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Der Nimbus ist zerstört

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Der Nimbus ist zerstört

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Herr Professor Oberreuter, ist das der Anfang vom Ende der CSU? Oberreuter: Auf jeden Fall ist es eine Katastrophe. Zwar bleibt man immerhin stärkste Partei. Aber der Nimbus der CSU ist zerstört. Das Ausmaß der Verluste ist enorm und bringt die Partei weit weg von ihrem Anspruch: „Bayern, das ist die Christlich-Soziale Union!“ Kann sich die CSU davon erholen? Oberreuter: Bei nur noch 43,4 Prozent kann man nicht mehr davon sprechen, daß es sich um einen Ausrutscher oder Denkzettel handelt. Dieses Ergebnis macht sprachlos und legt nahe, daß strukturelle Gründe ausschlaggebend sind. Das Vertrauen in populäre Parteiführer — gerade in der Stoiber-Zeit — hat die tatsächlichen, gesellschaftlich bedingten Erosionen übertüncht. Angela Merkel hat Konsequenzen gefordert. Wird die CSU nun der CDU in die orangefarbene Mitte der „urbanen Milieus“ folgen? Oberreuter: Das halte ich nicht für ratsam, weil das Wahlergebnis zeigt, daß das konservative Lager in Bayern stark geblieben ist. Natürlich ist die FDP auf andere Weise bürgerlich als die CSU, aber zumindest die Freien Wähler sind in mancher Hinsicht sogar noch konservativer als die CSU.  Alle warten auf Erwin Hubers Sturz, muß aber auch Günther Beckstein nun gehen? Oberreuter: Gesetzt, daß Huber fällt, wäre Beckstein der dritte „Königsmord“ in einem Jahr. Das wäre, glaube ich, zumal für die nun so geschwächte Partei zuviel. Horst Seehofer hat schon 2007 bezüglich Beckstein und Huber gewarnt: „Die zwei können’s nicht!“ Oberreuter: Man berücksichtige, damals war Seehofer Hubers Gegenkandidat. Aber es ist richtig, daß es die damals neue Führung nicht verstanden hat, eine Zukunftsperspektive zu entwickeln. Es machte den Eindruck, als hätten im letzten Herbst zwei Administratoren die Ämter übernommen und sie seitdem nur brav verwaltet. Weder Beckstein noch Huber ist es gelungen, dem Amt ihren Stempel aufzudrücken und ein eigenes Profil zu entwickeln. Das ist bedauerlich, denn ich glaube, beide wären an sich dazu in der Lage. Warum gelingt es ihnen dann nicht? Oberreuter: Weil sich die beiden zu sehr den Tagesgeschäften widmen. Beide wollen sich nicht nachsagen lassen, sie hätten es versäumt, sich auch noch dem kleinsten politischen Problem gewidmet zu haben. Das ist ja aller Ehren wert, nur nimmt ihnen das die Zeit für Wichtigeres. Und so bleiben, verstrickt ins Kleinteilige, strategische Fragen auf der Strecke. Sie hatten aber auch wenig Zeit. Die Vize-Vorsitzende der Freien Wähler, Marion Hälsig, nannte in der vergangenen Woche in einem Interview mit dieser Zeitung als Grund, die CSU sei schlicht zu lange an der Macht, sie sei phlegmatisch und lasse die Dinge treiben. Oberreuter: Das scheint mir eine einfältige Kritik zu sein, formuliert von Leuten, denen der Einblick fehlt. Das Problem ist gerade, daß man so aktivistisch ist. Beckstein etwa nimmt erheblich mehr Termine wahr als sein Vorgänger Stoiber. Das Problem ist eher, daß bei der Ablösung Stoibers der Generationswechsel versäumt wurde. Sowohl die Entscheidung für eine Doppelspitze als auch für Personal im Alter von sechzig plus X war nicht zukunftsweisend. Gegebenenfalls wird man Beckstein jetzt als Mann des Übergangs behalten, der aber gleichzeitig seine Amtszeit im Dienste der Partei als Phase des Generationenwechsels und des Übergangs von der Epoche der Allein- zur Epoche der Koalitionsregierungen gestaltet. Ich rechne damit, daß er im Laufe der Legislaturperiode einen Nachfolger aufbauen wird. Wer könnte das