Die Haltung von Sachsens Ministerpräsident Kretschmer zum Ukraine-Krieg bringt ihm höhnische Kritik gerade aus Westdeutschland ein. So offenbaren sich an diesem Themenkomplex innerdeutsche Konfliktlinien, die bis in den Kalten Krieg zurückreichen. Ein Kommentar von Thorsten Hinz.
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Nein, das ist KEIN Konflikt zwischen Ossis und Wessis, und schon gar nicht ist es eine grenzenlose Liebe zu den USA, welche die Wessis in wohl größerer Zahl zu der Einsicht bringt, das Putins Invasion in die Ukraine letztlich auch UNS bedroht.
Bei den Rechten jedenfalls ist das einfach nur der Gegensatz zwischen (außen)politischen Traumtänzern, die glauben, wir Deutschen könnten das putzige Putin-Bärchen an die Leine binden und gegen die USA ins Feld führen und jenen REALISTEN, die genau wissen, dass Putins Machtstreben, wenn man ihm nicht entgegentritt, Appetit auf mehr bekäme – wie bei jedem Despoten. Der außenpolitische Erfolge ja immer auch zur Stabilisierung seines Unterdrückungsregimes benutzt.
Wenn Oliver Kirchner, Chef der sachsen-anhaltischen AfD-Landtagsfraktion, behauptet „unsere Regierung ….. müssten nur Nord Stream 2 aufmachen und dann ist das Gas in voller Menge hier“, dann hat der nicht einmal geschnallt, dass die Russen schon Nordstream 1 nicht voll auslasten. Zwar bin auch ich (wie sogar Nikolaus Blome im Spiegel) für eine Eröffnung der 2. Pipeline. Aber dass die Russen dann die Hähne aufdrehen: Das glauben nur Naivlinge.
„Je kürzer die Raketen, desto toter die Deutschen“, war eine zentrale Erkenntnis Helmut Schmidts und Hans Dietrich Genschers in der Hoch- und Nachrüstungsdebatte Anfangs der 1980er Jahre. Sozialliberale Politiker begriffen, wie Thorsten Hinz richtig anmerkt, „dass die Bundesrepublik für die USA vor allem stets eine strategische Funktion darstellte: als Glacis, als Reservoir und als mögliche Kampfzone.“ Helmut Schmidt mit seinem untrüglichen, wohl noch aus seiner Zeit als Wehrmachtsoffizier herrührenden strategischen Gespür erfasste sehr genau, „daß der amerikanische Hegemon Deutschland im Bedarfsfall als atomares Gefechtsfeld nutzen würde“. Diese nüchterne, emotionslose Wahrnehmung unterschied ihn von führenden damaligen (und heutigen) Unionspolitikern, die den Westmächten sehr viel mehr Vertrauen entgegen brachten (und bringen) – vielleicht aus einer Vertrauensseligkeit heraus, die sich in jahrzehntelangen transatlantischen Gesprächskreisen entwickelt hatte? Schmidt war ja selber in gewissem Sinn ein Transatlantiker, aber ein kritisch abwägender Vertreter dieser Denkschule – und flexibel genug, alternative Modelle jederzeit mit zu erwägen.
Kretschmer geht von der falschen Vorstellung aus, daß Rußland von seinem Plan, seinen „Hinterhof“ mit allen Mitteln zurückzuerobern, abließe, wenn die Ukraine ihre südöstlichen Gebiete den Russen faktisch überließe. Das genau ist eine Illusion. Wer sich mit der Persönlichkeit Putins, wie sie in zahlreichen Verlautbarungen und Handlungen deutlich geworden ist, befaßt hat, kann nicht übersehen, daß er ein waschechter großrussischer Imperialist ist, der mit einem erreichten status quo ähnlich zufrieden sein wird wie seine Vorgänger, ob Zaren oder Bolschewisten, nämlich gar nicht. Das russische Expansionsstreben ist grenzenlos. Um das festzustellen, muß man sich nur einmal mit der Geschichte der deutsch-russischen Beziehungen von der Reichsgründung bis in unsere Tage auseinandersetzen. Für diese Schlußfolgerung muß man auch kein „Wessi“ sein oder die USA lieben. Die angloamerikanischen Flächenbombardements und die Entmündigung des deutschen Volkes sind unvergessen. Aber seit dem Kalten Krieg gab es eine Interessenüberschneidung, die zur Wiedervereinigung geführt hat und die heute dem russischen Aggressor in Mitteleuropa Grenzen setzt. Mitteleuropa aber ist unser genuines Anliegen.
