Die freie Welt reagiert wie gewohnt: Abscheu und Empörung. Von einem „ernsthaften und gefährlichen Vorfall“ spricht Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, eine Entführung nennt es die Präsidentin der EU-Kommission, „Sanktionen“ tönt es aus dem Auswärtigen Amt.
Die erzwungene Landung eines zivilen Passagierflugzeugs im Luftraum über Belarus und auf seinem Weg von einem EU-Land in ein anderes ist in der Tat ein staatlicher Piratenakt, die angebliche Bombendrohung durchschaubar bis zur Lächerlichkeit. Man wird sehen, zu welchen Sanktionen die wortgewaltige EU sich durchringt. In Minsk wird man lächeln.
Die Abwägung in Minsk vor der Tat hat offenbar ergeben: Schlimmer als nach den blutig niedergeworfenen Massendemonstrationen im vergangenen Jahr kann es kaum werden. Dagegen steht ein „Fang“, der sich gelohnt hat: Einer der wichtigsten Oppositionellen ist ausgeschaltet. Warschau trifft deshalb den Nagel auf den Kopf: „Staatsterror“.
Mut ist für Diktaturen gefährlich
Die öffentlich-rechtlichen Medien hierzulande reden noch von einem autoritär regierten Land. Das war es vielleicht mal. Belarus ist eine klassische Diktatur und Diktator Alexander Lukaschenko ist jedes Mittel recht, um die Opposition zum Schweigen zu bringen. Bei der jüngsten „Beute“ handelt es sich um einen jungen Oppositionspolitiker, der deshalb für das stalinistische Regime gefährlich ist, weil er das Schweigen systematisch durchbricht.
Nichts ist für eine Diktatur gefährlicher als der Mut, die Wahrheit zu sagen und zu verbreiten. Siehe die Geschwister Scholl, siehe Nawalny, siehe die Bürgerrechtler früher in Osteuropa, siehe die Demonstranten heute in Hongkong, Myanmar oder anderswo. Ihre Worte der Wahrheit sind Rufe nach Freiheit. Der amerikanische Außenminister George Shultz brachte es mit Blick auf die Sowjetunion seinerzeit auf diese Formel: „Mehr als unsere Marschflugkörper fürchten die Sowjets die Informationsraketen“. Sie sprengen jede Diktatur.
Der nach der erzwungenen Landung im Flugzeug festgenommene weißrussische Oppositionelle Roman Protasewitsch ist Blogger, Gründer und Chef des Nachrichtenkanals Nexta, der über den Messangerdienst Telegram die Menschen in Belarus informiert. Gegen seine Informationsraketen ist die Diktatur des Alexander Lukaschenko nicht gewappnet. Also verfolgt man die Freiheitskämpfer persönlich.
Konten sperren reicht nicht
So macht es auch der Mastermind aller heutigen Diktatoren, Chinas Xi Jinping. Er überwacht mit allen technologischen Mitteln den Informationsfluß im Reich der Mitte. An ihm orientieren sich die Tyrannen dieser Welt. Lukaschenko verfügt nicht über diese Technologie, die die Chinesen zum größten Teil geraubt und kopiert haben. Also vergreift er sich an den Köpfen der Freiheit, den jungen Leuten, die die Technologie im umgekehrten Sinn, nämlich für die Vermittlung der Wahrheit und damit der Freiheit nutzen.
Die Frage der Sanktionen hängt damit zusammen. Es reicht nicht, Diktatoren vom Schlage Lukaschenko und seinen Schergen die Reisen in die freie Welt zu verbieten, sie reisen ohnehin selten dahin. Es reicht auch nicht, die Konten dieser Unterdrücker in der EU und den USA zu sperren, sie haben ihr Geld längst woanders geparkt.
Wer Diktatoren und nicht nur deren unterdrückten Völker sanktionieren will, der muß außer Visa-Verweigerung und Kontensperrungen die Opposition unterstützen, damit sie, mit entsprechender Technologie ausgestattet, die Ideen der Freiheit in ihren Ländern verbreiten kann. Gleichzeitig muß den Diktatoren der Zugang zu moderner Technologie verwehrt werden, damit sie keine Kontrolle ausüben können.
China schaut aufmerksam zu
Man braucht das auch nicht an die große Glocke hängen, sondern einfach tun. Damit läßt man die Verfolgung und Festnahmen von Oppositionellen ins Leere laufen, weil es andere Köpfe gibt, die die Ideen der Freiheit unter das Volk bringen.
Viktor Hugo meinte einmal: Keine Armee ist so stark wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist. Die Freiheit ist so eine Idee, ihre Stunde herbeizuführen, wäre eine edle Aufgabe. Mit bloßen Worten und plakativen aber wirkungsschwachen Sanktionen wird man sie nicht erfüllen. Sie liegt überdies im Interesse der freien Welt. Man kann sicher sein, daß die chinesischen und russischen Kollegen Lukaschenkos die Fortsetzung des Piratenakts genau beobachten.