In der AfD kracht es derzeit an vielen Stellen. In vielen Landesverbänden herrschen Streit und Machtkämpfe. Im Zentrum der Auseinandersetzungen steht dabei nicht selten der „Flügel“ um Thüringens AfD-Chef Björn Höcke und die Frage, wie viel Einfluß dieser in der Partei ausüben soll, kann und darf. Die JUNGE FREIHEIT hat hierzu mit dem stellvertreten AfD-Vorsitzenden Kay Gottschalk gesprochen.
Eine gekürzte Wahlliste in Sachsen, ein abgebrochener Parteitag in NRW, Parteiausschluß eines Landesvorsitzenden in Mecklenburg-Vorpommern – kommt die AfD nicht zur Ruhe?
Gottschalk: Wenn eine Partei so rasant wächst wie die AfD, die nach gerade einmal etwas über sechs Jahren ihres Bestehens in allen Landtagen sitzt, im Bundestag und im EU-Parlament, sind Turbulenzen gewissermaßen Teil ihrer Genese. Irgendwann wird auch bei uns die Ruhe der Routine einkehren – aber ich glaube, das wird noch ein paar Jahre dauern.
Offensichtlich kämpft die AfD um ihre Ausrichtung. In einem nun öffentlich gewordenen Schreiben des Bundesvorstandes an das Bundesschiedsgericht heißt es „Die besondere Gefahr, der die Partei Alternative für Deutschland ausgesetzt“ sei, bestehe darin, „von Rechtsextremisten unterwandert zu werden und in Folge dessen politisch zu ‘implodieren’“. Warum ist die Gefahr so akut?
„Flügel duldet rechtsextremes Gedankengut“
Gottschalk: Sie ist nicht wirklich akut. Aber wir beobachten, daß die Aktionen des Flügels immer lauter, immer selbstbewußter und immer impertinenter werden. Und es ist nun einmal so, daß diejenigen, die sich in die AfD mit rechtsextremistischem Gedankengut eingeschlichen haben, beim Flügel geduldet werden.
Das bedeutet zwar nicht, daß alle Flügel-Mitglieder Rechtsextremisten sind – besonders im Osten findet man auch unter bekennenden Flügel-Sympathisanten sehr vernünftige Leute –, aber wenn man Ideen abseits unseres Programms versucht hoffähig zu machen, dann muß man im Flügel suchen. Und damit würde eine ‘Flügel-AfD’ tatsächlich politisch implodieren; dies gilt es, zu verhindern.
Sie waren der erste aus dem Bundesvorstand, der vor einer Woche sein Entsetzen über die Wiederwahl von Doris von Sayn-Wittgenstein als Landesvorsitzende in Schleswig-Holstein deutlich geäußert hat. Warum halten Sie ihre Wahl „für schlicht falsch und gefährlich“?
Gottschalk: Das Parteiausschlußverfahren gegen Frau von Sayn-Wittgenstein war und ist ja keine Laune ihres Landesverbandes oder des Bundesverbandes, sondern nach gründlicher Recherche und intensiver Debatte ein unausweichlicher Schritt. Daß seine juristische Aufarbeitung einige Zeit in Anspruch nimmt, ist völlig normal. Daß sich die Dame in dieser Zeit ernsthaft zur Wahl Landesvorsitzenden stellt, spricht für sich und muß gar nicht mehr kommentiert werden. Aber sehr offensichtlich hat ein großer Teil der Wahlberechtigten die Brisanz, die mit dieser Personalie verbunden ist, noch gar nicht realisiert. Hier haben wir erheblichen Aufklärungsbedarf.
In NRW verlief der Landesparteitag am Wochenende äußerst turbulent. Der von Ihnen favorisierte Weg, den gesamten Landesvorstand zum Rücktritt zu bewegen und neu zu wählen, scheiterte. Hat sich hier die „Flügel“-Gruppe durchgesetzt?