“ … westliche Systemüberlegenheit und der Sieg im Kalten Krieg …“
Obwohl selber Wessi halte ich genau diese Sicht (Systemüberlegenheit und „Sieg“) für den Selbstbetrug des „Westens“ (eine der Lieblingsbeschäftigung des Menschen ist, sich selbst in die Tasche zu lügen), der den Marxisten das Goldene Schlupfloch aus dem marxistisch zu Grunde gerichteten Ostblock in den als nächtes zu Grunde zu richtenden „Westen“ öffnete.
Marxistische Planwirtschaft hat den Ostblock zugrunde gerichtet. Der Westen hat nichts getan außer immer mehr Raketen zu bauen. Eine freiheitliche Wirtschaft kann das, eine Planwirtschaft, die so tut als könnte sie da mithalten, geht daran kaputt.
Der Westen hat nichts getan, außer sich einzubilden, das sei alles wegen seiner „Überlegenheit“ geschehen.
Nix überlegen, schwach ist er, der Westen. M e n t a l schwach. Wo der Geist schwach ist, da rettet auch die Economy (Zitat Clinton) nichts mehr.
Der Westen ist heute voll drauf auf Marxismus.
Was den „Westen“ groß gemacht hat, ist der Geist der Freiheit. Der Westen, in Dekadenz, hat diesen Geist aufgegeben. Hat sich willig dem Geist geöffnet, der schon das Zaren-Imperium zu Grunde gerichtet hat.
Kretschmer zu loben empfinde ich als falsch, denn er ist lediglich ein Opportunist, der die Ansichten der in Sachsen gut vertretenen AfD (mit 25-28% Wählergunst) sukzessive übernommen hat. Mittlerweile gibt er nahezu alle Vorschläge der AfD als seine eigenen aus, was er natürlich verschweigt. Um mit seiner CDU nicht noch mehr Stimmen an die AfD zu verlieren. Kretschmer hat nach den letzten Landtagswahlen 2019 ohne Not neben der SPD die Grünen mit nur ca. 8% in seine Koalition geholt und damit den Wählerwillen der Sachsen missachtet. Aus den genannten Gründen wird er von vielen Sachsen zu Recht nicht respektiert.
Die desaströse Politik Merkels nach allen Seiten wird jetzt bestraft- sowohl von den USA als auch von Putins Russland. Ziehen wir Lehren daraus für die Zukunft. Kretschmer gehört zu denen, die das nicht begreifen wollen und wohl auch nicht können.
„Mit der Wiedervereinigung war Deutschland zum potentiellen Nukleus einer potentiellen europäischen Konkurrenz zur USA geworden.“
Im Verhältnis zu den USA war und ist Deutschland, ein machtloser Zwerg. Das wissen die USA sehr gut. Nur einige Ewiggestrige, Björn Höcke z. B., bilden sich ein, Deutschland könne sich zum europäischen Hegemon aufschwingen und dann gegen die USA anstinken. DAS war der Sinn des Antrags „Europa neu denken“ zum Riesaer AfD-Parteitag: Ein europäisches Militärbündnis schaffen, um die amerikanische Vormacht in der NATO zu brechen. (Wobei wohl nur aus taktischen Gründen nicht wieder ein NATO-Austritt gefordert wurde, wie in Stuttgart.)
