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AfD und Verfassungsschutz: „Schritt um Schritt wird die Schlinge zugezogen“

AfD und Verfassungsschutz: „Schritt um Schritt wird die Schlinge zugezogen“

AfD und Verfassungsschutz: „Schritt um Schritt wird die Schlinge zugezogen“

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Ex-Republikaner-Chef Rolf Schlierer (2009) warnt die AfD: Eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz würde zur Ächtung der Partei führen Foto: picture alliance/dpa-Zentralbild / Ulrich Baumgarten / JF-Montage
AfD und Verfassungsschutz
 

„Schritt um Schritt wird die Schlinge zugezogen“

Als Chef der Republikaner hat Rolf Schlierer erlebt, welche fatalen Konsequenzen es hat, wenn eine Partei in Visier des Verfassungsschutzes gerät. Man gilt als geächtet und wird für bürgerliche Schichten unwählbar. Der AfD rät Schlierer deshalb, sich auf die Bedrohung durch den Verfassungsschutz vorzubereiten und Strategien für den Umgang mit der Stigmatisierung zu entwickeln.
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Als Chef der Republikaner hat Rolf Schlierer erlebt, welche fatalen Konsequenzen es hat, wenn eine Partei in Visier des Verfassungsschutzes gerät. Man gilt als geächtet und wird für bürgerliche Schichten unwählbar. Der AfD rät Schlierer deshalb, sich auf die Bedrohung durch den Verfassungsschutz vorzubereiten und Strategien für den Umgang mit der Stigmatisierung zu entwickeln.

Herr Dr. Schlierer, Sie haben selbst Anfang der Neunziger Jahre erlebt, wie die Republikaner nach ihrem Einzug in das Berliner Abgeordnetenhaus und in das Europaparlament 1989 schrittweise ins Visier des Verfassungsschutzes gerieten. Sehen Sie ähnliches jetzt für die AfD voraus?

Rolf Schlierer: Man muß kein Hellseher sein, um das Drehbuch in Sachen AfD und Verfassungsschutz zu schreiben. Auch wenn sich der scheidende Präsident des Bundesamtes zuletzt bedeckt gab, werden die Forderungen nach einer flächendeckenden Beobachtung der Partei zunehmen.

Worin sehen Sie die aktuellen Gründe für die Forcierung des Themas „Beobachtung der AfD“?

Schlierer: Nachdem die ersten Umfragen die AfD auf Platz 2 noch vor der SPD sehen, dürfte die Panik bei Schwarz und Rot zunehmen. Die Attacken der Fraktionschefs Volker Kauder (CDU/CSU) und Thomas Oppermann (SPD) sind ein deutliches Anzeichen für die Nervosität, die sich in den Altparteien nach den Auswirkungen von Chemnitz breit macht.

In Bayern hält nur noch die Angst vor einem Märtyrereffekt die CSU davon ab, mit der Verfassungsschutzkeule zuzuschlagen. Spätestens nach der Landtagswahl wird sich eine Begründung finden lassen, mit der die Beobachtung der AfD gerechtfertigt werden kann. Die Beobachtung der „Jungen Alternative“ in Bremen und Niedersachsen und die Prüfung in Thüringen sind der Probelauf.

Bislang schwache Gegenwehr der AfD

Wird sich die AfD der Beobachtung durch eine Auflösung der Jugendorganisation entziehen können? 

Schlierer: Mit Sicherheit nicht: Die linken Medien frohlocken und sehen sich hinsichtlich der Einschüchterungswirkung einer Beobachtung bestätigt. Schritt um Schritt wird die Schlinge um den Hals der Partei zugezogen: Gestern Bremen, heute Thüringen, morgen vielleicht in Baden-Württemberg.

Daran gemessen fällt die Gegenwehr der AfD bislang schwach aus. Man hat fast den Eindruck, daß die Tragweite der aktuellen Entwicklung noch gar nicht erkannt wurde. Vielleicht vertrauen manche nach dem rheinischen Motto: „Et hätt noch immer jot jejange“ auf weitere Selbstläufer-Erfolge dank der Fehler der Altparteien.

Warum ist das Abwarten ein Fehler?

Schlierer: Weil die Verfolgung durch den Verfassungsschutz verhindert werden muß. Vor allem in den westlichen Bundesländern wird eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz langfristig bürgerliche Protestwähler abschrecken. Das ist vielleicht verschmerzbar; gefährlicher sind die Auswirkungen auf die Mitglieder. Beschäftigte im öffentlichen Dienst, also in der Verwaltung, bei der Polizei und bei den Streitkräften werden der Partei den Rücken kehren müssen, wenn sie nicht ihre berufliche Existenz riskieren wollen.

Handwerker, Selbständige und Kleinunternehmer werden sich zurückziehen, um keine Auftraggeber, Kunden oder Klientel zu verlieren. Die Stigmatisierung als rechtsextremistische Verfassungsfeinde wird auch in Betrieben Wirkung zeigen und AfD-Mitglieder der Gefahr einer Druckkündigung aussetzen.

Falschverstandener Ritterschlag

Wer sind die klammheimlichen Profiteure der drohenden Beobachtung durch den Verfassungsschutz?

