„Einige wesentliche Überlegungen“ wollte Emmanuel Macron am Mittwoch zum Beginn der sechsmonatigen französischen EU-Ratspräsidentschaft vor dem Parlament des Staatenverbundes in Straßburg äußern – einige Überzeugungen, „die unsere gemeinsame Agenda ausmachen“, wie er zu Beginn seiner Rede formulierte.
Ein Minimalkonsens also, zusammenführen statt spalten, sich auf das Wesentliche, den Kern dieses Nachkriegsprojekts konzentrieren? Mitnichten! Stattdessen forderte der französische Staatspräsident und Wahlkämpfer schon nach wenigen Minuten, ein „Recht auf Abtreibung“ in der EU-Grundrechtecharta zu verankern – offenbar nicht nur ein Seitenhieb gegen die neue Parlamentspräsidentin Roberta Metsola, die als Abtreibungskritikerin bekannt ist, sondern auch gegen konservativ regierte Länder wie Polen.
Schutz der Umwelt, aber nicht des Lebens
Macron hatte seine Forderung verschiedentlich eingerahmt. Zunächst leitete er ein, es gelte die „europäischen Werte“ zu „konsolidieren“. Abtreibungen also als „europäischer Wert“. Dann wies er darauf hin, daß in der Grundrechtecharta die Todesstrafe verboten sei. Das Recht auf Tötung ungeborenen Lebens also auf einer Stufe mit dem Recht, nicht getötet zu werden. Eine „interessante“ Dialektik.
Weiters führte er den „Schutz der Umwelt“ an, den es ebenfalls in der Grundrechtecharta zu verankern gelte. Schutz der Umwelt, aber nicht Schutz Lebens. Und schließlich resümierte er, daß es darum gehe „unser politisches Projekt“ weiter zu „fundieren“. Abtreibungen also als Fundament Europas. Und für all das lauten Applaus aus dem Plenum. Schon inhaltlich und ethisch ist das schwer zu verdauen.
Mindestlohn, Frauenquote, Impfpflicht
Daneben aber verweisen Macrons Äußerungen einmal mehr auf die gefährliche Entwicklung, die die Europäische Union – freilich schon seit langem – nimmt, weg von der Subsidiarität, hin zu immer mehr zentralistischen Regulierungen. Denn der Präsident forderte ja nicht nur ein Recht auf Abtreibung, sondern unter anderem auch einen europäischen Mindestlohn, neue Arbeitnehmerrechte und mehr Frauen in Aufsichtsräten.
Die Forderung nach einer EU-weiten Frauenquote hatte erst vor einer Woche auch Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erhoben. Im Dezember wiederum hatte sie bereits mit einer anderen Äußerung auf sich aufmerksam gemacht: Mitgerissen von der hysterischen Debatte in Deutschland regte sie ein Nachdenken über eine EU-weite allgemeine Impfpflicht an – eine Maßnahme, die es bislang nicht in einem einzigen Mitgliedsstaat gibt.
Brüssel als Exekutor der gesellschaftlichen Liberalisierung
Die EU der von der Leyens und Macrons – es ist eine EU, die sich von Brüssel aus anmaßt, Gesundheitsentscheidungen für mehr als 400 Millionen Menschen zu treffen, Löhne einheitlich festzulegen und eine historisch vermeintlich notwendige gesellschaftspolitische Liberalisierung in sämtlichen Mitgliedsländer zu exekutieren.
Macron sprach in seiner Rede auch von „Respekt“ vor der „Einzigartigkeit und Identität eines jeden“, von der „Souveränität der Völker“. Einen Widerspruch zu seinen gleichzeitig vorgetragenen Regulierungsphantasien vermochte er dabei offenbar nicht zu erkennen. Was soll man dazu noch anderes sagen, als daß einem diese EU wirklich Angst machen kann.