HIER äußert sich der traditionelle „außenpolitische Realitätsverlust“ der deutschen Rechten: Man will keinen Europastaat, glaubt aber, die europäischen Zwergstaaten könnten (und wollten!) unter deutscher Hegemonie eine starke starkes Militärmacht auf die Beine stellen – und politisch gegen die USA in Stellung bringen.
[Auch ich will keine „EUdSSR“. Aber ich mache mir auch keine Illusionen a) über die mögliche „Stärke“ eines potentiellen europäischen Bündnisses und b) über das Misstrauen der anderen Europäer gegen uns.]
„ein kalter Konflikt allemal erträglicher ist als ein heißer“
Nachdem Russland einen Großteil der Ukraine erobert hat, ist die Forderung, den Krieg „einzufrieren“, objektiv eine Unterstützung des Aggressors Russland. Und ein Schlag ins Gesicht der ukrainischen Patrioten, die selbstverständlich die Besatzer aus den eroberten Landesteilen wieder herauswerfen wollen. Dagegen läuft ein „Einfrieren“ auf eine dauerhafte Erhaltung des Status quo hinaus – zum Nutzen von Russland und zum Schaden der Ukraine.
Daran ändert auch die Agitation gegen den bösen amerikanischen Hegemon nichts, der uns, wie der Text unterschwellig unterstellt, gegen Russland aufhetzt und uns zwingt, uns für die Ukraine und gegen Russland zu positionieren.
Dass es UNSER UREIGENES INTERESSE ist, Russland in seine Schranken zu weisen – das versteht man im Tal der Ahnungslosen wohl nicht. Kretschmer selber weiß das vielleicht sogar; aber er will ja keine Wahlen verlieren und plappert deshalb lieber den Patriotenverrätern der AfD nach. (Und dass sein Gerede keine praktischen Folgen haben wird, weiß er natürlich auch.)
Ein blindes Huhn findet eben auch mal ein Korn.
Kretschmer ist ein lupenreiner Wendehals ! Vor ein paar Wochen wollte er die „Karola-Leugner“ noch in Klapsmühlen einsperren lassen ! Jetzt wo alles unweigerlich den Bach runter geht, kommt er auf einmal mit der „Volksmeinung“. Der dreht sich schneller wie eine Fahne im Wind. Seinen Ausführungen ist nicht zu trauen. Denn was interessiert einen Pharisäer wie Kretschmer sein Gelaber von gestern ? Morgen will er wieder alle „Nasis“ einsperren lassen.
Sie müssen es nicht als Tyrannei empfinden – es ist Tyrannei!
„Er war deshalb – wie aus den Büchern Egon Bahrs und jetzt Klaus von Donanyis hervorgeht –entschlossen, bei drohender Kriegsgefahr Deutschland für neutral zu erklären.”
-> Das ist ja eine steile These. Die beiden Herren können später viel behaupten, aber daß H. Schmidt das so gesagt hat, bezweifle ich. Denn das hätte bedeutet, daß D aus der Nato austritt. Völlig absurde Vorstellung im kalten Krieg. Und der Kanzler allein kann sowas überhaupt nicht entscheiden. Und wie sich H. Schmidt heute äußerte, wissen wir nicht. Aber richtige Konzepte der Vergangenheit bleiben nicht ewig richtig. Wenn, dann bekriegten sich die USA und Rußland nuklear direkt, völlig an Europa vorbei. Einfach mal einen Globus zur Hand nehmen.
