Wohl keine Bundesregierung hat jemals so dreist und ungeniert ihre knappe parlamentarische Mehrheit als Freibrief mißbraucht, um sich den ganzen Staat unter den Nagel zu reißen, wie die grün-linke Koalition mit dem liberalen Beistellrädchen. Die im Eiltempo durch den Bundestag gedrückte Wahlrechtsreform ist eine rüde Machtdemonstration, die den überkommenen bundesrepublikanischen Konsens aufkündigt, Systemänderungen nur in breitem, lagerübergreifendem Einvernehmen vorzunehmen.
Den ursprünglichen, entgegen allen Berührungstabus übrigens von der AfD übernommenen Reformvorschlag – Streichung der Überhangmandate entsprechend der Reihenfolge der geringsten Erststimmenergebnisse und damit auch der Ausgleichsmandate, die den Bundestag bislang immer weiter aufgebläht hatten – wäre die Staatsrechtslehre, wenn auch mit Bauchschmerz bei der Güterabwägung, noch mitgegangen.
Rot-Grün-Gelb hat aber zur selektiven Benachteiligung parteipolitischer Widersacher zwei entscheidende Modifikationen eingefügt: die Erhöhung der Gesamtmandatszahl auf 630, die das Gewicht der gleichbleibenden Zahl der Direktmandate weiter verwässert und die Mandatsverluste vor allem der SPD in Grenzen halten soll; und die Streichung der Grundmandatsklausel, die für Parteien mit starker direktdemokratischer Legitimation in den Wahlkreisen das Fallbeil der Fünf-Prozent-Hürde außer Kraft setzt.
Eine rote Linie ist erkennbar
Greift diese, sollen künftig nicht nur die anteiligen Listenmandate entfallen, sondern auch alle direkt gewonnenen Mandate. Das zielt, neben der abgewirtschafteten Linkspartei, vor allem auf die CSU: Selbst wenn diese alle Direktmandate in Bayern gewönne, würden ihr diese sämtlich aberkannt, falls sie bundesweit unter fünf Prozent bliebe.
Hinter der offenen taktischen Häme über diese Perspektive wird als rote Linie erkennbar: Das Direktmandat wird zum bedeutungslosen Spielball entwertet aus Mißtrauen gegen den wählenden Bürger, dessen Einfluß auf die Zusammensetzung der Parlamente zugunsten der Parteienoligarchien weiter zurückgedrängt wird.
Die Grün-Roten und ihre gelben Helferlein verfolgen mit der Wahlrechtsänderung nach Mehrheitslage allerdings noch ein weitergehendes Ziel: die Zementierung linker Mehrheiten und linker Vorherrschaft unabhängig von wechselnden Stimmungen in Gesellschaft und Elektorat. Sie geben sich auch gar keine Mühe, das zu verbergen. Unmittelbar nach dem forcierten Parlamentsbeschluß hat die SPD-Bundestagspräsidentin Bärbel Bas in brutaler Offenheit deutlich gemacht, daß sie das unter dem Vorwand der Parlamentsverkleinerung Erreichte nur für einen Zwischenschritt auf dem Weg zur rot-grünen Hegemonie hält.
Wahlalter senken
Bas will ans Eingemachte: Das Wahlalter soll auf 16 Jahre gesenkt werden. Dazu soll unter dem Schlagwort „Parität“ die ohnehin eingeschränkte innerparteiliche Demokratie weiter ausgehebelt werden, indem die wechselweise Besetzung von Wahllisten nach dem eignungsunabhängigen Kriterium „Geschlecht“ festgeschrieben wird. Letzteres ist glatt verfassungswidrig, was grüne und rote Sozialisten beim Griff nach der Macht allerdings noch nie sonderlich gestört hat. Und ob das Bundesverfassungsgericht dieser oder auch der schon beschlossenen Wahlrechtsreform tatsächlich noch in den Arm fallen wird, ist angesichts der Entmannung und parteipolitischen Korrumpierung des Höchstgerichts mindestens zweifelhaft.
Die Senkung des Wahlalters wiederum verfolgt den durchsichtigen Zweck, die Wählerschaft per Federstrich um zusätzliche Links- und Grünwähler zu vermehren. Wer direkt von der Schulbank und der ideologischen Rot-Grün-Bestrahlung seiner durch die Institutionen marschierten Lehrer zur Wahlurne schreitet, wird mit noch höherer Wahrscheinlichkeit links stimmen als ein über 18jähriger Erstwähler.
Das Projekt, sich ein neues Stimmvolk zu wählen, verfolgt die Linkskoalition auch auf anderen Schauplätzen, etwa mit dem erleichterten Import samt beschleunigter Einbürgerung zusätzlicher migrantischer Klientel, dem sich SPD-Innenministerin Nancy Faeser und die grüne Außenministerin Annalena Baerbock mit großer Hingabe widmen.
So eklatant diese Transformation von Staatsvolk und Wahlsystem die überkommene Verfassung Deutschlands als demokratischer Nationalstaat der Deutschen aushöhlt und auf den Kopf stellt – sie ist nur ein Teilbereich der umfassenden Wandlung Deutschlands zu einem korporatistischen linksgrünen Stände- und Gesinnungsstaat.
Bei der Wahlrechtsreform wird es nicht bleiben
Kern dieser Transformation ist die Zerschlagung des ökonomisch selbständigen unternehmerischen Mittelstands und der bürgerlichen Mittelschicht durch Etablierung einer alles durchdringenden und bevormundenden „Klimaschutz“-Planwirtschaft. Auf die Zerstörung der gesicherten und bezahlbaren Energieversorgung und die Vernichtung der in Jahrhunderten gewachsenen Kultur- und Naturlandschaft durch großflächiges Überziehen mit Windindustrie- und Solaranlagen folgt die Enteignung von Hausbesitzern und Immobilieneigentümern durch unerfüllbare Sanierungszwänge und Heizungsverbote, während zugleich selbst die kleinsten Siedlungs- und Dorfgemeinschaften durch die oktroyierte Einquartierung von Migranten aus fremden Kulturkreisen zerschlagen werden.
Fiskalische Enteignung durch Inflation und ausufernde Schuldenwirtschaft zwingen immer größere Bevölkerungsteile in Abhängigkeit von staatlichen Transferleistungen, während die wachsende Staatsfinanzierung öffentlicher und privater Medien sowie die als Förderung der „Zivilgesellschaft“ deklarierte Verstetigung der Finanzierung konformer Lobbyisten, Propagandisten und Einflußorganisationen ein der demokratischen Kontrolle durch Wahlen und Parlamente entzogenes Parallelsystem gesellschaftlicher Machtausübung ausbaut.
Die Eile, die die „Fortschrittskoalition“ bei der Abkoppelung ihrer Macht vom Bürger- und Wählerwillen an den Tag legt, erklärt sich nicht zuletzt aus der wieder schwindenden Zustimmung in den Umfragen. Es sollte der Union zu denken geben, wie eiskalt sie beim Projekt Wahlrechtsreform als entbehrlich übergangen und ihr bayerischer Stimmengarant zum Abschuß freigegeben wurde. Daß große Teile der Merz-CDU offenbar immer noch glauben, Opposition bestehe darin, den grün-linken Machthabern mangelnden Eifer bei „Klimaschutz“ und Feminismus vorzuhalten, deutet allerdings eher darauf hin, daß der ehedem „bürgerliche“ Teil der politischen Landschaft den Schuß noch immer nicht gehört hat.