Das ging schnell. Nur wenige Stunden nachdem im Netz ein Video aufgetaucht war, in dem der Mannheimer Soulsänger Xavier Naidoo ein als migrationskritisch interpretiertes Lied anstimmte, hat ihn sein Arbeitgeber RTL aus der Jury von „Deutschland sucht den Superstar“ (DSDS) gefeuert. Der Privatsender, bei dem so intellektuell und ethisch wertvolle Formate laufen, wie die biblisch inspirierte Nackedei-Show „Adam sucht Eva, der Pärchen-Treutest“, „Temptation Island“ oder „Der Bachelor“, war eben schon immer die höchste moralische Instanz im Land.
So war es auch kein Wunder, daß sich ausgerechnet Micky Beisenherz, Witzschreiber für „Ich bin ein Star, holt mich hier raus!“ – RTL’s Dschungelcamp der Menschlichkeit – zum obersten Scharfrichter über den Sänger und seine Fans erhob. Auch seine „Brüder“ von den Söhnen Mannheims, jener Musikgruppe, die ihren musikalischen Erfolg in den vergangenen Jahrzehnten vor allem Naidoo zu verdanken hat, distanzierten sich von ihrem prominentesten Bandmitglied.
ProSieben verlangt das „Sie“ zurück
Zuvor hatte bereits ProSieben, ein weiterer TV-Sender, dem der populäre Querkopf in der Vergangenheit hohe Einschaltquoten bescherte, via Twitter strenge Worte an seinen ehemaligen Partner gerichtet. „Lieber Xavier #Naidoo“, hieß es in dem Tweet, „mit Haß, Hetze und alternativen Fakten hat noch niemand eine Gesellschaft besser gemacht. Sie auch nicht.“ Interessant an der Internet-Botschaft an den einstigen Kollegen war für mich als jemanden, der das TV-Geschäft von Innen kennt, vor allem die Anrede „Sie“.
Gehört das Fernsehen doch zu jenen hippen Branchen, in denen man sich eigentlich grundsätzlich duzt. Auch wenn man sich noch so haßt. Selbst ein Rausschmiß wird einem da in der Regel noch mit einem kumpelhaften „Du“ serviert. Wie gesagt, ich weiß wovon ich rede. Um in der Mainstream-Medienwelt, noch dazu im Internet, nicht mehr geduzt zu werden, muß jemand schon einen schier unaussprechlichen Sündenfall begangen haben.
Nicht mehr Teil der Gemeinschaft der guten Deutschen
Bisher hatten weder seine alten Freunde von den Söhnen Mannheims, noch seine verschiedenen Fernsehsender und Medienpartner sonderlich große Probleme mit dem, was Xavier Naidoo so zu sagen hatte. Genauso wenig wie all die Künstlerkollegen, die jetzt über ihn herfallen. Dabei hatte er in der Vergangenheit schon so einiges von sich gegeben, das deutlich radikaler klang und rational für viele weniger nachzuvollziehen war, als die Verurteilung von Morden durch Gäste an ihren Gastgebern.
Aber es waren eben Thesen, die völlig unabhängig von ihrer Rationalität oder Irrationalität, quer durch die politischen Fronten anklang fanden. Vor allem auch in dem Milieu, in dem der Künstler sich schon von Berufswegen her bewegen muß. Dort war er bislang eben nur ein weiterer Musiker, der seine Stimme gegen den Kapitalismus erhoben hatte, was grundsätzlich gerne gehört wird, egal mit welchen Unterklängen.
Gegen Antiamerikanismus haben die meisten Kulturschaffenden schon zweimal nichts. Wenn einer jedoch nur „fast alle Menschen lieb“ hat, aber nicht „seelenruhig nebendran stehen“ will, wenn ihre „Töchter“, ihre „Kinder leiden“ und „ein Gast dem Gastgeber ein Leben stiehlt“, dann kann er nun mal nicht mehr Teil der Gemeinschaft der guten Deutschen sein.
Woody Allen gerät ebenfalls ins Visier
Naidoo war nicht der einzige, der in den vergangenen Tagen die stets diskriminierungsbereite Antidiskriminierungsmeute gegen sich aufbrachte. In den USA hat ein Verlag die Veröffentlichung der Autobiografie von Woody Allen zurückgezogen. Nach Protesten aus dessen Familie und von ehemaligen Mitarbeitern war den Entscheidungsträgern bei Hachette, wo die Memoiren des Filmemachers publiziert werden sollten, offenbar aufgefallen, daß sich der Regisseur, der einst seine eigene Adoptivtochter geheiratet hat, in seinem Leben moralisch nicht immer ganz einwandfrei verhalten hat.
Nach der Entscheidung zu Ungunsten des alten weißen, wenn auch immerhin jüdischen Mannes, hatten auch in Deutschland einige Blut geleckt. Die hatten zwar, anders als jene, die in den Vereinigten Staaten gegen das Buch sturmgelaufen sind, nichts mit Woody Allen zu tun, dürfen ihre Schreibübungen aber immerhin im gleichen deutschen Verlagshaus veröffentlichen, wie die Regielegende aus Hollywood. Auf dieses Privileg wollen sie nun aber gerne und öffentlichkeitswirksam verzichten.
Einige der Autoren, darunter solch Geistesgrößen wie Sascha Lobo, Margarete Stokowski und etliche Damen und Herren, von denen vermutlich kaum ein intelligenter Mensch je etwas gehört geschweige denn gelesen hat, wollten die Veröffentlichung des Buches der Regielegende auch in Deutschland verhindern und schrieben einen offen Brief an den Rowohlt-Verlag. Bisher war dieser aber immerhin ebenso erfolglos, wie die meisten seiner Verfasser.
Politisch korrekte Krümelmonster vs. Bahlsen
Selbst Schokoladenkekse können in Deutschland gar nicht so süß sein, daß sie die Millennial-Internetblase vom Sauerwerden abhalten könnten. Das mußte jetzt auch der Knusper-Süßwarenfabrikant Bahlsen feststellen. Der machte den Fehler, eines seiner klassischen Produkte in den sogenannten Sozialen Medien zu posten. Das Foto der Kekspackung löste einen Sturm der Entrüstung aus. Grund: Die Schoko-Plätzchen trugen doch tatsächlich den Namen „Afrika“!
Ein solch rassistischer Aussetzer einer deutschen Backwarenfirma, die offensichtlich aus der Geschichte nichts gelernt hat, konnten die Krieger für die totale Gerechtigkeit natürlich nicht durchgehen lassen. Schlimm genug, daß Mama und Papa ihnen die Kekse ihr Leben lang aufgetischt haben, ohne ihnen je etwas von dessen dunklen Geheimnis zu erzählen. Essen können die sozialen Krümelmonster die Kekse aber wohl weiterhin. Bahlsen will dem Afrika-Keks nach Jahrzehnten nun einen neuen Namen geben. Über möglichst zahlreiche Vorschläge für die Neubenennung wird sich der eingeknickte Konzern sicherlich freuen.