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Erdogan gegen Macron: Wann, wenn nicht jetzt?

Erdogan gegen Macron: Wann, wenn nicht jetzt?

Erdogan gegen Macron: Wann, wenn nicht jetzt?

Erdogan-Anhänger protestieren gegen Macron
Erdogan-Anhänger protestieren gegen Macron
Erdogan-Anhänger protestieren gegen Macron Foto: picture alliance / AP Photo
Erdogan gegen Macron
 

Wann, wenn nicht jetzt?

Der türkische Autokrat Recep Tayyip Erdogan kritisiert mit scharfer Zunge Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Dieser sah sich nach dem islamistischem Mord an einem Lehrer zum Handeln gezwungen. Erdogans Beleidigungen und Kriegstreiberei gefährden aber auch die deutsch-französische Freundschaft. Ein Kommentar von Jürgen Liminski.
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Der türkische Autokrat Recep Tayyip Erdogan zündelt. Er sollte sich die Marseillaise genauer anschauen, die in diesen Tagen in Frankreich öfter als gewöhnlich und mit mehr Inbrunst bei Ehrungen für den von einem Islamisten enthaupteten Geschichtslehrer Samuel Paty geschmettert wird.

Da erschallt der Text, den Rouget de Lisle, das Genie einer Nacht (Stefan Zweig), 1792 verfaßte, bewußter als sonst: „Zu den Waffen, ihr Bürger, das blutige Banner der Tyrannei ist gegen uns erhoben. Hört ihr auf den Feldern die Soldaten des Schreckens brüllen? Sie kommen, um Euren Söhnen und Frauen die Kehlen durchzuschneiden.“

Es war ein Marschlied für die Revolutionäre aus Marseille und die Stimmung gegen den radikalen Islam und ihre Herolde (zum Beispiel den Muslimbruder Erdogan) ist heute nicht weniger revolutionär wie damals.

Weil Erdogan den französischen Präsidenten vor aller Weltöffentlichkeit für geisteskrank erklärt, weil dieser nach dem Mord an dem Lehrer stärker gegen den radikalen Islam in Frankreich vorgeht, Moscheen mit Schließung und radikalen Imamen mit Ausweisung droht, solidarisieren sich die Franzosen mit ihrem Präsidenten – und er tut Emmanuel Macron damit einen Gefallen.

Macron mußte handeln

Der Druck auf Macron war groß. Er war unter Beobachtung, sah sich zu Handlungen gezwungen und mußte überlegen, wie er die vom Islam über die Jahre schleichend eroberten Banlieues und Städte befreien könnte. Jetzt kann Macron sich mit einer Handvoll symbolischer Aktionen vorerst begnügen und die Aufmerksamkeit auf den Streit mit Erdogan lenken.

Dafür gibt es allerdings auch mehr als einen Grund. Ankara schürt Krieg in Syrien, in Libyen, in Berg-Karabach. Erdogan provoziert im Mittelmeer direkt die EU-Staaten Griechenland und Zypern und beansprucht Teile der Gas-und Ölvorkommen unter dem Meeresboden. Er provoziert die Nato mit dem Kauf von russischen Raketen und Israel mit der Unterstützung der Hamas. Jetzt schürt er den Haß in islamischen Ländern, in denen er leicht zu schüren ist, wie Pakistan und Iran.

In Kuweit und Katar ruft er zum Boykott französischer Waren auf, in der gesamten islamischen Welt zum Protest gegen die Mohammed-Karikaturen, weswegen der Geschichtslehrer ermordet wurde und wozu er zustimmend schweigt.

Natürlich verfolgt Erdogan damit auch innenpolitische Ziele. Die türkische Wirtschaft lahmt, die türkische Lira ist im freien Fall, Corona grassiert auch in der Türkei, die Zustimmung zu seiner Partei und ihm selbst bröckelt zusehends. Da setzt er auf die religiös entfachte Empörung und auf äußere Feinde, um die inneren Kritiker zum Schweigen zu bringen.

