Kurzes Gedankenexperiment: Man stelle sich vor, eine Woche vor der Wahl würde sich Robert Habeck für niedrigere Spritpreise aussprechen. Und weil das noch nicht genug ist, würde der Grünen-Chef auch noch die Abschaffung der 30er-Zone sowie jeglicher Tempolimits auf Autobahnen fordern.
Sicher, er würde bei denen, die den Grünen eher kritisch gegenüberstehen, auf große Zustimmung stoßen, doch für den Chef einer Partei, deren Leitmotto Umwelt- und Klimaschutz sind, wäre das eine doch etwas seltsame Position. Und viele Beobachter des politischen Treibens würden sich zu Recht verdutzt die Augen reiben.
Ähnlich verhält es sich mit CSU-Chef Markus Söder. Nur daß es sich bei den jüngsten Äußerungen des bayerischen Ministerpräsidenten nicht um ein fiktives Szenario handelt. Söder hat sich am Montag in einem Gespräch mit der Zeit für die kirchliche Segnung homosexueller Paare ausgesprochen. Für ihn sei jede Liebe segnenswert, verriet der CSU-Vorsitzende. Kein Segen solle verweigert werden, „weil Liebe per se etwas Wunderbares“ sei. Gleiches gelte auch für Adoptionen durch trans- und homosexuelle Paare.
Was ist eigentlich mit dem Islam?
Nun kann man zu gleichgeschlechtlichen Paaren stehen, wie man will und solche Verbindungen als normal und selbstverständlich ansehen, aber zu verlangen, daß die Kirche diese Position teilt, ist für eine Partei, die das C im Namen trägt, zumindest fragwürdig.
Söder mag dabei vergessen haben, daß nicht der Wahltrend dem Christentum vorgibt, welche Bindungen es für segnenswert hält und welche nicht, sondern allein das Wort Gottes und seine Auslegung. Und nebenbei: Warum wünscht sich Söder eigentlich keine Segnung gleichgeschlechtlicher Paare durch islamische Geistliche, oder ist Homosexualität unter Moslems generell ausgeschlossen?
Die jüngsten Äußerungen Söders zeigen jedenfalls einmal mehr, daß dem CSU-Chef bei seinen zahlreichen inhaltlichen Pirouetten längst der politische Kompaß über Bord gegangen ist. Das Buhlen um Zustimmung im Grünen-Milieu ist ihm dabei wichtiger als das eigene Parteiprogramm (wo sich die Forderung natürlich nicht findet).
Falsche Schlußfolgerung
Er geht dabei auch so weit, sich die Argumentationsmuster der einstigen politischen Gegner zu eigen zu machen und das Beharren auf religiöse Grundsätze auf eine Stufe mit dem Abwerten bestimmter Lebensformen zu stellen. Getreu dem Motto: Wer Homosexuelle nicht segnen will, lehnt diese generell ab. Nur daß das eine mit dem anderen nicht unbedingt etwas zu tun hat.
Eine solche Argumentation entspricht in etwa der Logik, man würde die Demokratie ablehnen, nur weil man sein Kreuz nicht bei der CSU macht. Auch das ist natürlich Unsinn. Allerdings: Zumindest gläubigen Christen dürfte Letzteres seit dem gestrigen Montag deutlich schwerer fallen.