Die erst im Januar 2019 von Nigel Farage spontan gegründete „Brexit Party“ ist die Einzelpartei mit den meisten Sitzen im neugewählten Europaparlament. Die eine Meldung illustriert bereits, wie dieses Wahlwochenende die politischen Verhältnisse in der Europäischen Union durcheinandergeworfen hat.
Farage ist nicht der einzige Sensationssieger. In Frankreich hat Marine Le Pens Rassemblement National mit gut 23 Prozent der Stimmen die Regierungspartei von Präsident Emmanuel Macron geschlagen, der schon den Elysée nur mit Mühe und mit Unterstützung einer „Alle gegen Le Pen“-Mobilisierungskampagne erobern konnte. Und in Italien wurde die Lega von Innenminister Matteo Salvini mit deutlich über 30 Prozent der Stimmen stärkste Kraft und verwies sowohl den bei der Parlamentswahl noch stärkeren Koalitionspartner „Fünf Sterne“ als auch die wiedererstarkten Sozialdemokraten auf die Plätze.
Den Gestaltungsanspruch wird sich der Machtmensch Salvini weder auf der nationalen noch auf der europäischen Bühne nehmen lassen. Die Krise der beharrenden Kräfte, von denen die Eurokraten-Nomenklatura getragen wird, ist eine europaweite Krise – das hat diese Wahlrunde gnadenlos ans Tageslicht gebracht.
Überlegenheit der „Volksparteien“ …
Auch im Europaparlament sind die Zeiten vorbei, in denen die sogenannten „Volksparteien“ schon aufgrund ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit die wesentlichen Fragen stillschweigend untereinander ausmachen konnten. In der neugewählten Straßburger Parlamentarierversammlung haben die großen Blöcke der traditionellen etablierten Großparteien – EVP-Christdemokraten auf der einen Seite, Sozialisten und Sozialdemokraten auf der anderen – keine Mehrheit mehr.
Das macht die Kungelei künftig komplizierter; schon das Gerangel um eine Bestätigungsmehrheit für den nächsten Kommissionspräsidenten dürfte zum Marathonlauf werden. Daß der glatte Apparatschik Manfred Weber (CSU) als „Spitzenkandidat“ des nominell immer noch relativ stärksten Parteienlagers bis ganz nach oben durchgewunken wird, ist alles andere als ausgemacht; schließlich steht nicht einmal die eigene Schwesterpartei vorbehaltlos hinter ihm.
Weber ist nicht nur ein Mann der alten Apparate, ihm haftet auch der Makel des deutschen Besserwissers an. Und die Deutschen sind wieder einmal auf einem Sonderweg, auch das läßt sich aus dieser Europawahl ablesen. Daß die „Klimaschutz“-Propagandawelle grünen Moralpolitikern zu einem beachtlichen Höhenflug verhilft, ist ein deutsches Sonderphänomen.
… diese Zeiten sind vorbei
Zwar haben auch in Frankreich und Großbritannien unter dem Eindruck des Siegeszugs EU- und migrationsskeptischer Parteien dortige „grüne“ Bewegungen leicht zugelegt. Aber nicht einmal in der schwedischen Heimat der „Klimaschutz“-Heiligen Greta Thunberg konnten grüne Kandidaten von der mit ihr verknüpften PR-Maschinerie profitieren. Wenn im neuen Europaparlament der grüne Block entgegen dem Etablierten-Trend ein paar Mandate mehr haben wird, ist auch das im wesentlichen ein deutscher Spezialeffekt.
Im Rest Europas gewinnen andere Themen an Gewicht. Mehr als jeder fünfte Europaabgeordnete wird künftig von konservativen, freiheitlichen oder identitätsorientierten Parteien, von EU-skeptischen und migrationskritischen politischen Kräften entsandt werden. Damit ist absehbar, daß es im neuen EU-Parlament auch mehr Widerstand gegen freiheitsfeindliche, die Souveränität und Interessen der Völker und Nationen mißachtende Regulierungen geben wird.
Parteien mit solcher oder vergleichbarer Ausrichtung melden sich inzwischen in nahezu allen EU-Mitgliedstaaten unüberhörbar zu Wort und geben dem Establishment kon-tra. Nicht überall stellen sie die stärkste politische Kraft wie die polnische Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“ oder die Fidesz des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán, die ihre absolute Mehrheit noch weiter ausgebaut hat. Ignorieren kann man sie trotzdem nicht so einfach: Vielerorts sind sie im Aufwind, wie die wiedererstarkte flämische Nationalpartei Vlaams Belang oder die neue Formation „Forum für Demokratie“ des Niederländers Thierry Baudet.
Die Zeichen stehen unzweifelhaft auf Renationalisierung
Mit den alten Rezepten – den europäischen Zentralismus forcieren und jeden, der sich dagegenstellt, für „dumm“ und „nationalistisch“ erklären, wie es zuletzt der scheidende Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker kurz vor dem Wahltermin in all seiner unbeholfenen Arroganz noch einmal versucht hat – wird man den Geist nicht in die Flasche zurückbekommen.
Auch nicht mit schmutzigen Methoden, die im Falle Österreich nach hinten losgegangen sind. Die FPÖ ist trotz „Ibiza-Affäre“ stabil aus der Europawahl hervorgegangen; für den folgerichtig per Mißtrauensvotum gestürzten Ex-Kanzler Sebastian Kurz dürfte das mutwillige In-die-Luft-Jagen der erfolgreichen türkis-blauen Koalition sich als Pyrrhussieg erweisen: Eine absolute Mehrheit ist für ihn trotz Stimmengewinnen bei der Europawahl wohl nicht in Sicht, und mit wem er nach den Neuwahlen im September regieren könnte, weiß er wohl selbst nicht.
Die Zeichen in der Europäischen Union stehen unzweifelhaft auf Renationalisierung. Darin steckt Krisenpotential, aber auch die Chance, die europäische Zusammenarbeit auf neuer Grundlage zu reformieren, auf politische Impulse von außen – nicht zuletzt die Migration – zu reagieren und für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu festigen. Ignoriert die deutsche Politik diese Chance, wird sie nicht nur Deutschland weiter isolieren und zum Spielball der egoistischen Interessen anderer machen, sondern über kurz oder lang auch die Hauptschuld an der möglichen Sprengung der Europäischen Union auf sich laden.