Frau Geske, was Sie erlebt haben, ist außerhalb dessen, was man sich vorstellen kann. Wie soll man als Interviewer solch ein Gespräch überhaupt bestreiten? Geske: Nur Mut, ich glaube nicht, daß das so unmöglich ist. Verluste erleben auch andere Menschen etwa durch Alter, Krankheit oder Unfälle. Was man da durchlebt, das ist meiner Situation wohl ziemlich ähnlich. Ihr Mann ist jedoch auf besonders grauenvolle Weise ums Leben gekommen. Haben Sie nicht das Gefühl, daß Ihre Welt zerbrochen ist? Geske: Im Gegenteil, ich glaube, es wäre für mich wesentlich schwerer, wenn Tilmann einen tödlichen Autounfall erlitten hätte. So habe ich wenigstens den Trost, daß er für etwas gestorben, was Sinn hat. Sie meinen, als ein Märtyrer. Geske: Ich bin sicher, daß Gott sich bei alldem etwas gedacht hat. Da wo Menschen für Jesus ihr Blut vergossen haben, dort sind meist Gemeinden erwachsen. Märtyrertum nimmt man als Tatsache aus der Zeit der frühen Christen zur Kenntnis, es scheint aber nichts mit uns heute zu tun zu haben. Geske: Die Leute denken dabei an Tod, aber Märtyrertum ist etwas Lebendiges. Vor allem aber ist etwas Gegenwärtiges. Auch heute werden jedes Jahr Tausende Christen um ihres Glaubens willen ermordet! Wieso denken wir dennoch beim Stichwort Christenverfolgung immer nur an die Antike? Geske: Das frage ich mich inzwischen auch. Aber ich gebe zu, ich habe dazugelernt. Sie meinen, seit dem Tod Ihres Mannes hat sich Ihre Beziehung zum Märtyrertum geändert? Geske: Ich erinnere mich: Am Ostermontag vor Tilmanns Tod haben wir noch gemeinsam den US-Spielfilm „Quo vadis“ von 1951 gesehen, der die Christenverfolgung zur Zeit des Kaisers Nero zeigt. Danach sprachen wir darüber, daß die Christen damals bereit waren, für ihren Glauben zu sterben. Ich habe mir dabei nicht vorstellen können, daß uns das auch einmal passieren könnte. Auch für mich war das ganz, ganz weit weg. Doch nur acht Tage später wurde es Wirklichkeit. Als Ihr Mann am 18. April 2007 nicht mehr den Hörer abnahm, glaubten Sie zunächst, der Akku seines Mobiltelefons sei leer. Geske: Ich konnte mir das nicht anders erklären. Den ganzen Tag habe ich verzweifelt versucht, ihn zu erreichen. Schließlich machte ich mir Sorgen, rief bei der Polizei und in verschiedenen Krankenhäusern an. Wußte irgendwer etwas über meinen Mann? Es schockiert mich noch heute, daß die ganze Welt bereits um halb zwei am Nachmittag Bescheid wußte, weil die Meldung über den Ticker lief, ich aber erst um fünf Uhr die Wahrheit erfuhr! Die Polizei hat mich stundenlang hingehalten. Danach bin ich in eine Art Schockzustand gefallen. Plötzlich war das, was sich kein Mensch vorstellen kann, für Sie Realität. Geske: Ja, es ist einfach unfaßbar. Ich weiß heute noch nicht, was ich dazu sagen soll. Es gab Drohungen. Geske: Gegen den Verlag, aber nicht gegen uns persönlich. Und da Tilmann nicht Angestellter des Verlages war, sondern nur dort seine Büroräume hatte, haben wir diese Drohungen nicht auf uns bezogen. Es gab zuvor schon Zwischenfälle. Geske: Drohungen, Attacken, gar Folterungen – und Opfer waren sogar Freunde von uns, aber bisher noch keine Toten. Kommentatoren sehen einen Zusammenhang mit der Ermordung des armenisch-christlichen Journalisten Hrant Dink am 19. Januar 2007, die