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Einwanderung: Zu den Aussichten eines neuen Vielvölkerstaates

Einwanderung: Zu den Aussichten eines neuen Vielvölkerstaates

Einwanderung: Zu den Aussichten eines neuen Vielvölkerstaates

Asylsuchende auf dem Weg nach Deutschland
Asylsuchende auf dem Weg nach Deutschland
Asylsuchende auf dem Weg nach Deutschland Foto: picture alliance
Einwanderung
 

Zu den Aussichten eines neuen Vielvölkerstaates

Deutschland ist durch die derzeitige Masseneinwanderung auf dem Weg zu einem Vielvölkerstaat. Für die Bundesrepublik ergeben sich dadurch große Risiken. Wenn das System die Wünsche der neuen Einwanderer nicht erfüllen kann oder will, entstehen notwendigerweise ethnische Konflikte. Ein Gastbeitrag von Ferhad Seyder.
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Weißmann, Reich, Republik, Nachkriegsrechte

Die Erfahrungen unserer Zeit, sie sprechen eher gegen das Vielvölkerstaatenmodell. Der Zerfall der Sowjetunion, die Konflikte in und um Rußland, die Trennung der Tschechen und Slowaken und die Kriege auf dem Balkan geben keinen Anlaß für die Zukunft der Vielvölkerstaaten. Die Dauerkrise in Belgien zeigt auch, daß moderne, ethnisch plurale Staaten entlang der ethnischen und konfessionellen Grenzen zerfallen können.

Die Transformation stabiler Staaten wie Deutschland und Schweden in Vielvölkerstaaten birgt große Risiken in sich, die von dem Aufflammen von ethnischen Konflikten bis hin zu gewaltförmigen Konflikten reichen. Die einzigen halbwegs funktionierenden Vielvölkerstaatsmodelle, Indien und die USA, waren kein Vorbild für eine normativ gesehen integrierte Gesellschaft. Während Indien eine unbestrittene mosaikartige Struktur hat, entwickeln sich die USA stetig zu einem Wirtschaftsraum. Die Vorstellung von dem Schmelztiegel ist nach der rigorosen Einwanderung aus Süd- und Mittelamerika ein Anspruch geworden, der real nicht verifizierbar ist.

Konturen der Parallelgesellschaft nicht mehr zu übersehen

Beide Modelle waren in der Vergangenheit kein Vorbild für Deutschland. Die Debatten, die wir seit der Anwerbung der Gastarbeiter erlebt haben, stellte die Integration als Ziel dar. Mit der Integration meinte man aber eine milde Assimilation. Irgendwie kam der Begriff Assimilation im Zeichen der extremen political correctness der westdeutschen politischen Kultur in Verruf. Vergessen wurde, daß die Assimilation stets mit der Emanzipation der Juden verbunden war und eine positive Konnotation hatte. Auf dieser Welle schwebte auch der jetzige türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan, als er im Juni 2010 vor seinem Publikum verkündete: „Die Assimilation ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.“ Ihm ist in diesem Moment entfallen, daß die Türkei das größte Assimilationsprogramm der modernen Geschichte gegen ihre Kurden umgesetzt hat.

Der Umgang mit Arbeitsmigranten und Flüchtlingen in Deutschland war, nachdem die Integrationsdebatte abgeklungen war und nachdem die multikulturelle Gesellschaft weniger Erfolg zeigte und die Konturen der Parallelgesellschaft nicht mehr zu übersehen waren, davon geprägt, daß man in der Wissenschaft, aber auch in der Politik dazu überging, die Differenz anzuerkennen. Anders als in der nordamerikanischen Debatte verzichtete man in der deutschen wissenschaftlichen Debatte und auch in der Politik darauf, einen eigenen Standpunkt zu bestimmen – was der Göttinger Politologe Bassam Tibi immer wieder unter dem Begriff „Leitkultur“ vergeblich vorgeschlagen hat. Die CDU machte einen verzagten Versuch, um später sich vor ihrem eigenen Image zu erschrecken.

Auch die Überprüfung der Differenz, die zu anerkennen war, fand nicht statt. Erfordert die Anerkennung der Differenz wirklich, daß Traditionen, Normen und Werte hingenommen werden, die weder mit dem Grundgesetz noch mit den universell anerkannten Normen und Werten übereinstimmen? Institutionen und Diskurse wurden vom Staat verordnet, ohne eine eingehende Debatte und ohne eine überzeugende Begründung. Warum zum Beispiel wurden die Muslime durch eine Islamkonferenz privilegiert? Ohne demokratische Legitimation durften Vertreter des Islam mit den demokratisch legitimierten Vertretern der Staatsorgane „verhandeln“.

