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Diplomatische Krise: Trendverstärker Erdogan

Diplomatische Krise: Trendverstärker Erdogan

Diplomatische Krise: Trendverstärker Erdogan

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Rutte und Erdogan: Beide profitieren vom diplomatischen Scharmützel Foto: picture alliance / dpa
Diplomatische Krise
 

Trendverstärker Erdogan

Von der diplomatischen Krise zwischen den Niederlanden und der Türkei profitieren derzeit alle: der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte ebenso wie dessen Gegner Geert Wilders, der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan, aber auch Europa. Ein Kommentar von Jürgen Liminski.
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So klare Worte gibt es nur in Wahlkampfzeiten. Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte fordert eine Entschuldigung vom türkischen Präsidenten Erdogan wegen dessen Nazi-Vergleich und gab gleichzeitig eine Reisewarnung für die Türkei aus. Erdogan hält mit Drohungen von Sanktionen dagegen. Viele Eskalationsstufen gibt es eigentlich nicht mehr.

Nun wird in beiden Ländern gewählt, und Wahlkämpfe sind Zeiten politischer Hochfeste. Programme werden angepriesen, Ideen propagiert, Anhänger mobilisiert. Das probate Mittel sind Emotionen. Kaum etwas eignet sich dafür besser als der Rückgriff auf Ehre und Nation. Das zieht immer, egal wo. Denn es hat mit der Identität zu tun.

„Win-win“-Situation

Und wenn, wie jetzt in der türkisch-niederländischen Krise, Ehre und Nation von Erdogan angegriffen werden, dann werden Gefühle aufgewühlt, und das ist, in diesem Fall für den christdemokratischen Ministerpräsidenten Mark Rutte, ein veritables Wahlgeschenk. Dafür muß er dem Maulhelden vom Bosporus nicht dankbar sein. Denn das gleiche gilt für Erdogan: Für ihn ist die Zurück-und Zurechtweisung seiner Minister ein Geschenk. Er kann jetzt noch prächtiger polemisieren, polarisieren und Stimmen fangen. Politisch gesehen eine „Win-win“-Situation.

Das Ergebnis könnte auch für beide gleich sein. Rutte, der bis dahin einen schweren Stand gegen den Rechtsaußen Geert Wilders hatte, dürfte am Mittwoch einen Sieg einfahren und Wilders weiter am oppositionellen Rand festnageln. Unter den 24 Parteien, die sich um die 150 Mandate bewerben, dürfte Rutte auch genügend Koalitionspartner finden. Erdogan muß allerdings noch ein wenig weiter rumpöbeln, sein Referendum ist erst Mitte April. Da es in den Niederlanden „nur“ rund 400.000 wahlberechtigte Türken gibt, wird er sich wahrscheinlich wieder Deutschland zuwenden. Hier leben mehr als fünfmal soviel.

Aber diese diplomatischen Rempeleien haben auch ihren Preis. Es geht nicht mehr wie früher um Wirtschaft, Wohlstand und soziale Absicherung. Bei knapp sechs Prozent Arbeitslosigkeit, zwei Prozent Wachstum und einem der ausgewogensten Sozialsysteme Europas denken die Niederländer mehr an die Sicherung ihrer Lebensart als daran, wie man das Niveau noch steigern könnte. Mit anderen Worten: In einer unkontrollierten Zuwanderung sehen sie Gefahren.

Wilders verspricht weniger für Ausländer, mehr für die heimische Bevölkerung

Darin sieht Wilders seine Chance. Er verquickt Identitätsfragen mit Wohlstandsfragen. Konkret: Er verspricht weniger für Ausländer und mehr für die heimische Bevölkerung, etwa frühere Rente, höheren Mindestlohn oder mehr Sozialhilfe. Er wendet sich vor allem an die prekäre Mittelschicht, die wie in Deutschland den Eindruck hat, für Einwanderer tue man alles, für die eigenen Leute nichts. Dieser Eindruck ist emotional bereits so tief verankert, daß Argumente und Fakten im Wahlkampf keine Zweifel mehr aufkommen lassen.

Wilders wendet sich auch an die wohlhabende Mittelschicht, die um ihren Wohlstand und vor allem um ihre Sicherheit bangt. Auch hier spielen Emotionen eine entscheidende Rolle. Man stellt sich Fragen wie: Wie soll es mit dem Islam weitergehen? Wie mit der Flüchtlingsfrage? Was ist mit der inneren Sicherheit? Was tun mit den Parallelgesellschaften? Letztlich geht es bei diesen Fragen in der Tat um Identität.

Deshalb hatte Wilders trotz der guten Basisdaten Aussichten, als stärkste Partei durchs Ziel zu laufen. Jetzt wirken seine Parolen gegen türkische Muslime wie Nachtreten. Aber auch er kann sagen: Wir haben das Land nach rechts gerückt. Und das stimmte schon vor dem Geschenk aus Ankara. Rutte hatte in einem offenen Brief sein Unbehagen gegen integrationsunwillige Migranten, sprich gegen Muslime, geäußert.

Minister als Bauernopfer

Man fühle, so Rutte, „ein wachsendes Unbehagen, wenn Menschen unsere Freiheit mißbrauchen, um hier alles durcheinanderzubringen“. Er verstehe gut, daß Niederländer dächten: „Wenn du unser Land so fundamental ablehnst, ist es mir lieber, daß du weggehst. Das Gefühl habe ich nämlich auch. Sei normal oder gehe“. Dieses Gefühl breitet sich aus, es wird zum Trend, und dieser Trend wird stärker werden in Europa – dank Erdogan. Es ist niemandem mehr zu vermitteln, warum die EU die Beitrittsverhandlungen mit Ankara nicht längst ad acta gelegt hat.

Das alles ficht Erdogan nicht an. Ihm geht es allein um die Provokation. Er schickt Minister als Bauernopfer in die diplomatische Schlacht, damit diese ausgeladen und zurückgewiesen werden und er das türkische Wahlvolk zum „Widerstand“ an seiner Seite aufrufen kann. Die Nazi-Parolen dienen nur der Provokation.

Sie interessieren die meisten Türken nicht. Hitlers „Mein Kampf“ ist in der Türkei seit Jahren ein Bestseller. Aber mit diesen Parolen kann er Deutsche und Holländer zum Handeln zwingen. In Holland hat es funktioniert. In Deutschland lief er damit vorerst ins Leere, die Veranstaltungen scheiterten bisher an kommunalen Umständen und an der Unehrlichkeit der Türken.

Rutte und Erdogan: Beide profitieren vom diplomatischen Scharmützel Foto: picture alliance / dpa
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