Der Corona-Talk bei Maybrit Illner am Donnerstag-Abend im ZDF war eine der interessantesten Diskussionen, die es bislang zu diesem Thema gab – wenn nicht die interessanteste. Vor allem deshalb, weil endlich einmal grundsätzlich über die Regierungsmaßnahmen und deren Verhältnismäßigkeit sowie über die inzwischen bundesweit vorgegebene Gewichtung der Covid19-Bekämpfung debattiert wurde. Bislang ging es in solchen Fernsehgesprächsrunden meist nur darum, ob der Lockdown schon hart genug sei und wie lange er noch verlängert werden müsse. Grundlegend hinterfragt wurde er dabei aber nur selten.
Daß die gestrige Sendung sich von vielen anderen vor allem öffentlich-rechtlichen Talkshows so deutlich unterschied, lag auch daran, daß Kritiker der Maßnahmen zu Wort kamen. Anders als üblich waren diese sogar mit einem 3:2 Verhältnis bei Illner leicht in der Überzahl. Wobei mit Wolfgang Kubicki (FDP) und dem grünen Oberbürgermeister von Tübingen, Boris Palmer, zwei von ihnen lediglich zugeschaltet waren.
Ins Studio war der Schauspieler Jan Josef Liefers geladen, der als bekanntestes Gesicht der „Alles dichtmachen“-Video-Kampagne jüngst für viel Aufregung unter den Maßnahmen-Aposteln gesorgt hatte. Ihm gegenüber saßen Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) und die über so viel Meinungsvielfalt sichtlich genervte Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim.
Liefers verteidigt Aktion
Liefers zeigte sich bei aller Kritik sehr verständnisvoll, sowohl an ihm als auch an seinem Video. Allerdings ohne deswegen davon abzurücken, wie es inzwischen viele seiner Kollegen und ursprünglichen Mitstreiter getan haben. Überhaupt wirkte der „Tatort“-Star erfreulich unaufgeregt, auch dann noch, als ihm in bekannter Manier immer wieder vorgeworfen wurde, daß er die falschen Narrative bediene und dafür Applaus von „Querdenkern“ und Rechtsextremen bekäme.
„Jetzt lassen wir mal einen raus“, so beschreibt Jan Josef #Liefers die Motivation hinter #allesdichtmachen. Zivilisierte Aktionen seien in den vergangenen Monaten zu oft verhallt, beklagt der Schauspieler.
Die ganze #illner Sendung
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Liefers machte ohne bemühte Verrenkungen deutlich, daß er als Künstler weder mit irgendwelchen extremistischen Beifallsklatschern etwas am Hut habe, noch der Regierung oder ihren mitunter sehr radikalen Unterstützern zu irgendetwas verpflichtet sei. Er „stehe nicht für ein System, sondern für die freie Gesellschaft“, so Liefers.
Die Freiheit der Presse sei ihm so wichtig, daß er diese auch verteidigen würde, wenn sie sich gegen ihn richtete. Er hoffe allerdings, daß dies auch umgekehrt gelte und äußerte den Wunsch, Journalisten würden ebenso die Freiheit des Wortes und der Kunst verteidigen.
Moderatorin Illner widersprach, daß die Kritiker der Regierungsmaßnahmen in den Medien keineswegs „ausgespart“ worden seien. Als Medienkonsument konnte man da allerdings einen anderen Eindruck gewinnen. Zumindest die Gewichtung der Meinungen war und ist in vielen Redaktionen deutlich zu Gunsten derer, denen der Lockdown nicht lang und hart genug sein kann.
Viel Selbstgefälligkeit
Daß auch wenig Kritik schon zu viel Kritik sein kann, wenn man meint, im Recht zu sein, bewies die Journalistin Mai Thi Nguyen-Kim. Diese hatte zwar nicht alle #Allesdichtmachen-Videos gesehen und die Diskussion um die satirischen Clips nicht wirklich verfolgt, das sei aber eine bewußte Entscheidung gewesen, da sie der Ansicht sei, daß nicht jede Diskussion „automatisch eine gute ist“.
Konstruktive Diskussionen, so erklärt die YouTuberin, hätten das Ziel, „Probleme zu identifizieren und auch um eine bessere Lösung zu ringen“. Destruktive Diskussionen seien dagegen von Empörung getrieben und würden spalten. Die Kunstaktion von Jan Josef Liefers und seinen Kollegen empfand die Deutsch-Vietnamesin als „unglücklich“. Sie sei eigentlich genervt, daß jetzt überhaupt „immer noch“ über diese gesprochen werde, klagte die Corona-Influencerin.
Zu viel Aufmerksamkeit für Aktionen wie #allesdichtmachen beklagt Wissenschaftlerin Mai Thi Nguyen-Kim bei „maybrit illner“ und warnt davor, dass Spaltung die Pandemie für alle verschlimmere.
Die ganze #illner Sendung
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So viel Selbstgefälligkeit schien selbst den zugeschalteten Wolfgang Kubicki ein wenig zu schockieren; und das will wirklich etwas heißen. Er maße sich nicht an, zu entscheiden, was „konstruktive“ und was „destruktive“ Diskussionen seien, sagt der FDP-Mann und wies freundlich darauf hin, daß auch das Grundgesetz eine solche Unterscheidung nicht kenne.
Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher dagegen sagte, was Bürgermeister dieser Tage halt so sagen, die trotz allerlei eigener Bestrebungen im Kampf gegen das Corona-Virus unter Merkel nicht mehr allzu viel zu sagen haben und sich auch sowieso lieber auf die strikten Anweisungen von oben oder die Ratschläge der eigenen Berater verlassen.
Palmer: Bin mit den Mechanismen vertraut
Dafür macht Mai Thi Nguyen-Kim noch einmal deutlich, wie sehr sie davon überzeugt ist, Recht zu haben. Immerhin würde sie nur „über Wissenschaft“ reden und aufklären. Ihre persönliche Meinung, so betont sie, sage sie nur ganz selten, und wenn, dann sei diese „wissenschaftlich begründet“. Man merkte allerdings auch am Blick der ehemaligen Moderatorin des öffentlich-rechtlichen YouTube-Formats „Auf Klo“, daß sie sich nicht nur selbst für die fleischgewordene Wahrheit hält, sondern auch größte Angst davor hat, sich mit der Dummheit der Unwissenden anzustecken, die ihr an diesem Abend penetrant widersprachen.
Zu diesen Superspreadern von „destruktiven Diskussionen“ gehörte auch der ebenfalls zugeschaltete grüne Bürgermeister von Tübingen, Boris Palmer. Die Erfahrungen, die Jan Josef Liefers gerade mache, sei ihm nicht unbekannt. Er sei daher auch mit den „Mechanismen“ vertraut, so Palmer. Was gegen die Schauspieler der „Alles dichtmachen“-Kampagne aufgefahren werde und wie einige der Protagonisten aus den Videos jetzt regierten, seien „eingeübte Rituale“, erklärt der Tübinger OB unter dem Kopfschütteln von Mai Thi Nguyen-Kim.
Man werde durch die „Cancel Culture“ so lange unter Druck gesetzt, bis man nicht mehr zu dem stehe, was man gesagt habe. Das Kopfschütteln im Studio sehe er wohl, sagte Palmer, habe aber dennoch eine andere Meinung. Man habe es mit mündigen Bürgern zu tun, betonte er. Diese könnten Liefers zustimmen oder eben nicht. In jedem Fall bräuchten sie keine „Vordenker, die ihnen schon klarmachen, was die gute Seite der Macht ist“.