international für Aufsehen gesorgt hat (JF 6/07). Geske: Ich meinte, keine Toten in unserem Umfeld. Zum Fall Dink möchte ich mich aus Sicherheitsgründen nicht äußern, aber daran erinnern, daß außer ihm und Tilmann auch noch 2006 der katholische Priester Andrea Santoro im nordosttürkischen Trapezunt aus Haß ermordet worden ist. Die meisten Pressemeldungen zum Tod Ihres Mannes sprachen davon, daß er über Stunden gequält und dann ermordet worden sei. Einer der Täter behauptet dagegen, man habe „nur“ die Leiche geschändet, indem die zahlreichen Messerstiche – die Medien sprachen von 160 – erst nach dem Schnitt durch die Kehle zugefügt wurden. Wissen Sie, was wirklich geschah? Geske: Nein, und ich muß zugeben, ich wollte die Akten gar nicht lesen. Aber ich kann sagen, daß die Meldung von 160 Stichen übertrieben war. Fünfzehn ist korrekt. Wieso diese Übertreibung? Geske: Ich weiß es nicht. Wer ist schuld am Tod Ihres Mannes? Geske: Fünf junge Männer. Der Bund der Protestantischen Kirchen in der Türkei ist da anderer Meinung. Er kritisiert, Medien, Parteien und Behörden in der Türkei stellten „Christen als potentielle Kriminelle, Separatisten und Landesverräter hin“. Geske: Ich möchte dazu nichts sagen. Warum? Geske: Aus Sicherheitsgründen. Meine Kinder und ich kehren nach unserem Aufenthalt in Deutschland wieder in die Türkei zurück. Wenn Sie es ablehnen, die Hintergründe für den Tod Ihres Mannes offenzulegen, kann dieser keine politische Veränderung bewirken. Geske: Nichts, was mein Mann in der Türkei getan hat, war je politisch. Uns ging es immer allein um unseren Glauben. Sie haben den Tätern bereits wenige Stunden nach der Tat öffentlich vergeben. Hat Sie das große Überwindung gekostet? Geske: Nein, ich fühle keinen Haß, nicht im geringsten. Meine Tochter hat mich kritisiert: „Auf den Vermieter bis du wegen Kleinigkeiten sauer, und bei den Mördern sagt du nichts?“ Der Vorwurf kam zu Recht. Wie ist das zu erklären? Geske: Das kann ich so nicht sagen. Aber ich glaube, daß Gottes Gnade und Liebe da gewirkt hat, und ich verstehe jetzt Hiob, als er ausrief: „Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen. Gepriesen sei der Herr!“ Sie hadern nicht mit Gott? Geske: Nein. Meine kleine Tochter hat zunächst getobt: „Diese Türken! Die sind alle schrecklich!“ Aber das war nach zwei Tagen vorbei. Was mich angeht, so dachte ich zunächst, es läge am Schock. Aber bis heute ist der Haß nicht gekommen. Und dabei gibt es viel geringfügigere Dinge, die zu vergeben ich mich leider schwertue. Die Täter zeigen sich allerdings von Ihrer Geste unbeeindruckt. Geske: Ich glaube, diesen jungen Menschen ist noch gar nicht klar, was sie getan haben. Übrigens haben sie sich mit der Tat auch ihr eigenes Leben verpatzt. Die meisten Menschen würden eine gebrochene Witwe erwarten. Sie jedoch tragen helle statt gedeckter Kleidung, lachen, wirken gelöst und sind fröhlich. Geske: Ich bin von Natur aus fröhlich, ich habe drei Kinder und ich weiß, daß es meinem Mann gutgeht. Denn er ist jetzt bei Jesus. Und ich werde ihn eines Tages wiedersehen. Als Christ ist es egal, was ich verliere. Wenn man zusammenbricht, weil man seine bürgerliche Existenz oder seine Gesundheit, seinen Mann oder seine Kinder verliert, dann ist das – dann ist die Welt das Idol. Daran soll ein Christ aber sein Herz nicht hängen, sondern allein an Gott. Ich muß heute gestehen, daß ich mich vielleicht schon in manchem zu sehr an meinen Mann geklammert hatte. Aber ich habe den Sprung zu Gott geschafft und sage heute zu ihm: „Herr, Du bist der erste in meinem Leben! – Allerdings, Du hast mir das eingebrockt, jetzt mußt Du mir auch helfen, da durchzukommen!