Demokratie lebt von der Debatte. Die Bürger müssen darüber streiten, wie sie ihr Gemeinwesen gestalten wollen, und dürfen gleichermaßen kluge wie dumme Argumente ins Feld führen. Nicht selten kommt es vor, daß das dümmere Argument gewinnt.
Das ist bisweilen frustrierend. Aber der Demokrat schluckt seinen Ärger hinunter, auch wenn er sich im Besitz der absoluten Wahrheit wähnt. Vielleicht gelingt es beim nächsten Mal, die anderen zu überzeugen.
Emcke beklagt Pro-Contra-Formate
Wer weniger Gleichmut aufbringt, gerät bisweilen auf autoritäre Abwege. Ein aktuelles Beispiel dafür liefert ein Podiumsgespräch auf der großen linksgrünen Konferenz „re:publica“. Dort verstieg sich die bekannte Publizistin Carolin Emcke zu der Behauptung, nur Leute wie sie selbst oder ihre Gesprächspartnerin, die Klimaökonomin Claudia Kemfert, – im Klartext: nur Vertreter des eigenen politischen Lagers – seien zu einer „wirklichen Erörterung“ gesellschaftlich relevanter Fragen in der Lage.
„Eine systematische Zerstörung“ von vernünftigem Diskurs drohe hingegen durch sogenannte Pro-Contra-Formate. Also dadurch, daß auch andere Stimmen zu Wort kommen.
Häufig gibt es keine echte Debatte
So viel Ignoranz ist bemerkenswert. In der deutschen Öffentlichkeit herrscht seit Jahren bei fast allen zentralen Themen – Migration, Klima, Corona oder Ukraine – ein irritierender Gleichklang. Vertreter abweichender Positionen kommen entweder überhaupt nicht zu Wort oder werden im Format „Alle gegen einen“ als Schmuddelkinder markiert.
Ein Austausch auf Augenhöhe, eine echte Debatte? Häufig Fehlanzeige. Nur 40 Prozent der Deutschen glauben, ihre Meinung noch frei äußern zu können, ergab eine repräsentative Umfrage vor dem Jahreswechsel.
Ausschnitt aus der Podiumsdiskussion (32:00-35:58) Quelle: re:publica / YouTube
Emckes Sichtweise ist bizarr
Die Aufgabe von Intellektuellen wie Emcke, immerhin Friedenspreisträgerin des Deutschen Buchhandels, bestünde darin, diese Zustände anzuprangern. Stattdessen ist ihr der Korridor des öffentlich Sagbaren noch nicht eng genug. Eine bizarre Sicht auf die Dinge, die zweierlei offenbart.
Zum einen legen Emckes Aussagen einen Hang zur undemokratischen Bevormundung offen. Zum anderen ist es für Leute wie sie an der Zeit, endlich aus der eigenen Blase herauszukommen.
Aufhören, im eigenen Saft zu schmoren
Denn vom Publikum auf der re:publica, wo sich das Who’s who des linksgrünen Milieus trifft, erhielt sie für ihre Thesen nicht etwa entsetzte oder zumindest fragende Blicke, sondern begeisterten Applaus. Ihrer Gesprächspartnerin Kemfert kam sogar ein „Bravo“ über die Lippen.
Kurz zuvor hatte Emcke unfreiwillig das Stichwort für dieses unwürdige Schauspiel geliefert. Sie sprach von einer „Form von Selbstverdummung“, zu der die Pro-Contra-Formate führen würden. In Wahrheit ist das Gegenteil richtig: Selbstverdummung beginnt dort, wo man sich gegen andere Ansichten abriegeln will und nur noch im eigenen Saft schmort. Deshalb würde es nicht nur Carolin Emcke guttun, das eigene eindimensionale Weltbild zu erweitern.