Die Volksfront hat ihre Reihen geschlossen: von der taz bis zur FAZ. Geschlossen gegen ihren mächtigsten Gegner: die freie Meinungsäußerung. Anlaß: die Nennung eines Buches aus dem Verlag Antaios in der Sachbuchbestenliste des NDR; Verfasser: ein „rechtsextremer Autor“; Name: Rolf-Peter Sieferle; Titel: „Finis Germania“.
Bis dato war Sieferle nur einem interessierten Kreis bekannt. Der Professor an der Eidgenössischen Hochschule St. Gallen schrieb nicht für das breite Publikum; ein Gelehrter von Rang und schon deshalb geneigt, seinen Weg jenseits der Hauptstraßen des Geistes zu suchen. Im vergangenen Herbst erregte allerdings die Nachricht ein gewisses Aufsehen, daß er sich das Leben genommen habe.
Aber erst eine Veröffentlichung ausgerechnet im Wirtschaftsteil der Frankfurter Allgemeinen machte diesen Tatbestand publik, verknüpfte die Information mit allerlei Taktlosigkeiten und küchenpsychologischen Erwägungen sowie der Feststellung, daß Sieferle sich in seinen späten Jahren politisch nach rechts gewandt habe.
Mehr antifaschistische Wachsamkeit
Die Sache war unerfreulich genug, auch wegen der Fehler und Ungenauigkeiten des Verfassers Jan Grossarth. Ganz unter den Tisch gekehrt hatte er die Tatsache, daß es die FAZ gewesen war, die früh begonnen hatte, Sieferle ohne sachlichen Grund anzugreifen und bestritten hatte, daß es lohne, dessen Auffassungen zur Kenntnis zu nehmen und zu diskutieren.
Das geschah zu einem Zeitpunkt, als man Sieferle höchstens vorwerfen konnte, daß er Spengler ernster nahm als der Rest seiner Kollegen. Erst mit seiner Arbeit über Meisterdenker der Konservativen Revolution war tatsächlich ein Bruch vollzogen. Ganz verstanden hatten das die meisten Beobachter aber nicht. Nur in der Frankfurter Rundschau fragte ein aufmerksamer Blockwart verstört, wieso ein derartiger Band im Lektorat eines Publikumsverlages habe durchrutschen können; in Zukunft sei mehr antifaschistische Wachsamkeit gefordert.
Diese Zukunft ist jetzt da. Aber der Reihe nach. Seit mehr als 15 Jahren veröffentlicht NDR Kultur gemeinsam mit der Süddeutschen Zeitung und dem Börsenblatt des Deutschen Buchhandels die Empfehlungen der unabhängigen Jury „Sachbücher des Monats“. Dem Gremium gehören Redakteure verschiedener Medienhäuser an, darunter die Frankfurter Allgemeine Zeitung, Die Welt, Süddeutsche Zeitung, Der Spiegel, Die Zeit und Deutschlandfunk.
Bei der Empfehlung der Sachbücher für den Monat Juni hatte ein Juror – verblüffender Weise der Spiegel-Redakteur Johannes Saltzwedel – es gewagt, sein Stimmrecht in der Jury der Sachbuchbestenliste zu nutzen und das zu tun, was doch angeblich ganz im Sinn der Heutigen ist: Er hat Aufklärung getrieben und sich ohne Anleitung seines Verstandes bedient und deshalb gefordert, ein Buch zu lesen, in dem die meisten heiligen Kühe geschlachtet werden, die heute herumlaufen.
Er habe, erklärte Saltzwedel jetzt, „bewußt ein sehr provokantes Buch der Geschichts- und Gegenwartsdeutung zur Diskussion bringen wollen. Sieferles Aufzeichnungen sind die eines final Erbitterten, gewollt riskant formuliert in aphoristischer Zuspitzung. Man möchte über jeden Satz mit dem Autor diskutieren, so dicht und wütend schreibt er.“
Das Denkbare wurde eingeschränkt
Aber niemand begrüßte das als notwendigen Tabubruch, als unangepaßtes Tun, kritisch und nonkonform. Vielmehr ertönt der Ruf nach Zensur und dräuend ist von „verbotenen Inhalten“ die Rede. Dann ziehen sich natürlich die ersten Prominenten zurück. Der NDR kündigte die Zusammenarbeit auf, und das alles, obwohl die Süddeutsche Zeitung längst den fälligen Kotau vor den Zeitgeistwächtern vollzogen hat.
Was ist das? Das ist ein neuerlicher Sieg der Linken, genauer: der dummen Linken. Der dummen Linken, die sich überall festgesetzt hat, in den Kollegien und den Pfarrhäusern, in den Akademien und in den Redaktionen, überall da, wo Meinung gemacht wird.
Sie hat dafür gesorgt, daß in den vergangenen fünfzig Jahren das Spektrum des Denkbaren und Sagbaren immer weiter eingeschränkt wurde, bis zum Punkt, an dem wir heute angekommen sind, an dem das bürgerliche Leitorgan sich um keinen klugen Kopf mehr schert, sondern nur noch gewinnen will, im Wettlauf um den ersten Preis politischer Korrektheit.
Geistiger Mut ist selten
Zugegeben: Es gab auch einmal eine andere, eine intelligente Linke. Sieferle war ein solcher intelligenter Linker, damals dabei, im SDS, der Speerspitze der Achtundsechziger. Aber er war nicht links aus Sentimentalität oder Borniertheit wie die vielen, sondern auf der Suche nach einer wirklichkeitsgerechten Deutung der Welt.
Er hat seinen Irrtum erkannt und sich abgekehrt. Dazu bedurfte es des Mutes. Zuerst des geistigen Mutes. Eine seltene Sache in dieser Zeit, aber unendlich wertvoll, wenn es darum geht, an Freiheit zurückzugewinnen, was man uns genommen hat.