“ Sie sind mit Ihren Kindern in Malatya geblieben. Warum? Geske: Gott hat uns nichts anderes gesagt. Wir haben dort eine Aufgabe, und wir fühlen uns dort wohl. Fühlen Sie sich nicht gefährdet? Geske: Nein. Sie haben sich schon einmal nicht gefährdet gefühlt, und es ist eine Katastrophe geschehen. Geske: Eine Katastrophe kann einem überall passieren. Gott allein entscheidet, was mit uns geschieht. Bedauern Sie nicht, daß Deutschland kaum christliche Solidarität mit unterdrückten Christen übt? Geske: Von christlicher Seite haben wir eine großartige Solidarität erfahren. Dazu zähle ich auch die Verleihung des Walter-Künneth-Preises der Kirchlichen Sammlung um Bibel und Bekenntnis Ende Juli in Nürnberg. Diese Ehrung zeigt mir, wieviel all das, was an jenem 18. April 2007 geschehen ist, den Menschen bedeutet. Das hätte ich nicht gedacht. Was Deutschland als ganzes angeht: Woher soll diese Solidarität denn kommen? In der Türkei muß ich erklären, daß es leider längst nicht mehr stimmt, wenn es heißt, „die“ Deutschen seien Christen. Warum leben Sie dann in Malatya und wirken nicht hier? Geske: Gute Frage. Aber das ist mein Auftrag. Am 18. April starb nicht nur Ihr Mann. Geske: Das stimmt. Necatin Aydin und Ugur Yüksel, die gemeinsam mit Tilmann starben, sind die ersten türkischen Märtyrer. Der eine ein ehemaliger Sunnit, der andere ein ehemaliger Alewit. So stehen sie für ihr Volk und geben den christlichen Türken Hoffnung: Beide starben für ihr Land und zur Ehre Gottes, und in seiner Liebe leben sie nun in Ewigkeit. „Es werden nicht der letzten gewesen sein“, haben die Vertreter der christlichen Gemeinden in der Türkei gewarnt. Geske: Das glaube ich auch. Ich erinnere mich an ein Gespräch vor Jahren, als jemand sagte: „Dieses Land braucht Blut.“ Ein anderer erwiderte: „Das Blut von Jesus reicht aus.“ Und wie ich damals schon dachte: „Nein, das glaube ich nicht.“ Erschreckt Sie das nicht? Geske: Ich gebe zu, ich habe Gedanken wie diesen: Meistens trifft es die Männer. Aber wir müssen die Aufgabe erfüllen, die Gott uns gestellt hat, und ich habe erlebt, daß wahr ist, was die Bibel sagt, nämlich daß die Liebe die Furcht austreibt. „Kostbar“, heißt es in Psalm 116, Vers 15, „ist der Tod seiner Frommen in den Augen des Herrn.“ Foto: Türkische Polizisten transportieren am 18. April 2007 eines der Opfer des Massakers von Malatya ab: „Die Meldung lief bereits über alle Ticker. Und doch war ich die letzte, die die Wahrheit erfuhr. Danach bin ich in eine Art Schockzustand gefallen. