Herr Hohmann, Sie kennen Roland Koch aus persönlichen Begegnungen, sechs Jahre lang war er Ihr Landesvorsitzender. Wie erklären Sie sich seinen – laut Umfragen – steilen Absturz in der Wählergunst in den letzten Tagen?
Hohmann: Zunächst ist es ja erstaunlich, daß Roland Koch das Tabuthema des übergroßen Ausländeranteils unter jugendlichen Kriminellen aufgegriffen hat. Ob die Verschiebungen in den Wahlprognosen sich am Sonntag realisieren, bleibt abzuwarten. Die orchestrierte Empörung über Koch hat im wesentlichen zwei Ursachen. Erstens nimmt es die SPD gewaltig übel, daß Koch ihren Wahlkampfjoker Mindestlohn aus den Schlagzeilen verdrängt hat.
Zweitens wollen Grüne und Rote die Diskussion über ausländische Jugendkriminalität im Keim ersticken, um von ihrer Schuld an den heutigen Mißständen abzulenken. Dabei waren sie es, die gar nicht genug Ausländer hereinholen konnten – ohne Rücksicht auf unterschiedliche religiöse und politische Hintergründe, ohne Rücksicht auf die Belastung für deutsche Sozialkassen und ohne Rücksicht auf die extremen Mentalitätsunterschiede.
„Freie Meinungsäußerung gilt als Radikalismus“
Fakt ist, Koch steht plötzlich am Abgrund des Machtverlusts.
Hohmann: Das Verunglimpfen seiner Person – und das reichte ja von der SPD bis zur Caritas! – hat dazu geführt, daß viele Wähler sich unter öffentlichen Druck gesetzt fühlen. Das heißt, sie sehen die Dinge durchaus wie Koch, trauen sich aber nicht mehr das gleichsam öffentlich zuzugeben. Klar, daß dann die Umfragewerte sinken. Aber das sagt möglicherweise nichts über die tatsächliche Bereitschaft aus, Koch zu wählen. Warten wir den Sonntag ab. Nicht zum ersten Mal würde die Auszählung der Stimmen die Umfragen Lügen strafen.
Oder die sinkenden Umfragewerte dokumentieren, daß die Wähler Koch seine rechten Wahlkampfversprechen nicht übel-, sondern einfach nicht abnehmen: Bekanntlich belegen Zahlen und Fakten, daß er in Hessen bisher offenbar nicht die Politik betrieben hat, die er nun im Wahlkampf lauthals einforderte.
Hohmann: Auch in Bayern werden sich noch Defizite im Bereich der öffentlichen Sicherheit finden lassen. Eine Grundlinie von Kochs Politik ist aber unbestreitbar die Kriminalitätsbekämpfung. Und hier gab es auch meßbare Erfolge. Etwa sei an seine Ausrüstungsoffensive für die Polizei erinnert. Man muß auch von konservativer Seite fair gegenüber Koch sein.
Ohne ihn wäre der rot-grüne Doppelpaß weit schlimmer ausgefallen. Er hat in Hessen als erstem Bundesland durchgesetzt, daß Kinder erst dann in das erste Schuljahr der Grundschule aufgenommen werden, wenn sie die deutsche Sprache so beherrschen, daß sie dem Unterricht folgen können. Das ist für den Schulerfolg und die Integration die Grundvoraussetzung. Wer nicht genug Deutsch beherrscht, muß zunächst in eine Vorklasse.
Wenn Koch nun doch verliert, oder auch nur mit knappem Vorsprung der Niederlage entgeht, wäre dann das Fazit: Rechte Themen sind für Wahlkämpfe mittlerweile ungeeignet?
Hohmann: Es stimmt, diese Themen beinhalten ein Risiko. So weit haben wir es inzwischen gebracht, daß viele Politiker sich nicht mehr trauen, Themen aufzugreifen, die über die materielle Sicherheit hinaus das Volk bewegen. Das ist eine Entwicklung, die nicht gut ausgehen kann für unsere Demokratie.
Denn wenn in einer Demokratie die freie Meinungsäußerung der Bürger schon als Radikalismus verteufelt werden kann, zeigt das die fatale totale Lufthoheit der politischen Korrektheit, die inzwischen herrscht.
„Die CDU steht unter der Herrschaft der Demoskopen“
Gerade aber von der CDU ist diesbezüglich ja bekanntlich kaum Widerstand zu erwarten.
Hohmann: Da kann ich Ihnen, was die Bundes-CDU angeht, kaum widersprechen, entwickelt sie sich doch mehr und mehr zu einer Partei, die unter dem Regiment der Demoskopen steht.
Angela Merkel hat zunächst abgewartet, bevor sie sich hinter Koch gestellt hat.
Hohmann: Frau Merkel findet man in der Regel nie an der Spitze des Feldes. Sie macht es wie einstmals FDP-Chef Hans-Dietrich Genscher: Finger in die Luft. Woher kommt der Wind? Um sich dann energisch auf die Seite des vermeintlich Stärkeren zu schlagen. In diesem Fall ist ihr klargeworden, daß sie es sich nicht leisten konnte, den CDU-Sieg in Hessen zu riskieren.
Für Merkel ist das ein doppeltes Problem. Denn bisher war es ihr gelungen, den heimlichen Rivalen Koch dazu zu zwingen, sich hinter ihr einzureihen. Jetzt aber blieb ihr nichts anderes übrig, als sich einmal hinter ihn zu stellen.
Glauben Sie, Koch hat noch bundespolitische Ambitionen?
Hohmann: Man muß Koch reden hören, um seine rhetorische Brillanz, seine Intelligenz und sein sehr fundiertes politisches Wissen zu erleben. Dazu kommt, daß er noch relativ jung ist, er wird im März gerademal fünfzig. Koch selbst hält sich nicht zu Unrecht für jemanden mit der Befähigung auch zu höchsten Ämtern. Ich bin mir allerdings sicher, daß er seine Lage realistisch einschätzt. Daher ist von ihm kein Schritt zu erwarten, der nicht auch Aussicht auf Erfolg hat.
2004 hat er Sie wegen Ihrer berühmt gewordenen „Tag der Deutschen Einheit“-Rede aus seinem Landesverband geworfen. Fühlen Sie keinen Zorn?
Hohmann: Man muß vergeben können. Außerdem hatte er ursprünglich den Rausschmiß nicht im Sinn, sondern sagte öffentlich – und schon dafür hat er massiv Kritik geerntet –, er wolle „mit Hohmann ringen“. Erst als Merkels Signal kam, daß sie mich aus Fraktion und Partei werfen würde, blieb ihm wohl nichts anderes übrig. Hätte Koch anders gehandelt, hätte er das politisch nicht überlebt.
Wir machen uns heute nicht mehr klar, welche Atmosphäre damals herrschte: Wer sich damals auch nur in meine Nähe wagte, hatte das politische Totenhemd an. Ich werfe heute niemandem vor, daß er es nicht freiwillig angezogen hat.
Der hessische Kommunal- und Bundespolitiker Martin Hohmann gehörte 24 Jahre der CDU an und kennt aus dieser Zeit Ministerpräsident Roland Koch persönlich. Von 1998 bis 2004 vertrat der 59jährige den Wahlkreis seiner Vaterstadt Fulda im Deutschen Bundestag. Im Zuge der sogenannten „Hohmann-Affäre“ im November 2003 mußte er den Landesverband seiner Partei jedoch verlassen. Dagegen klagt er derzeit vor dem Bundesverfassungsgericht.