Eines muß man Sandra Maischberger lassen: Sie bemüht sich, dem eingefahrenen TV-Format der Polit-Talkshow immer wieder neue Varianten abzuringen. Nun weiß aber jeder, was der Satz „Sie hat sich stets bemüht“ im Arbeitszeugnis bedeutet.
Mit diesem Wissen im Hinterkopf kann man die Einschätzung auch gut und gerne auf das einmal mehr erneuerte Konzept ihrer ARD-Sendung anwenden. Nachdem die Moderatorin in den vergangenen Monaten immer mit Politikern und Journalisten auf die vergangene Woche zurückgeblickt hatte, lud sie gestern erstmals zu einem vermeintlichen Bürger-Dialog „vor Ort“ nach Thüringen ein.
Chrupalla mit verbalen Tiefschlägen
Dieser sollte den Politikern Spontanität und überraschend offene Aussagen entlocken und dem Zuschauer zuhause eine neue Perspektive ermöglichen. So weit die Idee. In der Realität sah die Sache allerdings deutlich anders aus. Statt ungewohnter Spontanität gab es von den Politprofis im Studio doch nur wieder die alten Politikerphrasen, die man so oder ähnlich schon tausendfach gehört hatte.
Katja Kipping von der Linkspartei forderte in Sachen Coronavirus ein „Pandemie-Überbrückungsgeld“ und jede Menge weitere staatliche Hilfen für praktisch alles und jeden und sprach sich im weiteren Verlauf der Sendung einmal mehr gegen die „Hufeisen-Theorie“ aus.
Mario Voigt, neuer Fraktionschef der Thüringer CDU im Landtag, gab mit Blick auf das Debakel bei der Wahl des Thüringer Ministerpräsidenten zu: „Frau Merkel ist wie alle nicht fehlerfrei“. Die Hauptschuld für die Chaostage im Parlament sah er aber bei Linkspartei, SPD und Grünen, die ohne eigene Mehrheit in eine Wahl gegangen seien. Tino Chrupalla von der AfD reagierte auf das Bashing seiner Partei, das von allen Seiten auf ihn einprasselte, mit verbalen Tiefschlägen gegen die anderen Parteien und Politiker – unter anderem gegen die nicht anwesende Claudia Roth.
Debatte um „Unrechtsstaat“-Begriff
Daß all das so ermüdend erwartbar ablief, lag auch daran, daß es die Redaktion von Maischberger offenbar nicht lassen konnte, die fragenstellenden Bürger im Publikum nach den alten hauseigenen Regeln der ARD auszuwählen. Statt einem Querschnitt der Thüringer Bevölkerung gab es auf den Zuschauerrängen sozusagen eine rot-grüne Wand. Allein mindestens zwei Kommunalpolitiker (von SPD und Grüne) durften Fragen stellen. Allerdings wurden sie für öffentlich-rechtliche Fernsehverhältnisse ungewöhnlich ehrlich in beiden Fällen auch in ihrer Funktion als regionale Parlamentarier vorgestellt.
Die Show gehörte vor allem Katja Kipping, die wirklich zu jedem Thema etwas sagen wollte, auch dann, wenn sie eigentlich gar nicht gefragt war und im Grunde auch gar nichts zu sagen hatte. Sie redete und redete und wirkte in ihren endlosen Antikapitalismus-Tiraden gegen Kaltherzigkeit, Egoismus und Immobilien-Haie stellenweise wie der berühmte Hase aus der Batterie-Werbung.
Immerhin ergab sich daraus aber auch die einzige Phase des Abends, in der die Show wirklich einmal interessant wurde; wenn auch auf geschmacklose Weise. Auf die Frage eines Zuschauers, der mit seiner Frau einst Opfer der SED-Diktatur geworden war, warum ihre Partei sich bis heute nicht dazu durchringen könne, die DDR ganz klar als Unrechtsstaat zu bezeichnen, antwortet Kipping, sie entschuldige sich zwar für „ein Unrecht, für das es keine Rechtmäßigkeit gibt“, habe auch durchaus Verständnis für die Forderung, tue sich aber mit dem „Kampfbegriff vor dem man sich unbedingt verbeugen“ müsse schwer. Die Vorsitzende der SED-Nachfolgepartei sieht in der Verwendung des Wortes „Unrechtsstaat“ eine „Unterwerfungsgeste“ und diesen sowieso vor allem für das Dritte Reich reserviert. Kipping verweist auf zahlreiche Gespräche mit Menschen in Ostdeutschland, die ihr sagten, der Begriff hinterlasse den Eindruck, als ob „all unser Wirken damit abgeschrieben ist“.
Lob für die DDR
So viel Geschichtsrevisionismus von der AfD hätte im Publikum wohl tumultartige Szenen ausgelöst und die Moderatorin zu einem Studioverweis des AfD-Gastes genötigt. Die Linkspartei-Politikerin bekam für ihre „Es-war-nicht-alles-schlecht“-Rede sogar Schützenhilfe von einer der handverlesenen ARD-Zuschauerinnen vor Ort, die in aller Ruhe die Errungenschaften des „vollkommen anderen Systems“ loben darf.
„Wir haben in der DDR gelernt. Wir haben ein gutes Bildungswesen gehabt. Wir haben arbeiten gelernt“, sagt sie und ergänzt: „Ich lehne dieses Wort (Unrechtsstaat) von Anfang bis Ende ab.“ Kaum zu glauben, aber ihre Worte werden von sämtlichen Anwesenden offenbar als so normal empfunden, daß sie keinerlei Reaktionen auslösen.
So kann das in die Jahre gekommene SED-Groupie auch erstmal unwidersprochen ausführen: „Ich war Pionier, ich war FDJ, ich war in der SED. Es gibt nichts an der DDR, wofür ich mich schämen würde.“ Immerhin nach diesem – vor Hohn gegenüber den Opfern strotzenden – Plädoyer für den Mauer-und-Überwachungsstaat, regt sich bei den anderen Zuschauern leichter Unmut. Von der Empörung, die eine vergleichbare Äußerung von rechts ausgelöst hätte, bleiben die Reaktion aber noch immer weit entfernt. Für die neue SED hatte die Dame übrigens fast so positive Worte wie für die alte; auch wenn sie die beiden Varianten „absolut nicht mehr miteinander in Verbindung bringe“. Die Linkspartei habe sich „in das neue System eingefunden“ und sei „Teil der gesamten Vielfalt“.