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß uns das einmal passiert. Doch dann wurde es Wirklichkeit“ Das Massaker von Malatya: Am 18. April 2007 dringen fünf junge Türken in die Büroräume eines christlichen Verlages ein, in denen Tilmann Geske mit zwei türkisch-christlichen Kollegen arbeitete. Die Medien berichten später, alle drei seien stundenlang gefoltert und dann mit einem Schnitt durch die Kehle ermordet worden. Allerdings ist der tatsächliche Tathergang noch nicht abschließend geklärt. Die Nachricht geht um die Welt und löst in Deutschland Empörung aus. So kritisiert CDU-Generalsekretär Roland Pofalla mangelnde Religionsfreiheit in der Türkei. Der damalige Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Lehmann, fordert einen besseren Schutz religiöser Minderheiten am Bosporus. Anfang 2008 erschien das Buch „Susanne Geske: Ich will keine Rache. Das Drama von Malatya“ (Brunnen) der Journalisten J. Carswell und J. Wright (JF 22/08). Susanne Geske, geboren 1963 in Freiburg im Breisgau, heiratete ihren zwei Jahre älteren Mann 1992. Beide studierten Theologie, gemeinsam bekommen sie drei Kinder: Michal (heute 14), Lukas (12) und Miriam (9). 1997 ziehen sie in die Türkei, wo die Familie noch heute lebt. Die Ermittlungsbehörden sollen inzwischen einem Verdacht nachgehen, wonach eine ultra-nationalistische Jugendorganisation die Ermordung von drei evangelikalen Christen in Auftrag gegeben hat. Christliche Märtyrer heute: Märtyrertum ist keine Erscheinung der Vergangenheit. Weitgehend unbeachtet von der westlichen Öffentlichkeit sterben jedes Jahr weltweit zahlreiche Christen für ihren Glauben. Absolute Zahlen liegen allerdings nicht vor. Die „World Christian Encyclopedia“ spricht von etwa 160.000 Opfern jährlich – hier sind allerdings auch all diejenigen mitgezählt, die in kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen christlich geprägten Bevölkerungsgruppen und religiös anders geprägten sterben. Der Theologe Thomas Schirrmacher, Direktor des Internationalen Instituts für Religionsfreiheit und einer der führenden Experten für das Thema Christenverfolgung, warnt dagegen vor so hohen Zahlen. Er verweist darauf, daß die Zahlen von Jahr zu Jahr – je nach politischer Weltlage – extrem schwanken.Allerdings betont er, daß der Anteil der Christen bei der Ermordung von Menschen wegen ihrer Religionszugehörigkeit bei weit über neunzig Prozent liegt! Paul Murdoch, Leiter des Arbeitskreis Religionsfreiheit der Deutschen Evangelischen Allianz, spricht von etwa einem Duztend dokumentierter Fälle pro Jahr, geht aber de facto von einer „fünfstelligen Zahl weltweit“ aus. Die Hilfsaktion Märtyerkirche schätzt daß 2005 mindestens 20.000 Christen wegen ihres Glaubens getötet wurden. Der Buchautor Ronald Boyd McMillan („Faith That Endures: The Essential Guide to the Persecuted Church“, 2006) geht von 55.000 Christen pro Jahr aus, die aufgrund ihres Glaubens sterben müssen. Nach Angaben des christliche Hilfswerk Open Doors schließlich sind etwa 200 Millionen Christen in 25 Ländern wegen ihres Glaubens von Misshandlungen, Gefängnis oder Tod bedroht. Zum Beispiel wurden alleine auf den indonesischen Molukken seit 1999 über 3.000 Christen umgebracht. In Laos hat das Regime im gleichen Jahr das Christentum zum „öffentlichen Feind Nummer eins“ erklärt. In Nordkorea kommen Christen gar in Umerziehungslager, in denen sie unmenschlicher Behandlung häufig mit Todesfolge ausgesetzt sind. In Deutschland sterben jedes Jahr etwa vier bis fünf christliche Konvertiten iranischer Herkunft an mysterösen Unfällen. weitere Interview-Partner der JF