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Deutscher Sonderweg: „Grün wählen“ als Wohlstandsphänomen

Deutscher Sonderweg: „Grün wählen“ als Wohlstandsphänomen

Deutscher Sonderweg: „Grün wählen“ als Wohlstandsphänomen

Plakat
Plakat
Grünen-Plakat zur EU-Wahl an einer Straße in Nordrhein-Westfalen Foto: picture alliance
Deutscher Sonderweg
 

„Grün wählen“ als Wohlstandsphänomen

Es gibt ihn noch: den deutschen Sonderweg. Die Europawahlen haben es bewiesen. Während es europaweit zur Stärkung der sogenannten Populisten kam, bleiben bei uns die Zuwächse bescheiden; während grüne Parteien sonst nur eine marginale Erscheinung sind, werden sie in Deutschland zweitstärkste Kraft. Ein Kommentar von Karlheinz Weißmann.
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Es gibt ihn noch: den deutschen Sonderweg. Die Europawahlen haben es bewiesen. Er hat zwar die Richtung gewechselt, aber zeichnet sich hinreichend deutlich auf der politischen Landkarte ab: Während die klassischen Nachkriegsparteien – Sozial- und Christdemokraten – im Rest der EU längst Geschichte sind, spielen sie hierzulande nach wie vor eine wichtige, wenngleich geschwächte Rolle; während es europaweit zur Stärkung der sogenannten Populisten kam, bleiben bei uns die Zuwächse bescheiden; während grüne Parteien sonst nur eine marginale Erscheinung sind, werden sie in Deutschland zweitstärkste Kraft.

Und wenn man auf die Kommentare zum Wahlergebnis achtet, könnte man der Meinung sein, daß das erst der Anfang ist. Immer wieder wird darauf hingewiesen, welche Bedeutung das Thema „Klimaschutz“ für die Wahlentscheidung hatte. Und in den Reihen von Union wie SPD erkennt man zerknirscht an, auf diesem Feld nicht entschlossener Position bezogen und so Stimmen an die grüne Konkurrenz verloren zu haben.

Tatsächlich dürfte es keinen Staat der westlichen Welt geben, in dem der Ökologie vergleichbare Bedeutung zugestanden wird. Das heißt ganz abgesehen von der Wirksamkeit der „Energiewende“ gehört es für die Deutschen zum politischen Credo, daß der Schutz der Umwelt und die Rettung des Planeten ganz oben auf der Agenda stehen sollten. Bleibt die Frage, wieso man bei unseren Nachbarn zwar mittlerweile Müll trennt und nicht mehr ganz so amüsiert auf die deutsche Angst vor „le Waldsterben“ reagiert, aber doch nicht auf die Idee kommt, eine grüne Partei zu unterstützen.

Wunsch nach mehr Gesinnungsethik 

Sicher spielen Mentalitätsunterschiede eine Rolle: die Baumverehrung der Germanen, das zähe Festhalten unserer Vorfahren an der Gotik mit dem steinernen Wald der Kathedrale, der Einfluß der Romantik, des Wandervogels, der Lebensreformer und die Begeisterung für Homöopathie.

Aber das ist es kaum allein. Es geht auch darum, daß der grüne Boom sich parallel zu einem wirtschaftlichen entwickelt hat, zeitgleich mit dem Verschwinden der Arbeitslosigkeit, ein paar satten Lohnerhöhungsrunden und der erstaunlichen Geldwertstabilität. Das weckte bei vielen Deutschen den Wunsch, sich etwas mehr Gesinnungsethik zu gönnen. Was auch erklärt, warum grüne Bewegungen noch nie in Ländern wie Frankreich, Spanien oder Italien dauerhaft Fuß fassen konnten, die nach wie vor unter erheblichen ökonomischen und ganz praktischen Problemen leiden. Kurz und knapp: „Grün wählen“ ist ein Wohlstandsphänomen.

Was viel von der großen Zustimmung erklärt, die die Grünen unter den Jungen finden. Die Angehörigen der Generationen Y und Z sind in einer Welt aufgewachsen, die keine existentiellen Bedrohungen für sie bereithält, abgesehen von der ganz großen, aber doch hinreichend abstrakten globalen Ökokatastrophe. Wer vor der warnt, wird gehört, muß sich nicht rechtfertigen, erhält vielmehr jeden Kredit. Mehr noch: Er sieht sich im Einklang mit seiner peer group, dem, was alle irgendwie meinen, und außerdem durch die Älteren hofiert.

Grundsätzliches deutsches Problem

Nicht nur durch die, die an der Spitze der Grünen stehen, sondern durch alle, die ein schlechtes Gewissen haben, angesichts der zahllosen Plastiktüten und -halme, die man verbraucht, der Autos ohne Katalysator und ohne Hybridantrieb, die man gefahren, der Flugreisen, die man sich gegönnt, der Steaks, die man mit gutem Appetit verzehrt hat. Auch die Begeisterung für Jugendbewegungen ist etwas sehr Deutsches, und so bestaunen und beklatschen die Erwachsenen die Kinder und Adoleszenten, die jeden Freitag durch unsere Städte ziehen, obwohl es sich um Leute handelt, die, abgesehen vom eigenen und dem Sendungsbewußtsein ihrer Prophetin, wenig vorzuweisen haben, – jedenfalls nichts, was man sonst als Voraussetzung von Urteilsfähigkeit betrachtet.

Man könnte über all das mit einem Achselzucken hinweggehen, wenn nicht der Eindruck bliebe, daß es um ein grundsätzliches deutsches Problem geht: unsere ausgeprägte Neigung, Politik unpolitisch zu nehmen. An dem Punkt berührt sich dann die Zustimmung der Jungen für die Grünen mit ihrer Begeisterung für „Die Partei“.

Aber in deren Fall ist der Unsinn offenkundig. Während eine Ideologie, die die Menschheit als handlungsfähiges Subjekt ausgibt, Propaganda für das Phantasiegebilde Weltgemeinschaft macht und an die segensreiche Wirkung von Gleichheit, Zuwanderung, Umverteilung und Zerstörung der Tradition glaubt, fatalerweise als Gipfel der Vernunft gilt. Das heißt, was sich vor unseren Augen abspielt, ist nicht einfach liebenswert naiv, sondern eine gefährliche Sache.

Grünen-Plakat zur EU-Wahl an einer Straße in Nordrhein-Westfalen Foto: picture alliance
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