Keine Bestimmung eines eigenen Standpunktes

Sind alle aus den islamischen Ländern stammenden Migranten Muslime? Diese verifizierbare Aussage hat die Bundeskanzlerin neulich in einer Begegnung mit den Schweizern wiederholt. Die Bundeskanzlerin islamisiert dadurch Menschen aus dem sogenannten islamischen Kulturkreis. Sind beispielsweise die aus der Türkei stammenden Aleviten mit den Sunniten aus der Türkei und aus den arabischen Staaten gleichzusetzen? Weder die Fachleute noch die Akteure würden dies tun.

Die leichtfertige faktische Anerkennung der Differenz hat andere fatale Konsequenzen, die ein Kennzeichen und Privileg des modernen Staates verletzt. Scharia-Polizei und die inoffizielle islamische Rechtsprechung sind logische Konsequenzen eines Systems, das sich vor der Bestimmung seines Standpunktes scheut. Es wundert daher nicht, daß andere Staatsorgane eminent religiöse Symbole wie das Kopftuch als Ausdruck persönlicher Freiheit deklarieren. Es sind dies Auswüchse der unkontrollierten Anerkennung der Differenz.

Wie können aber die Flüchtlinge im Rahmen einer desaströsen Migrantenpolitik aufgenommen werden? Und wie kann man es versprechen, daß weitere Millionen aufgenommen werden könnten?

Qualifikation wird nicht vorausgesetzt

Hier zeichnen sich als Erklärung zwei Wege ab: Der erste Weg wäre, die bisherige nichtintegrative Politik fortzusetzen. Dies bedeutet, die Entwicklung von Parallelgesellschaften würde als fait accompli hingenommen und darüber hinaus als eine Variante der multikulturellen Gesellschaft legitimiert werden. In diesem Fall muß den regierenden Eliten von der CDU bis zu den Grünen unterstellt werden, daß sie Deutschland als einen bloßen Wirtschaftsraum sehen und zu einer globalen Sozialstation klassifizieren. Es steht aber sicher fest: In diesem Wirtschafts- und Wohnraum werden die Leistungen des Wohlfahrtstaates mit dem rapiden Zuzug der Flüchtlinge und anderer Migranten abnehmen. Das Konzept eines Wirtschafts- und Wohnraums ist so lange funktional, solange die ökonomische Prosperität eine gewisse Stabilität zeigt, was in einem liberalen Wirtschaftssystem mit kontinuierlichen Krisenphasen ein Unsinn wäre.

Die Äußerungen der Kanzlerin, daß Deutschland es schaffen würde, mit dem Flüchtlingsproblem fertig zu werden und die Verkündung ihres Vize Gabriel, daß jährlich 500.000 Flüchtlinge sich in Deutschland niederlassen dürften, erwecken den Eindruck, daß beide von einer krisenfesten Wirtschaft ausgehen. Denn es ist kein Geheimnis, daß die Flüchtlinge für längere Zeit den Sozialstaat konsumieren müssen. Auch die angeblich qualifizierten Flüchtlinge aus Syrien werden mehr Zeit beanspruchen, bis sie auf eigenen Füßen stehen können.

Es drohen ethnische Konflikte

Es ist aber nicht auszuschließen, daß Merkel und die regierende Riege, alarmiert von der negativen demographischen Entwicklung, eine Art Bevölkerungssubstitution intendieren. Die Substitution beschränkt sich hier auf eine zahlenmäßige Entwicklung der Bevölkerung. Die Qualifikation sowie die Integrationsfähigkeit können bei der Gruppe der Immigranten nicht vorausgesetzt werden. Hier herrscht das Prinzip Zufall. Wenn der Aufnahme von Flüchtlingen primär die Korrektur der Bevölkerungspolitik zugrunde liegen sollte, dann nimmt die Regierung Merkel die Formierung eines Vielvölkerstaates bewußt in Kauf.

Aus der bisherigen Geschichte der Migration nach Deutschland wissen wir, daß bestenfalls eine desintegrierte multikulturelle Formation das Resultat sein kann. Eine rasche Rekrutierung von mehreren Millionen neuen Zuwanderern wird vermutlich eine kulturelle und soziale Segregation eher fördern. Das Ergebnis wäre nicht nur die Formierung von vagen Parallelgesellschaften, sondern von ethnischen Gruppen, die ihm Rahmen des Vielvölkerstaates einen gesicherten Status im Rahmen des politischen Systems beanspruchen könnten. Wenn das System die Wünsche nicht erfüllen kann oder will, entstehen notwendigerweise ethnische Konflikte. Dies könnte Ansprüche von politischen Quoten begründen. Die Ansprüche der segregierten Gruppen können die Partizipation in den Staatsorganen, aber auch die politische Anerkennung als ethnische und religiöse Gemeinschaften beinhalten.

Prof. Dr. Ferhad Seyder lehrt Politikwissenschaft an der FU-Berlin.

Asylsuchende auf dem Weg nach Deutschland Foto: picture alliance
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