In Kürze starten Deutschlands zehn Millionen Schüler ins neue Schuljahr. Nordrhein-Westfalen eröffnet den Reigen am 10. August. Für alle 16 Bundesländer freilich stellt sich die Frage: Ist die Schulbildung noch zu retten? Entgegen allem sonst gebotenem pädagogischen Optimismus wird man sagen müssen: Nein, da ist nicht viel zu retten, schon gar nicht mit einem einzigen Schuljahr.
Das deutsche Schul- und Bildungswesen vom freien Fall aufzufangen wird mehrere Jahre dauern. Dieser freie Fall hat nicht allein damit zu tun, daß es nun zweieinhalb „Corona“-Schuljahre mit einem Ausfall von Hunderten von Schulstunden für jeden einzelnen Schüler gab. Da wäre viel nachzuholen, nicht wenigen Schülern ist ein freiwilliges Wiederholen eines Schuljahres zu empfehlen. Manch anderen würden Liftkurse an Samstagen oder an Ferientagen guttun.
Aber die Ursachen für das Schuldesaster, das mit immer höheren Abiturientenquoten und einem Tsunami an Einser-Zeugnissen vertuscht wird, liegen tiefer. Es fehlen Zigtausende an Lehrern. Folge: Unterrichtsausfall! Die 16 Kultusminister haben in der Personalplanung versagt. Anders als in der freien Wirtschaft, wo der Personalbedarf von konjunkturellen Zyklen beeinflußt wird, ist der Personalbedarf im Schulbereich auf Jahre hinaus planbar, weil man die Altersstruktur der Lehrerschaft exakt kennt und weil die Zahl der Schüler keine gigantischen Sprünge macht. Schließlich ist etwa der Abiturient des Jahres 2040 schon geboren.
Die schulischen Ansprüche werden heruntergefahren
Auch das allein macht das Desaster nicht aus: Eine willkürliche Zuwanderungspolitik hat vielen Schulen Klassen beschert, in denen Schüler deutscher Muttersprache Randgruppen sind. Die Mehrheit dieser Klassen hat in Zeiten coronabedingter Schulschließungen oft wochenlang kein Wort Deutsch mehr gehört. Und: Die schulischen Ansprüche wurden heruntergefahren. Das Leistungsprinzip wurde für igittigitt erklärt, aus Lehrplänen wurden Leerpläne, aus ergebnisorientierter Schule wurde ein erlebnisorientierter „Lebensraum Schule“. Wenn man sich anschaut, wie einzelne deutsche Länder darauf reagieren, muß einem angst und bange werden.
Sachsen-Anhalt etwa führt modellhaft für zunächst zwölf Schulen eine 4+1-Schultagewoche ein. Das heißt: An vier Tagen findet (halbwegs?) regulärer Unterricht statt. Ein fünfter Tag ist „selbst organisiertem Lernen“ oder Betriebsbesuchen gewidmet. Man mag sich einmal vorstellen, was das für die ABC-Frischlinge bedeutet, denen erst einmal die Basis des Lesens, Schreibens und Rechnens beizubringen wäre. Bankrotterklärungen, wohin man schaut. Die deutschen Schulminister müßten alle ihren Ministersessel räumen. Denn jetzt braucht es 16mal einen pädagogischen Herkules, der das ganze Chaos ausmistet.
JF 30/22