Die Ankündigung der Daimler AG, künftig nicht mehr an politische Parteien zu spenden, hat die Parteienlandschaft schockiert. Thomas Bareiß (CDU), Parlamentarischer Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, nennt die Entscheidung „demokratiegefährdend“, CSU-Schatzmeister Thomas Bauer spricht in einem Interview von der „demokratischen Verpflichtung“ großer Firmen, Parteien wie die CSU zu finanzieren, und FDP-Schatzmeister Hermann Otto Solms behauptete gar, das Bundesverfassungsgericht selbst habe in seinem IV. Parteienfinanzierungsurteil von 1992 Industriespenden für verfassungsrechtlich erwünscht erklärt; dies dürfte aber ein sehr FDP-spezifisches Verständnis der Entscheidung sein, erhielt die mitgliederschwache Partei doch 2017 allein zwei Millionen Euro an publikationspflichtigen Großspenden (zum Vergleich: Grüne 540.000 Euro, SPD 470.000 Euro).
Die Entscheidung von Daimler hat zwei Gründe. Erstens: Der Autobauer hat stets an alle parlamentarisch bedeutsamen Parteien gespendet, so 2018 jeweils 100.000 Euro an die CDU und die SPD und je 40.000 Euro an Grüne, FDP und CSU. Nun lag es auf der Hand, daß im Rahmen dieses seit Jahrzehnten etablierten Systems kein Weg daran vorbeiführen konnte, alsbald auch die AfD entsprechend zu unterstützen, gerechterweise vielleicht mit 50.000 Euro, von denen 40.000 aus dem bisherigen Förderbetrag der SPD abzuziehen wären und 10.000 aus dem der CDU, um deren heutige parlamentarische Bedeutung widerzuspiegeln.
Bürgerkrieg gegen die eigene Autoindustrie
Freilich kann man sich das seitens des politisch-medialen Komplexes zu erwartende Echo einer solchen, eigentlich ja allein dem Wählerwillen geschuldeten Umschichtungsaktion vorstellen. Hätte Daimler hingegen auch weiterhin stur daran festhalten wollen, nur die Traditionsparteien zu unterstützen, so hätte selbst der entschiedenste AfD-Gegner zugeben müssen, daß hier ein Großkonzern seine wirtschaftliche Macht mißbraucht, um politisch zu steuern.
Zweiter Grund: Weiterhin zwar den Traditionsparteien zu spenden, nicht aber der AfD, wäre unter den gegebenen Umständen eine geradezu groteske Unternehmenspolitik. Denn den Stuttgartern kann nicht entgangen sein, daß alle im Bundestag vertretenen Parteien – außer eben der AfD – in eine Art Bürgerkrieg gegen die eigene Autoindustrie eingetreten sind, ein Vorgang, der in Deutschland noch vor fünf Jahren – wie manches andere – schlicht unvorstellbar gewesen wäre. Amerikaner und Chinesen kaprizieren sich auch deshalb auf Elektroautos, weil sie auf dem Feld der Verbrennungstechnologie gegen die deutschen Marktführer auf den Exportmärkten nicht den Hauch einer Chance hätten.
Nach dem einhelligen Willen der Politik soll die deutsche Autoindustrie künftig hingegen nur noch Blechkisten um in China zu fabrizierende Batterien herum bauen, die allein bei ihrer Herstellung mehr CO2 freisetzen als ein herkömmlicher Diesel während seiner gesamten Lebensdauer. So könnten rein nominal die Pariser Klimaschutzziele doch noch erreicht werden – nach denen nämlich China und Indien eigentlich beliebig weiter CO2 freisetzen dürfen, nur eben die Europäer nicht. So ist die Lage der Dinge; wie hätte also die Entscheidung der Daimler AG eigentlich sonst ausfallen sollen?
Durchgeboxte Reform
Das System der Parteienfinanzierung in Deutschland beruht auf dem Gedanken, daß die staatliche Förderung zur eigenen Einwerbung von Mitteln in Gestalt von Mitgliedsbeiträgen und Spenden durch die Parteien nur ergänzend hinzutritt. Indessen hatte das Bundesverfassungsgericht in seinem IV. Parteienfinanzierungsurteil eine staatliche Sockelfinanzierung der politischen Parteien für grundsätzlich legitim erklärt, solange durch diese den Parteien nicht „das Risiko des Fehlschlagens ihrer Bemühungen um eine hinreichende Unterstützung der Wählerschaft abgenommen“ würde.
Genau dies ist aber das Ziel der Reform der Parteienfinanzierung, die im heißen Sommer 2018 im Schatten der Fußballweltmeisterschaft von CDU/CSU handstreichartig im Bundestag durchgesetzt wurde, als die SPD infolge teurer Mitgliederbefragungen und Sonderparteitage wie durch das Entgleisen des Schulz-Zuges am Rande der Zahlungsunfähigkeit lavierte. Die Reform wurde in nur neun Werktagen (für drei Lesungen und eine Expertenanhörung) durchgeboxt.
Weil jede Änderung der Parteienfinanzierung durch den Bundestag stets „Gesetzgebung in eigener Sache“ ist, soll nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts die Einigkeit der Experten über die Berechtigung der Wünsche der Parteien letztlich wichtiger sein als die Mehrheit im Plenum. Der Opposition blieben nur zwei Tage – ein Donnerstag und ein Freitag –, um von woher auch immer Parteienfinanzierungsprofessoren herbeizutelefonieren.
Heimlich vorbereiteter Überfall
Die beiden jeweils von CDU/CSU und SPD bestellten Experten – die die Verfassungsmäßigkeit der Reform natürlich vollauf bestätigten – erschienen am folgenden Montag morgen ausgeruht und guter Dinge in Berlin, ihre schriftlichen Gutachten hatten sie bereits vorher eingereicht, wodurch sich das großkoalitionäre Gesetzgebungsvorhaben endgültig als ein heimlich vorbereiteter Überfall erwies.
Die übrigen Fachleute lehnten die Ausweitung der Parteienfinanzierung eigentlich ab. Die Reform stellt das bisher geltende Prinzip, nach dem die staatliche Finanzierung der Parteien stets nur ein Zubrot zu ihrem Erfolg beim Wähler ist, auf den Kopf. CDU/CSU und SPD reagierten auf ihre krassen Verluste bei der Bundestagswahl 2017 (Union minus 8,6, SPD minus 5,2 Prozentpunkte) mit einer offensichtlich verfassungswidrigen Ausweitung der staatlichen Parteienfinanzierung. Diese orientiert sich also gerade nicht mehr am Wahlerfolg, sondern umgekehrt offenbar am Erziehungsbedarf des untreuen Wählers.
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Dr. Ulrich Vosgerau ist Privatdozent für Öffentliches Recht an der Universität Köln.