Gottschalk: Der Eindruck entsteht, wenn man nicht hinter die Kulissen schaut. Zunächst einmal waren die Flügelanten bei allem guten Zureden nicht bereit, mit einem Rücktritt einen Neuanfang zu ermöglichen. Dies entgegen aller Parteiinteressen und eines deutlich formulierten Votums der Delegiertenmehrheit. Und warum? Weil sie an diesem Tag und keinem anderen eine Wahl hätten gewinnen können. Nun kleben sie also noch ein paar Wochen auf ihren Stühlen. Das als „Sieg“ zu begreifen, ist schon sehr gewagt. Nein: Es ist amüsant!
Wie soll der Landesverband des größten Bundeslandes wieder handlungsfähig werden?
Gottschalk: Durch eine alsbaldige Neuwahl eines handlungswilligen und -fähigen Vorstands. Der Bundesvorstand hat hier klare Fristen gesetzt, auf deren Einhaltung wir auch achten.
„Formal ist der Flügel keine legitime Parteigliederung“
In Baden-Württemberg herrschen chaotische Zustände, in Bayern ist die Partei zerrissen – warum greifen Vertreter des Bundesvorstandes hier nicht stärker ordnend ein, sondern warten ab?
Gottschalk: Top-down-Maßnahmen sind in unserer sehr basisdemokratisch aufgestellten Partei immer mit dem Makel einer „herrschaftlichen“ Einmischung behaftet und deshalb nur mit höchster Sensibilität einzusetzen. Darüber hinaus vertrauen wir auch auf die Durchsetzungsstärke der vernünftigen Kräfte, ohne sie dabei allein zulassen. Überhaupt haben wir alle Entwicklungen immer im Blick und greifen ein, wenn es tatsächlich ultimativ erforderlich ist.
Am Wochenende fand das zentrale Treffen des rechten „Flügels“ der AfD in Thüringen statt. Ist der „Flügel“ eine legitime Gliederung der Partei oder eine „mit der Partei konkurrierenden politischen Organisation“, wie das bayerische Landesschiedsgericht kürzlich festgestellt hat?
Gottschalk: Diese Bewertung des bayerischen Landesschiedsgericht ist tatsächlich neu in ihrer Deutlichkeit und sehr ernst zu nehmen. Formaljuristisch ist der Flügel natürlich keine legitime Gliederung der Partei, inwieweit er eine „mit der Partei konkurrierende politische Organisation“ ist, hängt von seinem eigenen Wirken ab.
Das Treffen auf dem Kyffhäuser jedenfalls war definitiv keine AfD-Veranstaltung, gleichwohl sehr politisch. Es erinnerte mit seinem grotesk überzogenen Pathos an eine peinliche Schmonzette aus der Kaiserzeit – Sissi läßt grüßen. Man muß aber immer differenzieren, ob der einzelne Flügel-Sympathisant tatsächlich wesentliche Teile der AfD-Programmatik infrage stellt oder nur den romantisierenden Geist dieser Bewegung schätzt. Wir müssen deutlich machen, daß es keines personenlastigen Flügels bedarf, um auch seiner Vaterlandsliebe Ausdruck zu verliehen.
„Reizfigur an der Spitze“
Ist der „Flügel“ auf einem auf- oder absteigenden Ast?
Gottschalk: Ich tue mich schwer mit Vorhersagen, besonders, wenn sie die Zukunft betreffen. Aber im Ernst: Die AfD ist eine zutiefst bürgerliche Partei und so sind in großer Mehrheit ihre Mitglieder. Der Flügel ist stets laut und spektakulär aufgetreten, hat eine weit über seine partei-interne Bedeutung hinaus gehende mediale Aufmerksamkeit erhalten und eine Reizfigur an der Spitze.