Schlierer: Zum einen jene, die Altparteien, die durch ihre Politik unsere Verfassung beschädigen. Und zum anderen werden in einem wechselseitigen Effekt jene in der Partei gestärkt, die schon bisher durch verbale Kraftmeierei dem Vorwurf extremistischer Positionen Vorschub geleistet haben.

Manche sehen sich in ihrer fundamentalen Systemgegnerschaft bestätigt und empfinden die Verfolgung durch die sogenannten Kartellparteien regelrecht als Ritterschlag. Die vernünftigen Kräfte werden an Einfluß verlieren – schließlich konnten sie mit ihrer sogenannten „Leisetreterei“ die Beobachtung nicht verhindern. Dieser Circulus vitiosus arbeitet den Altparteien in die Hände.

Was passiert, wenn die Beobachtung einsetzt?

Schlierer: Wenn eine Beobachtung der AfD mit nachrichtendienstlichen Mitteln erfolgt, zwingt dies die Partei zur Gegenwehr, was erhebliche Ressourcen bindet. Zudem wird dies die parteiinterne Diskussion beeinflussen und den Verschwörungstheoretikern weiteren Auftrieb geben. Hinter jedem Busch wird dann ein Verfassungsschutzagent vermutet. Das Mißtrauen in der Partei nimmt zu.

Gleichzeitig wird der Verfassungsschutz die bereits vorhandenen agents provocateur aktivieren oder weitere einschleusen. Mit Hilfe des staatlich organisierten Beschaffungsextremismus werden dann gezielt weitere Vorgänge erzeugt, die als Beleg für den angeblich der Partei innewohnenden Extremismus dienen. Vielleicht werden dann auch unter Bruch von Recht und Verfassung verdeckte Ermittler auf die Partei angesetzt wie bei den Republikanern in den neunziger Jahren in Baden-Württemberg geschehen.

Faktische Ächtung der Partei

Damit ist der AfD dann der Weg zu einer Volkspartei verlegt?

Schlierer: So ist es. Die Zeit wird gegen die Partei arbeiten. Selbst wenn die Abgeordneten direkt keine Auswirkungen verspüren, wird der Aufbau der Parteistrukturen stagnieren und die Distanz von Protestwählern gegenüber der Partei im Lauf der Zeit größer werden. Genau genommen führt die Beobachtung durch den Verfassungsschutz und die Erwähnung in seinen Berichten zu einer faktischen Ächtung der Partei. Dies kümmert zwar die überzeugten Anhänger nicht, verringert aber die Chancen der Partei, neue Wähler zu gewinnen. Wer geächtet ist, gilt als unwählbar und vogelfrei.

Kommt man aus einer solchen Position überhaupt noch heraus?

Schlierer: Aus dieser Ächtung kommt eine Partei nur schwer wieder heraus. Es bedarf dann eines langen und kräftezehrenden Rechtskampfes. Der Ruf leidet allemal, semper aliquid haeret – irgend etwas bleibt immer hängen. Der weitere Aufschwung und der Aufbau der Partei werden mit Sicherheit beeinträchtigt.

Selbst wenn der rasche Aufstieg und das schnelle Wachstum der AfD die Altparteien bislang davon abgehalten hat, mit der VS-Keule zuzuschlagen, rückt diese Bedrohung näher. Die von den Linken selbst erzeugte Panik nach Chemnitz schafft aber eine neue Abwägungsgrundlage. Was hat die SPD heute schon zu verlieren, wenn sie sich weiter der 10-Prozent-Marke nähert. In Sachsen erlebt die Union derzeit ein Fiasko, in Bayern zittert die CSU einem historischen Absturz entgegen.

Strategie für den Kampf ums Recht

Was raten Sie der AfD?

Schlierer: Die AfD muß eine Strategie für den Umgang mit der Stigmatisierung und für den Kampf ums Recht entwickeln, um in die Offensive gehen zu können. Und es muß eine umfassende Diskussion in bürgerlichen und konservativen Reihen über den Mißbrauch des Verfassungsschutzes geben.

Vertreter des Rechtsaußenflügels der AfD fordern ein „Ende der Abgrenzeritis“ und eine Aufhebung von Unvereinbarkeitsbeschlüssen zu vom Verfassungsschutz beobachteten Organisationen. Kommt Ihnen das bekannt vor?

Schlierer: Ich kenne diese Forderungen aus eigener Erfahrung. Aufgestellt werden sie von jenen, die nach dem Motto verfahren: „Und ist der Ruf erst ruiniert, lebt sich‘s völlig ungeniert.“ Das sind jene Kräfte, von denen sich die Partei trennen muß, wenn sie in Deutschland etwas verändern will. Es gibt die einschlägige Erfahrung, daß eine rechte Partei nur ohne den luncatic fringe langfristig Erfolg haben kann.

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Dr. Rolf Schlierer, 63, ist Arzt und Rechtsanwalt war von 1994 bis 2014 Vorsitzender der Republikaner. Im Juni dieses Jahres trat er aus der Partei aus.

Ex-Republikaner-Chef Rolf Schlierer (2009) warnt die AfD: Eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz würde zur Ächtung der Partei führen Foto: picture alliance/dpa-Zentralbild / Ulrich Baumgarten / JF-Montage
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