Am Sonntag abend wurde in der ARD einmal mehr über das Thema debattiert, das Medien und Regierende zur Europawahl auf die politische Agenda gesetzt haben. Die globale Erwärmung. Bei Anne Will diesmal in der Variante: „Streit um CO2-Steuer – wer zahlt für den Klimaschutz?“ Das gab der Redaktion die Möglichkeit, den streitbaren Klimasozialisten Kevin Kühnert einzuladen.
Der Juso-Vorsitzende ist ja so ein bißchen der Björn Höcke der SPD. Bei jedem seiner öffentlichen Auftritte warten seine Gegner und Anhänger gleichermaßen darauf, was der Profi-Provokateur heute wieder alles so raushauen wird. Kühnert ist wie Sawsan Chebli. Nur, daß sein „soziales Medium“ das Fernsehstudio oder die Zeitung ist. Sigmar Gabriel hat ihn gar schon mit Donald Trump verglichen, dem nur der „mediale Effekt und das eigene Ego“ wichtig seien. Bei Anne Will darauf angesprochen, zeigt der aufstrebende Sozialdemokrat, daß er für seinen alten Genossen Gabriel und dessen Ego kaum mehr als Verachtung und ein müdes Lächeln übrig hat.
Kretschmer wirkt farblos
Kühnert sieht sich selbst als die Zukunft der SPD. Eigentlich bereits als deren Gegenwart. Viele Medien ebenfalls. Das zeigt sich auch im ARD-Talk. Die Redaktion hat etliche Zitate des Jungsozialisten vorbereitet, in denen er spricht, als säße er bereits in der Regierung. Zum Beispiel, wenn er damit droht, die Koalition platzen zu lassen oder vom kollektiven sozialdemokratischen „Wir“ spricht und davon, welchen Druck man auf die CDU/CSU beim Thema Klimaschutz aufbauen mußte, um sie zu „treiben“. „Treiben“, klingt irgendwie wie „jagen“, fast schon nach „hetzen“; Kevin Kühnert ist Populist mit Popstar-Qualitäten.
Die Runde macht es dem Juso-Boß leicht, zu strahlen. Der CDU-Mann Michael Kretschmer wirkt mit seinen Wischiwaschi-Thesen zum wirtschaftsverträglichen Klimaschutz farblos und ohne echte eigene Haltung. Genau so, wie sich der politikverdrossene Bürger einen typischen Politiker vorstellt. Der Ministerpräsident von Sachsen versucht zwar, sich basisorientiert und volksnah zu geben, betont, Deutschland habe keinen Kapitalismus, sondern eine soziale Marktwirtschaft, und erzählt, er habe zuhause auch einen zehn Jahre alten Diesel. Auf den Wähler, der seinen alten Diesel nicht einfach stehen lassen und mit dem Dienstwagen zur Arbeit fahren kann, dürfte das allerdings wenig überzeugend wirken.
Politik und Bürger leben beim Thema Klimaschutz oft in zwei völlig unterschiedlichen Welten. Dies zeigt sich am deutlichsten im Duell zwischen der Grünen-Vorsitzenden Annalena Baerbock und dem Initiator der Stuttgarter Gelbwesten-Proteste, Ioannis Sakkaros. Als die Grüne zeigen will, wie links sie doch ist, und Verständnis für den „Frust“-Kfz-Mechatroniker äußert, stellt dieser klar: „Es ist kein Frust“. Als die Politikerin die „Steuerbegünstigungen“ von Kerosin und Diesel kritisiert, erwidert Sakkaros, es handle sich dabei nicht um Begünstigungen, sondern die Steuern würden hier nur einfach nicht erhoben.
Fakten statt Panik
Überhaupt macht der Organisator der Pro-Diesel-Demonstrationen eine auffallend gute Figur in der Diskussion. Das dürfte vermutlich vor allem auch die überrascht haben, die ihn als einzigen echten Vertreter einer Gegenmeinung eingeladen haben. Selbst den gewieften Rhetoriker Kevin Kühnert kann Sakkaros das ein oder andere mal überrumpeln. Zum Beispiel, wenn er den Juso darauf hinweist, daß der Anteil Deutschlands am weltweiten CO2-Ausstoß nur bei rund zwei Prozent liegt und auch den Einwand nicht gelten läßt, daß die Deutschen in der Pro-Kopf-Statistik aber doch auf Platz Zwei in der Welt liegen würden. Vielmehr betont er, daß das eben an der guten wirtschaftlichen Lage in Deutschland läge und fragt dafür den Nachwuchspolitiker, ob er denn, „von Luft und Liebe“ lebe.
Vermutlich um die Debatte trotz aller verständlichen Emotionen möglichst „sachlich“ zu halten, hatte die Redaktion wohl darauf verzichtet, auch einen Vertreter der AfD einzuladen. Statt dessen saß eine „ganz sachliche“ Nachhaltigkeitsforscherin in der Runde. Die Generalsekretärin des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen, Maja Göpel, erklärte dann auch, wie simple die ganze Sache eigentlich sei. Wir müßten „einfach nur die CO2-Intensität unserer Wirtschaft reduzieren“. Nun ja, vielleicht sollten Kevin Kühnert und wir alle doch schon einmal damit anfangen, uns Gedanken zu machen, wie wir von Luft und Lieber leben können.