Hat man sich damit abgefunden, daß der Große Bruder von jenseits des Atlantiks seine elektronische Nase gern überall hineinsteckt – oder warum bleibt die Reaktion auf die jüngsten Enthüllungen zum NSA-Spionagetreiben so lustlos und lau? Dank „Wikileaks“ hat es jetzt die Öffentlichkeit schwarz auf weiß, daß neben der Kanzlerin weitere Ministerien und hohe Beamte abgehört wurden, dazu noch einflußreiche Medien, und daß Wirtschaftsspionage dabei ein vorrangiges Motiv war. Da müßten eigentlich alle Alarmglocken schrillen.
Statt dessen erleben wir ein Schauspiel der peinlich Berührten und Ertappten, die mehr gewußt haben, als sie bisher zugeben wollten, und auch einiges unter den Teppich kehrten. Wenn Regierungsmitglieder das Parlament belogen haben, wenn der BND gar gedankenlos oder wissentlich Handlangerdienste beim Ausspähen heimischer Unternehmen geleistet hat, ist das zweifellos ein Skandal, der nach Aufklärung verlangt.
Abbild der Machtverhältnisse
Aber das ist nicht der Kern des Problems. Die NSA-Spionageaktivitäten sind ein Abbild der Machtverhältnisse. Der Hegemon der westlichen Welt nimmt sich heraus zu tun, wozu er die Macht und die technischen Mittel hat, und denkt nicht daran, darauf freiwillig zu verzichten. Das hätte man in Berlin schon vor der Bauchlandung mit dem vergebens erbettelten „No-Spy-Abkommen“ wissen können. Spionage auf deutschem Boden wird es auch in Zukunft geben, mag man jetzt auch Botschafter einbestellen. Da hilft eine „harte Sprache“, wie sie die Linksopposition fordert, genausowenig wie das frühere hilflose „Ausspähen unter Freunden geht gar nicht“ der Bundeskanzlerin. Staaten haben keine Freunde, sondern Interessen.
Und die muß man eben wahren, auch gegenüber Verbündeten. Das ist keine spezifisch deutsche Herausforderung. Auch die politische und wirtschaftliche Elite der Trittbrett-Siegernation Frankreich und die südamerikanische Vormacht Brasilien, die mit den Vereinigten Staaten nie im Krieg stand, sind im Visier der NSA-Spione.
Deutschland setzt falsche Prioritäten
Wer sich emanzipieren will, muß sich Kooperationspartner mit ähnlich gelagerten Interessen suchen und die Zusammenarbeit mit den US-Diensten nüchtern und geschäftsmäßig auf das im Eigeninteresse Gebotene – die Terrorabwehr etwa – beschränken. Ein Hochtechnologieland sollte im übrigen in der Lage sein, selbst Strategien und Techniken zu entwickeln, um sich, seine Bürger sowie seine Unternehmen vor Ausspähung zu schützen.
Ein Deutschland, das seine finanziellen und intellektuellen Ressourcen dafür verplempert, die halbe EU zu alimentieren, das Pleite-Experiment Euro um jeden Preis am Leben zu erhalten, die illegalen Einwandererströme dieser Welt komfortabel zu umsorgen und nebenher auch noch das Weltklima steuern zu wollen, setzt offenkundig die falschen Prioritäten.
JF 29/15