Wenn Minister der Großen Koalition klein beigeben, dann sollte man auf das noch kleiner Gedruckte in den Gesetzestexten achten. Das ist besonders bei Frau von der Leyen geboten. Ihr Schwenk in Sachen Betreuungsgeld könnte sich als taktischer Zug oder auch, etwas deutlicher gesagt, als Betrugsmanöver entpuppen.
Zur Taktik: Es ist im Moment, da die SPD wieder zur Geschlossenheit zurückfindet, nicht angebracht, in der Union einen Streit auszufechten, bei dem es um Stammwähler geht. Die CSU hat nämlich erkannt, daß drei Viertel ihrer Wähler für das Betreuungsgeld sind. Angesichts dieser Sachlage wäre es selbstmörderisch, den Vorlieben der Ministerin nachzugeben.
Auch die Bundeskanzlerin hat erkannt, daß sie in dieser Frage bei der CSU auf Granit stößt. Anfang Dezember soll das Gesetz zum Ausbau der Kinderbetreuung verabschiedet werden. Dann wäre es zum Showdown mit den CSU-Ministern gekommen, das mußte verhindert werden. Man hat eine Formel gefunden, so daß es nun nur ein Scharmützel mit den lieben Kollegen von der SPD geben dürfte.
Auch angesichts der koalitionären Verkrampfungen zur Lagerbildung – kurz vor der Niedersachsen- und Hessen-Wahl – wäre Streit in der Union wirklich schädlich. Er fiele auf die CDU zurück, nicht auf die CSU. Die SPD würde profitieren. Also gibt man nach außen klein bei und beruhigt die (SPD-)Berater im eigenen Ministerium mit der Formel: Bis 2013 kann noch viel passieren, Hauptsache, wir bauen jetzt die Staatsgewalt in den Krippen aus.
Damit ist man beim Betrugsmanöver: Mit dem nicht garantierbaren Versprechen für 2013 stellt man die CDU-Klientel ruhig. Wenn erst mal 750.000 Krippenplätze bereit und der Rechtsanspruch auf einen Platz bestehen, dann, so hofft offenbar von der Leyen, werden die Mütter ihr Recht schon wahrnehmen und auf das Betreuungsgeld verzichten. Außerdem kann man bis dahin die Gesetze noch etliche Male ändern, je nach Lage.
Ferner kann man bis dahin von den Eltern genügend Geld abschöpfen, so daß das Betreuungsgeld kostenneutral bleibt. So macht man es ja auch schon bei der Finanzierung der Krippenoffensive. Hier beteiligt sich der Bund an den Betriebskosten, indem er den Ländern einen Teil der Umsatzsteuer abgibt, eine Steuer, die vor allem von den konsumstarken Teilen der Bevölkerung, also den Familien, aufgebracht wird.
Der Schwenk der Ministerin ist also mit Vorsicht zu beobachten. Auch aus ideologischen Gründen ist ihr kaum noch zu trauen. Sie hat sich, seit sie in Berlin amtiert, als späte Jüngerin von Marx und Engels gezeigt. Die forderten auch, daß der Staat die Erziehung zu übernehmen habe, damit die Frauen stärker in die Produktion eingebunden werden könnten. Das kann auch unbewußt geschehen, die „siebenfachste Mutter aller Zeiten“ (Spiegel) verfolgt einfach die Interessen der Wirtschaft. Ihre Familienpolitik ist Arbeitsmarktpolitik, Familie ist der Arbeit untergeordnet, eben wie bei Marx und Engels. Das Kindeswohl ist bestenfalls zweit-, auf jeden Fall aber nachrangig.
<---newpage---> Die Wahlfreiheit wird ökonomisch eingeschränkt
Immerhin hat sie es geschafft, mit ihrer Krippenoffensive sämtliche Kollegen im Kabinett und auch das Parlament zu blenden. Niemand hinterfragt mehr die ominöse Zahl von 750.000 Plätzen. Schon aus demographischen Gründen dürfte der wirkliche Bedarf allenfalls bei 450.000 Plätzen liegen.
2013 wird es aller Voraussicht nach 1,9 Millionen Kinder unter drei Jahren geben. Wenn ein Jahrgang das Elterngeld in Anspruch nimmt, was wahrscheinlich ist, kommen theoretisch 1,2 Millionen Kinder für Krippen in Frage, das wäre dann bei 750.000 Krippenplätzen schon eine Betreuungsquote von rund 65 Prozent. Aber so viele Frauen wollen die Kinder gar nicht in die Fremdbetreuung geben, im Gegenteil, wenn sie könnten, würden sogar mehr als zwei Drittel ihre Kinder selber erziehen. Könnten die Mütter frei entscheiden, bräuchte man nur 450.000 Krippenplätze.
Es wird also eine Struktur geschaffen, die auch Bedürfnisse schaffen soll. Dieses Bedürfnis kann man zusätzlich erzwingen, indem man die Option des Zuhausebleibens, mithin die Wahlfreiheit ökonomisch weiter einschränkt. Deshalb hat die Frauenministerin das Betreuungsgeld mit Grünen-Kolleginnen als Flachbildschirm- oder Saufgeld diskriminiert. Heute wagt es in der Politik kaum jemand, gegen diesen ideologisch bestimmten Ausbau die Stimme zu erheben.
Und die Qualität der Krippen? Eigentlich hätte man annehmen können, daß diese Frage vor dem Ausbau des Systems geklärt wäre. Aber auch das ist eine Rechnung ohne die Wirtin. 500.000 Plätze mehr, das entspräche bei einem Betreuungsschlüssel von einer Erzieherin auf fünf Kinder einem Volumen von hunderttausend neuen Erzieherinnen. Aber nirgendwo sind Pläne für neue Ausbildungsstätten aufgetaucht. Auch von Lehrplänen hat man noch nichts gesehen. Dafür schwadronierte die Ministerin unwidersprochen, demnächst könne man mit der Qualitätsdebatte beginnen. Als ob Qualität zum Nulltarif zu bekommen wäre.
Nein, Ministerin und Regierung haben nicht das Interesse der Familien und der Kinder im Blick. Je freundlicher sie lächeln, um so mißtrauischer sollte man den Blick in das Kleingedruckte senken.
Jürgen Liminski ist beim Deutschlandfunk und befaßt sich vorrangig mit Fragen der Gesellschafts- und Familienpolitik