sein, und für wann sehen Sie die Stabübergabe? Oberreuter: Von den üblichen Verdächtigen bleibt voraussichtlich Joachim Hermann übrig, vielleicht in Rivalität mit dem Fraktionsvorsitzenden Georg Schmid. Für Markus Söder ist es zu früh. Seehofer gilt als Ersatz für Huber. Sogar von Waigel und Stoiber war schon die Rede. Oberreuter: Die Wiederkehr der elder statesmen in die Arena ist eine abenteuerliche Vision — und ist nicht einmal den beiden Betroffenen zu wünschen. Wären denn mit neuem Personal die Probleme der CSU schon gelöst? Oberreuter: Ja und nein. Tatsächlich beruhen die Fünfzig-plus-X-Ergebnisse der letzten zwei Jahrzehnte doch nicht nur auf Katholizismus und Bajuwarentum. Sondern darauf, daß in Bayern besonders erfolgreich Politik gemacht wurde. Die CSU hat Bayern vom Agrarstaat zum Hochtechnologiestandort geführt und diesen Status bis heute gesichert. Natürlich hat die CSU einmal in viel höherem Maße als heute die Einheit von Heimat, bayerischer Tradition und Politik verkörpert. Und natürlich profitiert sie trotz allem immer noch von diesem Ruf. Aber tatsächlich entspricht das schon lange nicht mehr der Realität. Unter der Oberfläche anhaltender CSU-Wahlerfolge — die mitunter den Eindruck erweckt haben, in Bayern sei politisch die Zeit stehengeblieben oder dort sei „die Welt noch in Ordnung“ — hat der Wertewandel der Moderne auch zwischen Main und Alpen Einzug gehalten. Auch in Bayern erodieren die Milieus, die noch vor Jahrzehnten der Union wie selbstverständlich zugeordnet waren. Die traditionelle Identität von Kirchengemeinde und politischer Gemeinde ist zum Beispiel dahin. Wenn ich zu Beginn sagte, „der Nimbus ist zerstört“, dann heißt das: Die Realität kommt zum Vorschein. Längst ist die CSU eine „normale Partei“, die ihre Macht nicht auf Gefolgschaftstreue, sondern auf politische Erfolge stützt. Darin liegt allerdings auch die Möglichkeit, mit einer guten Politik wieder zu Erfolg zu gelangen. Der „Spiegel“ schreibt: „Die CSU gab vielen — auch außerhalb Bayerns — unter dem Dach der Union eine Heimat, die sich in der CDU unbehaust fühlten. Die letzte Hochburg des Konservatismus wankt.“ Oberreuter: Die CSU verstand sich immer „auch“ als konservative Partei. Ihre Grundsatzprogrammatik zeigt sie bewahrend und offen zugleich. Hochburg ist sie vor allem durch den bisherigen Erfolg gewesen. Welche Chancen sehen Sie überhaupt noch für das Konservative in der Politik? Oberreuter: Was heißt konservativ? Für einen verengten Begriff schwinden die Grundlagen. Nehmen Sie zum Beispiel die moralische Autorität der katholischen Kirche: Auch in Bayern verhält es sich damit kaum anders als im Rest der Republik: In meiner Heimatgemeinde zum Beispiel ist die Zahl der Kirchgänger in den letzten zehn Jahren um etwa die Hälfte zurückgegangen! Pfarrgemeinden, die man vor gut 25 Jahren neu gründen mußte, werden heute wieder mit der Mutterpfarrei zusammengelegt. Oder fragt man nach den kulturell-religiösen Techniken etwa bei Festen wie Taufe, Hochzeit oder Beerdigung, stellt man leider fest, daß immer weniger Bayern in die — erlauben Sie mir, es salopp zu formulieren — „katholischen Leibesübungen“, also wann kniet man, wann steht man auf etc., eingeweiht sind. Der Katholizismus als politische und gesellschaftlich bestimmende Kraft ist auf dem Rückzug. Aber auch Milieus kann man pflegen, vernachlässigen oder gar mutwillig ruinieren. Die CSU hat sich maßgeblich mitschuldig gemacht an solchen Prozessen: Daß sie heute glaubt, sich dem Islam öffnen zu müssen, hat sie durch ihre Duldung der Einwanderung selbst verursacht. Oder: Mit ihrer Unterstützung des „Kampfs gegen Rechts“, der sich in Wirklichkeit gegen den Konservatismus der