Selbst wenn diese Neutralitäts-Aussage des damaligen Kanzlers nur im kleinen und halbprivaten Kreis gefallen ist, zeigt sie doch, dass in der Elite unseres Volkes solche Gedankenspiele gemacht wurden und bis heute gemacht werden. Ich finde das gut so, gerade aus meiner derzeitigen Schweizer Perspektive. Neutralität ist kein Verrat an Werten und Beziehungen, sondern – im Gegenteil – sie kombiniert die bisherige westliche Ausrichtung mit einem ausgewogenen Paket an ost- und südwärts gerichteten Verbindungslinien. Unser Netzwerk wird erst multilateral richtig global, anstatt (wie bisher) einseitig nur auf die angelsächsischen Dominanz-Mächte ausgerichtet zu sein. So verstehe ich die UNO mit ihrer wohltuenden Tendenz, die fünf Machtblöcke Amerika-Europa-Russland-China-Indien gleichwertig zu behandeln und wenn möglich zu vernetzen – ein Anliegen, das Helmut Schmidt sehr wichtig war. Mir ist seine Rede in der großen Aula der Münchener Ludwig-Maximilians-Universität Ende der 1980er Jahre in lebendigster Erinnerung, wo er uns Studierenden aus verschiedensten Fakultäten dieses multilaterale Weltbild als die zentrale Beziehungsstruktur der globalen Zukunft ans Herz legte.
Tut mir leid, aber einen Dimitrios Kisoudis einfach als politischen Analytiker zu bezeichnen, sagt viel aus. Das ist einer dieser geistigen Knechte des russischen Imperialismus, dem alle Mittel recht sind. Wovon sich offensichtlich viele blenden lassen. Die USA sind vielleicht ein hegemonialer Verbündeter, aber kein Hegemon wie Moskau. Ansonsten wäre die Ukraine seit 2008 Mitglied der Nato. Herr Kretschmer sollte sich auf energiepolitische Fragen konzentrieren und die verfehlte grüne Politik anprangern, anstatt wie Moskaus Claqueur zu agieren. Die DDR ist da nur ein Feigenblatt.
Und wenn angeblich deutsche Patrioten jetzt meinen, das Vaterland und europäische Partner an Moskau verraten zu müssen, dann zeigt das nur ihre geistige Leere. Das Gegenstück zur grünen Hohlheit. Rußland auf China orientiert ist übrigens überhaupt keine Gefahr, sondern eher selbst gefährdet. Auf jeden Fall wird Rußland asiatischer als es jetzt schon ist. Außerdem ist Rußland strategisch in einer Sackgasse. Insbesondere der Nato-Beitritt Finnlands ist ein totales Fiasko, gerade nach Moskauer Logik.
Die Texte von Thorsten Hinz sind für mich immer der Höhepunkt der Woche. Der politisch-mediale Mainstream zum Thema ist einfach nur noch unerträglich in seiner Schlichtheit und Unterkomplexität. Eine Beleidigung direkt. Insofern ist eigentlich Kretschmer in der poltischen Klasse der BRD ein halbwegs Sehender, während sich das gesamte überwiegend westdeutsche Personal der völligen Entblödung hingibt und den Staat quasi drangibt an eine höhere Moralität (die das ganze polit. Spektrum umfasst). Unfassbar dumm. So ist kein Staat zu machen, so schafft man ihn ab. Die Geschäftsgrundlage der BRD steht nicht nur wirtschaftlich vor dem Abgrund, sondern auch politisch und vor allem gesellschaftlich. Es will aber kaum jemand sehen, Ostdeutsche sind da in einer ähnlichen Situation wie einst Kassandra…. die westdeutsche Realitätsverweigerung ist ein Unglück für die Ostdeutschen, da sie die Mehrheit repräsentiert. Ich empfinde das langsam als Tyrannei.
Intuitiv stimme ich Ihnen zu, Andre Möller – wenngleich ich aus meinen westdeutschen und schweizerischen Beziehungsnetzen weiss, wie schwer der Mythos des Westens zu widerlegen ist. Da sind Urkräfte am Werk, die uns mit tausend Ketten an Franzosen und Angelsachsen binden – und uns nur um den Preis der Selbstverneinung und Selbstdemontage aus diesem Patronat entlassen.
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Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) erntet Kritik für seine Haltung zum Ukraine-Krieg Foto: picture alliance/dpa/CTK | Katerina Sulova