Erdogan sieht sich als neuer Sultan

Aber es ist nicht nur Kalkül, Erdogan sieht sich als neuer Sultan und Schützer des Islams. Er glaubt an das, was er sagt, und es lief doch auch alles so schön: 150 der 400 radikalen Imame in Frankreich kommen aus der Türkei und trieben erfolgreich ihr Predigt-Unwesen, viele neue islamische Schulen versprachen weitere eroberte Dörfer und Viertel. Schließlich leben in keinem anderen Land der EU so viele Muslime wie in Frankreich. Auf mindestens sieben Millionen wird ihre Zahl geschätzt, da lohnt es sich missionarisch zu investieren und sich zu ihrem Schutzpatron aufzuschwingen.

Erdogan betrachtet Frankreich als das Bollwerk gegen die Islamisierung Europas und auch außenpolitisch als den Hauptgegner in der EU. Es ist für ihn auch die Kolonialmacht, die vor hundert Jahren zusammen mit den Briten die Hohe Pforte, das osmanische Reich, zum Einsturz brachte und im Vertrag von Lausanne zurechtstutzte.

Deshalb hat er mit innerer Genugtuung zur Kenntnis genommen, daß die EU und Berlin nur mahnend den Finger hoben, statt die Konsequenz aus seinem aggressiven Verhalten zu ziehen und endgültig die Gespräche mit Ankara über einen Beitritt zur EU abzubrechen und zu beenden. Offenbar kann ich mir alles erlauben, auch die größten Beleidigungen, kann sich Erdogan klammheimlich sagen.

Abbruch der EU-Verhandlungen: Wann, wenn nicht jetzt? Die zögerliche Haltung Berlins stößt auch in Paris zunehmend auf Verwunderung und Skepsis. Paris hat sich zu einem historisch erstmaligen Schritt entschlossen und den Botschafter aus Ankara zur Berichterstattung an den Quai d’Orsay, dem Außenministerium, zurückbeordert.

Deutschlands Position könnte weiter geschwächt werden

Berlin muß das nicht tun, aber längst hätte man jegliche Ersatzteil- und Waffenlieferungen an die Türkei einstellen müssen. Längst hätte man einige Sanktionen in Kraft setzen müssen. Längst hätte man Griechenland und Zypern durch Entsendung von Fregatten ins östliche Mittelmeer konkrete Solidarität bekunden können. Längst hätte man sich öffentlich für eine offizielle und endgültige Beendigung der Verhandlungen mit der EU aussprechen können.

Sicher, die zögerliche Haltung hält Gesprächskanäle offen. Aber bei islamistischen Diktatoren, die nur die Sprache der Stärke und Unterwerfung kennen, wird diese Haltung als Schwäche interpretiert – und als Chance, einen Spaltkeil zwischen Deutschland und Frankreich zu treiben. Erdogan setzt auf weitere Sticheleien und es ist in der Tat nur eine Frage der Zeit, bis auch in Frankreich Zweifel an der deutschen Loyalität zu Paris laut werden.

Auch sollte man die Eigenliebe Macrons nicht unterschätzen. Macron ist ein kühler Kopf, aber er hat auch narzisstische Züge. Solche Zweifel wären der Beginn vom Ende der EU als außenpolitisch halbwegs solidarischem Staatenbund. Eine Appeasement-Politik gegenüber Diktatoren hat eigentlich nie zu dauerhaftem Frieden geführt. Diese Lektion haben die Franzosen und die Nachfolger Daladiers aus München 1938 gelernt. Die Deutschen sollten es auch wissen.

Erdogans diplomatische Rüpeleien und Kriegstreibereien haben viel Sprengkraft und das Potential, Deutschlands Position in der EU und in der Nato zu schwächen, wenn die Reaktionen so zaghaft bleiben wie bisher. Das mag man in der Blase des Auswärtigen Amts so nicht wahrnehmen. Angesichts der wachsenden Gefahr durch den radikalen Islam auch in Deutschland wird Berlin Partner wie Paris dringender brauchen, als man es sich jetzt vorzustellen vermag. Jedenfalls dringender als zweifelhafte Partner und unzuverlässige Islamisten wie Erdogan.

Erdogan-Anhänger protestieren gegen Macron Foto: picture alliance / AP Photo
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