählerreservoir – auch das zeigen alle Umfragen – zu einem großen Teil vor allem aus dem Überdruß am Versagen der „Altparteien“, und weniger aus dem Vertrauen in die Problemlösungskompetenz der AfD. Und die Versuchung mag – vor allem im Osten – groß sein, Faesers jüngste „Staatsschutz“-Kapriolen erneut als „Systemversagen“ zu markieren und mit systemoppositionellen Tönen weitere Widerstandspotenziale zu mobilisieren.
Damit aber würde man sich zum unfreiwilligen Vollstrecker von Faesers Kalkül machen. Denn so ungewiß die juristische Durchschlagskraft von Faeser vergiftetem Amtsnachlaß sein mag, ihr kurzfristiges Ziel ist klar: Die Brandmauer zur Union noch einmal ein paar Reihen höher zu mauern. Und damit der Union jeden Fluchtweg aus der Zwangsgemeinschaft mit der Sozialdemokratie zu versperren. Als letzten Dienst im Amt an ihrer SPD, deren Machtteilhabe einzig und allein auf Blockade der Mitte-Rechts-Mehrheit im Bundestag beruht.
Bei aller berechtigten Empörung: Diese allein bringt weder die AfD noch das Land wirklich weiter. Vielmehr ist es höchste Zeit für Angebote der AfD an die Union, die immer schwerer abzulehnen sind. Realistischerweise kann dies auf Sicht erst einmal vor allem in der Kommunal- und Landespolitik geschehen, dort wo abseits hochtrabender Programmatik bürgernah Sachfragen zu entscheiden sind. Und wo Christdemokraten sich nicht mehr nur hinter vorgehaltener Hand zuraunen: Lieber bald Schwarz-Blau, als später Blau-Schwarz. Wie jetzt in Wurzen (Sachsen), wo gerade AfD und CDU seit an seit eine dieser steuergeldfinanzierten „NGO“-Wärmestuben „gegen Rechts“ abgeschaltet haben.
Bewährungsprobe: Die AfD muß sich ehrlich machen
In diesem Zusammenhang ist es übrigens mehr als bedauerlich, daß die AfD dem Vernehmen nach die Neufassung ihres reichlich vorgestrigen Grundsatzprogramms erneut um Jahre verschoben hat – „aus Angst“, wie die Bild-Zeitung titelte. Wenn das stimmt, aus Angst wovor? Vor innerparteilichen Unvereinbarkeiten? Tatsächlich käme man bei der Arbeit an einem zeitgemäßen AfD-Grundsatzprogramm sehr schnell vom sächsischen Wurzen ans Horn von Afrika – und damit zu unbequemen Entscheidungen. Man müßte sich in der AfD nämlich darüber verständigen, wie die europäische Integration aussehen soll – als unabdingbare Voraussetzung für die gemeinsame Verteidigung lebenswichtiger Handelswege. Wenn das die US-Navy eines baldigen Tages nicht mehr für uns erledigt.
Bei den Angeboten an die Union – jenseits von Wurzen – wünschte man sich auch von der AfD zumindest ungefähre Vorstellungen, wie man der Bevölkerung Mehrarbeit, steigende Wehrbereitschaft und unvermeidlichen Wohlstandsverzicht angesichts der maroden Sozial- und Rentenkassen vermitteln könnte. Um nur ein weiteres Beispiel für programmatische Klärungen zu nennen, die auf dem Weg zu neuen Mehrheiten im Bundestag unbedingt notwendig sind. Kurzum: Ein innerparteilicher Prozeß, der Faesers außergerichtlichem nachhaltig Paroli bieten würde.