Ein einzelner, schwerer Tropfen ist noch kein Regen. Auch nicht ein zweiter oder dritter, wie uns Politik und Presse versichern. Aber irgendwann müssen wir erkennen, daß wir in einem Regen stehen, der an Stärke gewinnt. Der Zeitpunkt der Erkenntnis ist individuell. Der eine stößt sich an den Widersprüchen öffentlicher Verlautbarungen, der andere will nicht das Schweigen hinnehmen, mit denen persönliche Schicksalsschläge übergangen werden.
Von diesen gibt es viele. Für Franzosen ist es der Knabe, der vor zwei Wochen in seinem Heimatdorf Crépol von Eingewanderten ermordet wurde. Für Iren ist es die Frau in Dublin, die sich schützend vor ihre Kindergartengruppe stellte, als ein Algerier auf diese einstach. Was war Ihr Schicksalsmoment? Der Punkt, als Sie sich nicht mehr durch Floskeln, Phrasen und moralinsaures Geschwätz beruhigen ließen?
War es vielleicht der 3. Mai 2023, als ein Mann in eine evangelische Schule Berlins eindrang und auf zwei Mädchen einstach? Oder der 18. Oktober 2022, als ein liebeskranker Somalier, den die Freundin verlassen hatte, zwei Handwerker in Oggersheim niedermachte? Oder einer der vielen anderen Fälle, die mehr oder weniger zuverlässig in die Kriminalstatistik einfließen. Was haben Sie gespürt? War es Wut? Verzweiflung? Fühlten Sie sich ohnmächtig? Vereinzelt?
Genug Gründe auch in Deutschland
Ein einzelner Tropfen ist noch keine soziale Bewegung. Auch kein zweiter. Aber strömen die Massen in die Straßen, dann ist ihnen Aufmerksamkeit gewiß. Bezeichnend berichtet die Presse ausführlich von Ausschreitungen in Dublin, kaum aber von der Bluttat, die dem voranging. In diesem selektiven Öffnen und Schließen der Wahrnehmungskorridore besitzt die deutsche Medienlandschaft große Meisterschaft.
Legendär die „Hetzjagden in Chemnitz“, die zuerst nur in der Phantasie einiger existierten, dann aber, von einer gläubigen Presse zur Tatsache geadelt, schließlich zur Staatsräson ausgerufen wurden: „Solche Zusammenrottungen, Hetzjagden auf Menschen anderen Aussehens, anderer Herkunft, oder der Versuch, Haß auf den Straßen zu verbreiten, das nehmen wir nicht hin“, sagte die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel am 27. August 2018.
Wer denkt da schon an den Grund für die Trauermärsche: den Tod von Daniel H. auf einem Kirmesfest. Niedergestochen von einem Syrer und einem Iraker. Es heißt, Daniel sei eingeschritten, als eine Frau belästigt wurde. Warum diese Weigerung, die Tatsachen in ihrer Ganzheit zu benennen? Sind es skrupellose Funktionäre, die die Folgen ihrer rücksichtslosen Politik verschleiern wollen? Oder ist es mehr? Es existiert heute eher ein organisierter Haß auf das eigene.
Die Stimmung kippt woanders
Auch Irlands Justizministerin Helen McEntee bezeichnete die Menschen auf den Straßen als „Kriminelle, die Spaltung säen und Chaos verursachen wollen“. Daß eine Justizministerin einen gewalttätigen und plündernden Mob anklagt, der marodierend durch die Hauptstadt zieht, gehört selbstverständlich zu ihrer Aufgabe. Daß sie aber deren Forderung, wegen eines hier auf Kinder einstechenden Algeriers die Migrationspolitik auf der grünen Insel zu überdenken und gegebenenfalls die „Grenzen zu schließen“, wieder nur als „Spaltung der Gesellschaft“ denunziert, läßt ihre Klage schal erscheinen. Bis zu welchem Maß sollen denn Taten wie diese der Gesellschaft weiterhin als „Einzelfälle“ zugemutet werden?
Auch in den Niederlanden waren viele überrascht, daß vergangene Woche Geert Wilders bei der Parlamentswahl einen triumphalen Sieg einfahren und mit 37 gewonnenen Sitzen für seine Freiheitspartei PVV als stärkste Fraktion einziehen konnte. Dabei hätte es jedem klar sein können, daß der Irrweg der niederländischen Migrationspolitik mehrheitlich auch bei unseren Nachbarn als solcher wahrgenommen wird. Acht von zehn Teilnehmern einer Umfrage gaben dort kurz vor der Wahl an, sie wollten weniger Asylbewerber in einem Land, das bereits mit den herrschenden Parallelgesellschaften größte Schwierigkeiten hat.
Vielen war auch hier ein Einzelfall im Gedächtnis geblieben, an dem sich die kippenden Herrschaftsverhältnisse auf der Straße zeigten. Am hellichten Tag im Mai 2023 werden ein älterer Niederländer und sein Hund in Den Haag von drei jungen Migranten schikaniert, geschlagen und dabei gefilmt. Das Video verbreitete sich in den sozialen Netzen und sorgte parteiübergreifend für Entsetzen. Doch die hilflosen Vorschläge, wie der „Jugendgewalt“ wirkungsvoller entgegengetreten werden könnte – am besten mit noch mehr staatlicher Rundumbetreuung –,
verfingen nicht mehr. Geert Wilders brachiale Forderung, daß dieser „Abschaum das Land verlassen“ müsse, traf am ehesten den Nerv der von allen multikulturellen Verheißungen schon so lange Frustrierten.
Aufbegehren gegen verfehlte Migrationspolitik nötig
Daß die Gewalt zudem von Einwanderermilieus ausgeht, deren Menschenbild auf der Zugehörigkeit des einzelnen zu einer starken Sippe gehört, die klare Rollenvorstellungen der Geschlechter vorgibt, zeigt schroff den Gegensatz zu unserer offenen Gesellschaft, in deren Freiräumen sich eben auch eine „progressive“, „queer-feministische“ Buntheit ausleben kann. Deutlich zeigt sie die ganze Wehrlosigkeit der vereinzelten „Hier-schon-länger-Lebenden“, die noch nicht einmal ihre Probleme artikulieren dürfen. Welchen Status deutsche Männer und Frauen in diesen Milieus derzeit haben, gemessen an männlicher Stärke und weiblicher Keuschheit, kann sich jeder selbst ausrechnen.
Zugleich offenbart dieses Menschenbild aber auch Defizite in unseren Reihen. Denn unsere Gesellschaft hat den einzelnen als Individuum befreit und dadurch eine ungeheure Leistungsfähigkeit entfesselt, die sich gerade im scharfen Kontrast zu dem zeigt, was inzwischen mitten in unseren Städten lebt. Ihre Rückständigkeit, gepaart mit der scheinbar mühelosen Überwindung der Schutzmechanismen unserer Gesellschaft, der Unterlaufung unseres Rechtsstaates, sind eine Herausforderung an uns selbst. Wofür stehen wir ein, wofür kämpfen wir? Was ist der Inhalt unserer Freiheit?
Unsere europäischen Nachbarn sind in dieser Frage schon weiter. Aber auch bei uns muß endlich gegen diese Politik aufbegehrt werden. Ansonsten kauern wir weiter still im Regen und schauen zu, wie uns eine Errungenschaft unserer Individualität nach der anderen weggenommen wird.