Der deutsche Verfassungsschutz ist ein internationaler Sonderfall. In keiner anderen westlichen Demokratie existiert ein Inlandsgeheimdienst, der „Verfassungsschutzberichte“ veröffentlicht, mit denen Bürger vor angeblich demokratisch anstößigen Organisationen gewarnt werden. Eigentlich ist diese öffentliche Auseinandersetzung Aufgabe kritischer Medien und der Parlamente – eine Behörde mit diesem Auftrag ist einer gefestigten Demokratie unwürdig.
Mit der jüngsten Entscheidung des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), das Institut für Staatspolitik (IfS) unter Beobachtung zu stellen, weitet die Behörde ihre einseitigen Maßnahmen gegen Rechts aus, die darauf abzielen, das politische Vorfeld der AfD und mittelbar die Partei selbst unter wachsenden Repressionsdruck zu setzen.
Wie der Parteienkritiker Hans Herbert von Arnim zu Recht beklagte, haben sich die Parteien den Staat zur Beute gemacht. Kein Wunder, daß dies auch beim Verfassungsschutz der Fall ist, bei dem Politiker schnell erkannten, wie dieser sich im politischen Konkurrenzkampf instrumentalisieren läßt.
Massive Folgen für Betroffene
Wenn es ein Behördenleiter mit der politischen Neutralität zu ernst meint, wird er in den Ruhestand versetzt, wie es mit Hans-Georg Maaßen im November 2018 geschah. Zur Aufklärung des politischen Extremismus entstanden nach Gründung der Bundesrepublik als Lehre aus dem Scheitern der Weimarer Republik und zwei totalitären Katastrophen des 20. Jahrhunderts die Verfassungsschutzbehörden.
Bald etablierte sich jedoch in der Praxis eine Grauzone bei der Veröffentlichung von Warnhinweisen, bei denen bereits lediglich aufgrund „tatsächlicher Anhaltspunkte“ für einen „Verdacht“ mit Beobachtung und Berichterstattung begonnen wurde. Die JUNGE FREIHEIT geriet selbst 1995 ins Visier des NRW-Verfassungsschutzes. Nur in einem aufwendigen, zehnjährigen Verwaltungsstreitverfahren konnten wir uns vor dem Bundesverfassungsgericht 2005 gegen diese Berichterstattung erfolgreich durchsetzen.
Seit dieser Schlüsselentscheidung liegen die Hürden für eine reine „Verdachtsberichterstattung“ höher, denn diese wurde erstmals als Grundrechtseingriff eingeordnet – zuvor verharmloste der Verfassungsschutz seine Warnhinweise als ledigliche „Meinungsäußerungen“ und bestritt die massiven materiellen und immateriellen Folgen für Betroffene.
Verfassungswidriger Verfassungsschutz
Der Staatsrechtler Dietrich Murswiek zeigt in einer jüngsten Untersuchung („Verfassungsschutz und Demokratie“, Berlin 2020), wie sehr diese Verdachtsäußerungen zu einer „schwerwiegenden Verzerrung des demokratischen Wettbewerbs“ führen und kommt zum vernichtenden Ergebnis, daß die Verdachtsberichterstattung insgesamt verfassungswidrig ist: „Politische Opposition mit einer Herrschaft des Verdachts niederzuhalten, ist mit dem Demokratieprinzip unvereinbar.“
Um den Verdacht des Extremismus krampfhaft herzuleiten, stützen sich die Verfassungsschutzbehörden im Falle des „Flügels“ der AfD, der Identitären Bewegung (IB) und nun des IfS im Kern auf den Vorwurf, diese strebten an, die nationale Identität zu verteidigen und eine multikulturelle Gesellschaft und Masseneinwanderung abzulehnen. Murswiek belegt, daß diese Position nicht nur legitim, sondern daß die Bewahrung der „relativen Homogenität“ des Volkes Voraussetzung für eine gelingende Demokratie in einem Nationalstaat sei.
Insofern macht sich der Verfassungsschutz verfassungswidrig einseitig zu einer Partei in einem Meinungskampf und erklärt Positionen für verfassungsfeindlich, die nur dann verfassungsfeindlich wären, wenn sie mit verfassungsfeindlichen Mitteln durchgesetzt werden sollten, beispielsweise durch menschenwürdewidrige Entrechtung von Menschen mit Migrationshintergrund. Dies aber hat das BfV bisher weder für den „Flügel“ noch für die IB oder das IfS öffentlich nachgewiesen.
Mißbrauch der Behörde
Die exzessive Ausweitung der Verdachtsberichterstattung hat offenkundig die Einschüchterung von Bürgern zum Ziel, um in einer Art Psychokrieg die geistige und politische Freiheit zu beschneiden – dabei wäre im Sinne einer demokratischen Debatte genau das Gegenteil überfällig. Geradezu absurd und denunziatorisch ist der Vorwurf Haldenwangs, das IfS versuche „in den politischen Raum einzuwirken und seine ideologischen Ziele auf diese Weise durchzusetzen“ und begünstige Radikalisierungstendenzen „bis hin zu Legitimierung von Gewalt“. Das IfS verdient im Falle der skandalösen, willkürlichen Diskriminierung durch den Verfassungsschutz einerseits selbstverständlich Solidarität.
Auf einem völlig anderen Blatt steht hingegen das konkrete politische Wirken im Zusammenhang mit der AfD. Hier müssen sich die Macher in Schnellroda den Vorwurf gefallen lassen, seit 2013 systematisch darauf hingewirkt zu haben, bei der AfD die marktwirtschaftliche, konservativ-freiheitliche durch eine nationalkollektivistische Ausrichtung zu ersetzen.
Das IfS opferte dafür seinen bei der Gründung vor 20 Jahren artikulierten Anspruch einer parteiunabhängigen wissenschaftlichen Akademie, um nun als Björn Höckes „Denkfabrik“ und Motor des Rechtsaußen-„Flügels“ der AfD zu enden. Das Konzept von Provokation und Regelverletzung wirkte letztlich destruktiv und scheitert an den politischen Realitäten.
Zurück zum Bundesamt für Verfassungsschutz: Sein Präsident Thomas Haldenwang ist fällig für den Rücktritt. Der Bundesinnenminister sollte sich für den Mißbrauch dieser Behörde vor einem Untersuchungsausschuß rechtfertigen. Eine grundlegende Reform des Verfassungsschutzes, am besten seine Abschaffung in der jetzigen Form, ist überfällig.
JF 19/20