Dieser Präsident hat Sinn für Symbolik. Als am vergangenen Wochenende Barrikaden auf der schönsten Avenue der Welt errichtet wurden, war Emmanuel Macron im Schloß von Versailles. Als er am Dienstag seine Rede hielt, die ganz Frankreich als Antwort auf den landesweiten Protest der Gelbwesten erwartete, erwähnte er sie nicht einmal und ging nur vage auf die Forderungen ein. Dafür entfaltete er sein Programm zum Übergang zu einer ökologischen Wirtschaft.
Es klang wie bei den deutschen Grünen: soziale Fragen, Arbeitsplätze, ja selbst die Umwelt der Vögel oder Fische, die durch die Windräder in ihren Lebensräumen bedrängt und bedroht werden – all das zählt nicht, wenn Jupiter die Welt nach seinem Gusto formen will. Jupiter, so nennen die Franzosen den Präsidenten wegen seiner Abgehobenheit, seiner Überheblichkeit und seinen einsamen Entscheidungen im Olymp des Elysee. Jupiter hat wenig Sinn für die Nöte der Menschen. Schon gar nicht für die Masse, die Mittelschicht und jene, die in prekären Verhältnissen leben.
Klimapolitik auf dem Rücken der kleinen Leute
Es sind die kleinen Angestellten, die Rentner, die Alleinerziehenden, die Familien mit Kindern, die Verkäuferinnen und Busfahrer, die Reinigungskräfte und Ein-Mann-Unternehmen, all jene, die in den Städten keinen bezahlbaren Wohnraum gefunden, deshalb in den Vorstädten ein kleines Reihenhaus gekauft und sich damit verschuldet haben; die ihre Kinder in die Schule oder den Sportverein fahren, die für die vielen Wege ein Auto brauchen, jenes Auto, das die Regierung ihnen jahrzehntelang empfohlen und mit Subventionen schmackhaft gemacht hat: einen Diesel. Die Hälfte der Franzosen fährt Diesel, die Hälfte lebt in Ortschaften unter zehntausend Einwohnern. Der Diesel ist für sie das Gefährt in die Welt, es macht die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben möglich, es garantiert, wie die Gelbwesten selber sagen, „ein Leben in Würde“.
Diese kleinen Leute haben nichts gegen die Umwelt. Aber sie wollen die Kirche im Dorf lassen. Das Monatsende mit dem leeren Portemonnaie ist ihnen näher als die Tartarennachrichten vom Ende der Welt, wie sie die grünen Eliten verbreiten. Sie haben das Gefühl, daß diese Eliten durch die Welt fliegen und auf ihren Klimagipfeln die Apokalypse auf dem Rücken der kleinen Leute verhindern wollen.
Die Gelbwesten sind nur die Spitze des Eisbergs für dieses Lebensgefühl. Ihr plötzliches Erscheinen auf der politischen Bühne war nicht organisiert. Keine Gewerkschaft, keine Partei, keine NGO, keine Struktur lenkt diese spontane Bewegung. Sie wollen einfach weniger Steuern zahlen und schon gar nicht die angekündigte neue Erhöhung der Benzinsteuer. Ende der Welt versus Ende des Monats, Umweltpolitik gegen Sozialpolitik, Volkswille gegen Elitedünkel – das ist der schneidende Gegensatz, der im Moment durch Frankreich geht. Dieser Präsident hat Sinn für Symbolik und Dramaturgie – ein Herz für die Armen hat er nicht.
Der Innenminister beschimpft die Gelbwesten
Macron hält de facto an seinen Reformplänen fest. Die Spritsteuer soll kommen, aber vom Ölpreis abhängig gemacht werden; übrigens eine Idee, die Macrons Koalitionspartner François Bayrou schon vor Wochen ventiliert hatte. Windräder sollen das Flächenland und seine Küsten überziehen, Sonnenpanele und Wasserkraftanlagen sollen ausgebaut werden und den Anteil der Atomenergie von heute 75 Prozent bis 2035 auf 50 Prozent drücken. Ein kleines Geschenk hatte Macron auch für seine deutschen Freunde: Das älteste Atomkraftwerk Frankreichs in Fessenheim soll bis Sommer 2020 vom Netz. Das war zwar eh geplant, aber mit dem konkreteren Termin konnte er die rotgrünen Freunde auf der anderen Rheinseite beglücken.
Dagegen haben die Gelbwesten nichts, sie wollen schlicht weniger Steuern zahlen. Frankreich steht in Europa an der Spitze der Länder mit der höchsten Abgabenlast (Sozialabgaben und Steuern). Sie wollen gehört und verstanden werden. Alle Politiker der Regierung versprechen es. Aber das Ergebnis sieht so aus: Alle halten an den Reformen fest.
Die Gelbwesten wurden vom Umweltminister empfangen – keine Annäherung. Sie wurden vom Präsidenten nicht einmal erwähnt. Innenminister Christophe Castaner beschimpft sie als „braune Pest“. Und während sie darben, denkt die First Lady daran, den Festsaal im Elysee neu einzurichten nach ihrem Geschmack – für rund eine halbe Million Euro.
Arroganz der Macht
Niemand kann es erstaunen, daß bei so viel Arroganz der Macht die Gelbwesten weitermachen wollen. Sie geben sich ein Rendezvous in Paris am kommenden Wochenende. Möglicherweise wird es radikaler. Aber sie wollen keine Gewalt und distanzieren sich auch von den Krawallmachern. Bald werden die ersten Zahlen über die wirtschaftlichen Verluste wegen des einbrechenden Weihnachtsgeschäfts die Runde machen. Aber die Gelbwesten haben nichts zu verlieren, sie wollen nicht nur gehört, sondern auch verstanden werden. Die Bevölkerung steht mit großer Mehrheit hinter ihnen. Kein Wunder, sie sind das Volk.