In diesen Tagen sind die Zündschnüre in der Politik bei vielen kürzer geworden. Angesichts der Corona-Krise mit ihren weitreichenden medizinischen und insbesondere volkswirtschaftlichen Folgen wird nicht mehr lange gefackelt, sondern durchgegriffen.
Das ist auch in Firmen und anderen Organisationen zu beobachten: Dauerpalaver wird beendet, es wird innerhalb kürzester Zeit entschieden, was früher über viele Gremiensitzungen Monate gedauert hätte. Es sind kühle Köpfe gefragt, die verhindern, daß der jeweilige Laden gegen die Wand fährt.
So offenbar auch in der AfD. Nachdem Verfassungsschutz-Chef Haldenwang in der vergangenen Woche die Einordnung des „Flügels“ und dessen führenden Repräsentanten als rechtsextrem bekannt gegeben hat, verschärft sich die innerparteiliche Kontroverse über den Umgang mit dieser Strömung. Es war ein Problem mit Ansage.
Die zwei Seiten des Verfassungsschutz-Problems
Dabei ist zwischen zwei Dingen zu trennen: Einerseits der Frage des objektiven und scharf zu kritisierenden Mißbrauchs des Verfassungsschutzes, der einseitig von verantwortlichen Innenpolitikern instrumentalisiert wird, um eine konkurrierende, unbequeme oppositionelle Partei in ein trübes Licht zu rücken.
Andererseits dem fahrlässigen Agieren von Vertretern einer radikalen Strömung in der AfD, der es gleichgültig scheint, ob durch eine Beobachtung der Partei durch den Verfassungsschutz Beamte, Mittelständler, beruflich erfolgreiche Menschen aus der Partei gedrängt werden und sich dadurch die Gewichte in der Partei noch weiter verschieben – und zwar praktischerweise zu Gunsten dieses Flügels.
In der Vergangenheit sind mehrere Bundesvorstände gescheitert, Björn Höcke und den „Flügel“ loszuwerden. Die jetzige Parteiführung hatte nach der vergangenen Bundestagswahl die Konsequenz daraus gezogen und offenbar Stillhaltevereinbarungen geschlossen.
Ein noch von Frauke Petry eingeleitetes Parteiausschlußverfahren gegen Höcke wurde still beerdigt. Alexander Gauland, auf seine Erfahrungen aus der in Grabenkämpfen einst tiefzerstrittenen hessischen CDU zurückgreifend, umarmte den „Flügel“, verkündete sogar, Höcke repräsentiere „die Mitte der Partei“. Alles, um Ruhe in den Betrieb zu bekommen und Gräben versöhnlich zuzuschütten.
Warum der Geduldsfaden jetzt bei vielen in der AfD reißt
Der Geduldsfaden ist jetzt über den Kreis der üblichen Höcke- und „Flügel“-Kritiker hinaus gerissen, weil selbst Funktionäre, die dem „Flügel“ wohlwollend gegenüberstanden, nicht mehr verstehen, weshalb stur an Parallel- und Sonderstrukturen festgehalten wird. Warum wurde der „Flügel“ nämlich nicht schon längst begraben? Oder soll er wie ein Mühlstein die Gesamtpartei unter die Wasserlinie ziehen?
Es ist ein Paukenschlag, daß nun mit Rüdiger Lucassen der Chef des größten AfD-Landesverbandes Nordrhein-Westfalen vom Bundesvorstand ultimativ die „vollständige Auflösung“ des „Flügels“, „dieser Firma in der Firma“ und ein Verbot von Auftritten und Veranstaltungen unter dem Signet des „Flügels“ fordert.
Warum wurde der Flügel nicht längst aufgelöst?
Als Schlag ins Gesicht empfanden zuletzt viele AfD-Funktionäre, die jetzt auf die Barrikaden gehen, die Rede Höckes bei einem „Flügel“-Treffen in Sachsen-Anhalt Anfang März, wo Höcke innerparteilichen Kritikern vorwarf, „nicht in der Lage“ zu sein, „Disziplin zu leben“ – und verkündete, er wolle Gegner aus der Partei drängen („ausschwitzen“).
Über die Frage des „Flügels“ hinaus muß sich die AfD die Frage stellen, weshalb bei den Potentialanalysen, die beispielsweise wöchentlich das Meinungsforschungsinstitut INSA erhebt, die AfD ihr mögliches Wählerpotential fast vollständig ausgeschöpft hat und auf eine geschlossene Abwehrfront von 75 Prozent der Bürger trifft, die sich „gar nicht“ vorstellen können, die Partei zu wählen.
Permanenter Verlust qualifizierter Mitglieder und Mitarbeiter
Es ist auf der einen Seite unverändert erstaunlich, daß sich die AfD seit ihrer Gründung in einem derartigen Tempo bundesweit etablieren und aktuell noch immer bei 13 Prozent halten konnte – gegen den massiven Gegenwind einer überwiegend feindlich gesonnenen medialen Öffentlichkeit.
Auf der anderen Seite ist die zunehmende soziale Isolation der AfD mit Händen zu greifen, ein permanenter Verlust qualifizierter Mitglieder wird mit Sorge registriert. Die AfD erhält insbesondere in den Fraktionen immer weniger geeignete Bewerber für offene Stellen.
Somit war es überfällig, sich auch die Frage zu stellen – wie es kürzlich nach Hanau die Parteivorsitzenden Meuthen und Chrupalla getan haben – warum es überhaupt ansatzweise gelingen kann, die AfD in eine vermeintlich rechtsradikale, rassistische Ecke zu stellen.
Und sich zu fragen, welche Anlässe die Partei selbst schafft im Auftreten ihrer Repräsentanten, den Reden und der Wortwahl . Und: Wer eigentlich aktiv daran mitwirkt, daß die AfD ein sympatischeres, gewinnenderes Gesicht bekommt und wer bewußt immer wieder das Gegenteil tut. Höchste Zeit zu handeln.