Doch ich habe das Gefühl, daß sich die große Mehrheit unserer Mitglieder, die sich davon keineswegs vertreten fühlt, so langsam selbst artikuliert und unmißverständlich deutlich macht, daß ihre Agenda einzig und allein im Programm der AfD nachzulesen ist und nicht in Pamphleten aus Schnellroda.
Die AfD war nicht am Kyffhäuser, aber durchaus auf dem NRW-Parteitag, wo sie mit großer Mehrheit den Rücktritt dreier Flügelanten forderte, die gegen alle Parteiinteressen auf ihren Posten kleben bleiben wollten. Spätestens bei der bald anstehenden Vorstandswahl in NRW werden wir beobachten können, wo unsere Partei tatsächlich steht. Und ja, da bin ich sehr, sehr zuversichtlich.
Björn Höcke ließ sich beim „Kyffhäusertreffen“ als „unser Anführer“ feiern, kündigte an, sich nach den Landtagswahlen in den Kampf um die Neuausrichtung der Bundesspitze zu stürzen und erklärte: „Ich kann Euch garantieren, daß dieser Bundesvorstand, in dieser Zusammensetzung nicht wiedergewählt wird.“ Ist das eine Kriegserklärung?
„Unser Ton ist manchmal zu scharf“
Gottschalk: Es zeigt jedenfalls die Hybris, mit der der Flügel unterwegs ist. Ob die Mitglieder unserer AfD eine Vorwegnahme ihres eigenen Wahlverhaltens so lammfromm akzeptieren, wie Herr Höcke seine eigenen Anhänger wahrnimmt, wage ich einmal vorsichtig zu bezweifeln.
Man hat manchmal den Eindruck, auch gemäßigte AfD-Politiker liefern sich gelegentlich Überbietungskämpfe im Verbalradikalismus – ob in besonders markigen Äußerungen auf Twitter oder in Reden. Hat die AfD das noch nötig oder wäre hier eine andere Tonart angebracht?
Gottschalk: Diese Kritik müssen wir uns zweifellos zu Herzen nehmen. Die AfD ist nach wie vor eine sehr, sehr junge Partei und ihre Protagonisten alles andere als Politprofis. Das macht sie einerseits ganz charmant und sicher auch authentischer als den etablierten Politbetrieb, führt aber auf der anderen Seite manchmal zu etwas unbedachten Äußerungen oder einem zu scharfen Ton. Hier haben wir auf jeden Fall Professionalisierungsbedarf und ich bin zuversichtlich, daß wir das auch bald hinbekommen. Bis dahin liefern wir halt etwas mehr Entertainment für Journalisten, als uns gut tut.
Sie sind Mitinitiator des Appells, wie sind die ersten Reaktionen darauf?
Gottschalk: Als Mitzeichner bin ich auch Initiator und stehe dazu. Die Reaktionen sind auf Anhieb positiv. Die Rückmeldungen aus der Partei zeigen überdeutlich, daß wir einen Nerv getroffen haben. Da Höcke seine Auftritte einfach nicht in den Griff bekommt und damit leider auch dem Flügel schadet, hat der Flügel für mich definitiv ein Führungsproblem. Er zündelt immer wieder auch in anderen Landesverbänden mit seinen Leuten – Beispiel aktuell NRW – hat dann aber seine Leute nicht unter Kontrolle und sie machen, was sie wollen.
Hätten Sie sich gewünscht, daß auch die Parteivorsitzenden bzw. die Führung der Bundestagsfraktion auch unterschreibt?
Gottschalk: Selbstverständlich habe ich mir das gewünscht. Doch die Liste der Unterzeichner ist doch jetzt schon beeindruckend. Und Parteichef Jörg Meuthen hat immerhin erklärt, daß er die Kritik dieses Aufrufs verstehen kann und insbesondere der von Höcke betriebene Personenkult nicht zur Partei paßt.
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Kay Gottschalk ist stellvertretender Bundessprecher der AfD und sitzt für die Partei im Bundestag.