Nicht einmal einen Tag hielt das öffentliche Mitleid mit der italienischen Boxerin Angela Carini in Deutschland an. Schnell arbeiteten Medien wie der „Volksverpetzer“ an einem Narrativ, das die Empörung weg von der Tatsache lenkte, daß hier ein biologischer Mann gegen eine biologische Frau im Boxen antrat.
Plötzlich hieß es: Imane Khelif sei gar kein Mann. Selbst wenn er, was nicht bewiesen sei, über XY-Chromosomen verfügen würde. Als Intersex-Person sei Khelif lediglich eine Frau mit zu hohen Testosteronwerten. Daß Khelif, wie der ehemalige Läufer Caster Semenya, auch als Intersex-Person ein biologischer Mann mit denselben Vorteilen wie jeder andere Mann sein kann, wird dabei geflissentlich ignoriert.
Statt dessen übernehmen zahlreiche Medien, darunter selbst die Bild-Zeitung, die Erzählung des „Volksverpetzers“, die auf reinen Spekulationen und ideologischem Wunschdenken beruht. Nicht ein großes Medium in Deutschland brachte es fertig, zumindest einmal einen Gedanken des Zweifels zuzulassen. Dabei wäre dieser durchaus angebracht. Schon allein aufgrund der Tatsache, daß es ein Leichtes für Khelif und sein Team wäre, die Bedenken bezüglich seines Geschlechts auszuräumen. Warum nimmt jemand lieber weltweite Spekulationen und den damit einhergehenden öffentlichen Druck in Kauf, statt einfach für klare Verhältnisse für sorgen? Eine erlaubte Frage und vor allem eine, die sich jeder kritische Journalist stellen müßte, wenn das Hauptaugenmerk vieler Pressevertreter in Deutschland nicht mittlerweile darauf liegen würde, Ideologen zuzuarbeiten, statt Wahrheitsfindung zu betreiben.
Mediale Fehltritte: Vom Opfer zum Täter
Also steht das Narrativ der armen Frau, die aufgrund ihrer zu maskulinen Optik nun zu Unrecht als Mann bezeichnet wird. Es folgen rührselige Geschichten über die Kindheit Khelifs, der es als Mädchen im patriarchal geprägten Algerien so schwer gehabt hätte im Boxsport Fuß zu fassen. Ein Bild kursiert, auf dem er als Kind mit Kleid im Umfeld seiner Familie zu sehen ist, während ein anderes Foto, das ihn neben einer Boxerin mit Kopftuch zeigt, während er komischerweise keines tragen muß, in der öffentlichen Wahrnehmung ausgeblendet wird.
Die Welt bringt es gar fertig und bezeichnet in einer Überschrift nicht etwa die Tatsache, daß ein biologischer Mann gegen eine biologische Frau antritt als Eklat, sondern den verweigerten Handschlag Carinis gegenüber Khelif im Anschluß des Kampfes. Noch geschmackloser geht die österreichische Krone vor, indem das Blatt heute schreibt, daß sich das Aufgeben für die Italienerin im nachhinein doch ordentlich gelohnt hätte. Immerhin hätte der Internationale Boxverband Carini 100.000 Dollar Entschädigung gezahlt. Genau so viel, wie sie für Olympia-Gold erhalten hätte. Dann ist doch alles gar nicht so schlimm, oder?
Auch Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International schalten sich ein, um den Haß, der sich gegenüber Khelif im Netz ergießen würde, zu kritisieren. Was sie weniger interessiert: Der Haß und die Einschüchterungsversuche, mit denen sich Sportlerinnen konfrontiert sehen, die es wagen, ihre Stimme gegen diese Ungerechtigkeit im Frauensport zu erheben. Carini hat sich inzwischen öffentlich entschuldigt und ist zurückgerudert. Der Druck, der auf der Italienerin lastete, scheint zu groß gewesen zu sein. Die Bilder der aufgelösten Boxerin nach dem Kampf gegen Khelif bleiben jedoch.
Biologische Männer berauben Frauen ihrer Leistung
Auch die Ungarin Anna Luca Hamori, die am heutigen Samstag gegen Imane Khelif antreten muß, hat den Zorn der Toleranten zu spüren bekommen. Ihre Instagram-Stories verschwanden nach Morddrohungen und Beleidigungen ebenso wie die der ehemaligen Box-Weltmeisterin Regina Halmich, die sich ebenfalls kritisch äußerte. Es sind Frauen, die systematisch mundtot gemacht werden und das ausgerechnet von jenen, die vorgeben, sich für Demokratie und Toleranz einzusetzen. Sie haben, anders als Personen wie Khelif, keine Lobby mehr innerhalb westlicher Gesellschaften.
Dabei wäre es so wichtig, den Fokus darauf zu lenken, was diese angebliche Vielfaltsideologie für Frauen bedeutet. Was sie speziell für weibliche Athleten bedeutet und nicht immer nur für Trans- oder Intersex-Personen. Nicht den Fokus darauf zu lenken, wie hart es angeblich für Khelif gewesen sei, sich nach oben zu boxen, sondern darauf, daß nun irgendwo in Algerien eine Boxerin sitzt, die von einem biologischen Mann um ihr Olympiaticket beraubt wurde.
Aus Empörung wird Wut
Daß es immer und ausschließlich Frauen sind, die in diesem „Trans-Game“ das Nachsehen haben. Daß es nie auch nur einen Trans-Mann geben wird, der männlichen Athleten im Männersport einen Sieg wegschnappen und sie um ihre Chancen berauben wird.
Nein, nicht nur Männer müssen anfangen, mehr Mitleid mit Frauen zu haben als mit ihren Geschlechtsgenossen, die sich unglücklicherweise im falschen Körper fühlen oder eine geschlechtliche Anomalie aufweisen. Nein, vor allem Frauen müssen anfangen, mehr Mitleid mit Frauen zu haben. Sich solidarisch mit dem eigenen Geschlecht zu zeigen, statt mit Männern, die Frauen im Sport demütigen.
Denn aus Mitleid entwächst Empörung und aus Empörung Wut. Und die braucht es jetzt, damit jene, die uns seit Tagen ein X für ein U vormachen, dieses Mal nicht damit durchkommen.