Mitte richtet, beteiligt sich an der gezielten Dekonstruktion der eigenen Stammklientel. Oberreuter: Nein, Ihre Frage repräsentiert eine sehr eigenwillige Sicht der Dinge. Die CSU setzt sich mit dem Islam fast schon bis an die Grenze der Intoleranz auseinander. Politisch bekämpft sie Extremisten. Sicher gibt es diverse „konservative“ Versäumnisse der CSU. Aber auch die CSU ist nicht Herrin der Gesellschaft. Journalisten beklagen mitunter gern, die Parteien würden die Gesellschaft zu wenig gestalten. Tatsächlich aber sind Parteien, die Gesellschaften komplett gestalten, totalitär. In einer freiheitlichen Gesellschaft sind die Parteien dagegen Diener der Gesellschaft. Sie müssen sich mit gesellschaftlichen Veränderungen arrangieren. Auch die CSU konnte zum Beispiel die Erfindung der Pille nicht rückgängig machen. Wie stark Parteien Gesellschaften doch gestalten können, zeigt das Beispiel der Grünen! Oberreuter: Die Grünen sind selbst Ausdruck einer gesellschaftlichen Realität, die sich im Zuge von 1968 durchgesetzt hat. Ob uns das paßt oder nicht: Tatsache ist, daß auch die CSU — ich begrüße das — inzwischen die große Freiheit des Individuums als die Grundlage des politischen Systems akzeptiert hat. Dadurch kommt sie natürlich mit vielen ihrer traditionellen Positionen in Konflikt. Etwa bei der Homosexualität. Ich bin selbst kein Freund von deren Politisierung, wie sie die Linke vorantreibt. Aber Fakt ist: Erstens, daß sich die CSU durch die Akzeptierung des Primats der Individualität einer Tolerierung der Homosexualität nicht mehr zu entziehen vermag. Und zweitens, daß sie damit aber natürlich in Konflikt zu ihren Traditionen gerät, denn selbstverständlich ist Homosexualität in keiner Weise mit den klassischen Grundsätzen der Partei vereinbar. Da sehen Sie das Dilemma. Also wird sich die „Entkonservativisierung“ der CSU fortsetzen? Oberreuter: Wohl oder übel. Die Wähler beklagen oft, daß es kaum noch Unterschiede zwischen den Parteien gibt. Paßt sich die CSU weiter an, wird ihr das also wohl früher oder später zum Nachteil gereichen. Oberreuter: „Früher oder später“ haben Sie mit dieser zugespitzten Logik natürlich recht. Dennoch glaube ich, daß dieses Urteil für die CSU heute zu früh kommt. Nun ziehen die Freien Wähler in den bayerischen Landtag ein. Mann könnte meinen, sie sind das Korrektiv der konservativen Basis. Ist dem so? Oberreuter: Nein, die politische Kompetenz der Freien Wähler ist eine kommunalpolitische, gerade keine weltanschauliche. Das war ja genau der Grund ihrer Gründung: Politik als Sachentscheidung, befreit von weltanschaulichen Überlagerungen. Warum beklagen die Wähler immer wieder, die Parteien seien zu ähnlich, und wählen dann eine Gruppierung, die inhaltlich gar keine Alternative bietet, sondern — nur besser — tun will, was die Etablierten tun? Oberreuter: Sie unterstellen, die Mehrheit der Wähler orientiere sich an normativen Gesichtpunkten. Das ist ein Irrtum. Die Freien Wähler sind schlicht ein Gefäß, in das sich die ins Kraut schießende Parteienverdrossenheit ergießt. Deshalb gehen sie auch gezielt mit ihrem Anti-Parteien-Image auf Stimmenfang. Das ist zwar ein Anspruch, den sie, wenn sie jemals vernünftige Politik machen wollen, gar nicht einlösen können, der aber rebellisch klingt, ohne daß es den Etablierten möglich ist, ihnen dafür — wie bei linken und rechten Protestparteien — das Etikett des Extremismus anzukleben. Warum halten Sie die Freien Wähler als Anti-Parteien-Partei für unglaubwürdig? Oberreuter: Zum Beispiel, weil sie auf Landesebene nicht über einen handlungsfähigen Apparat und einen Unterbau verfügen. Und den werden sie auch nicht entwickeln können, wenn sie konsequent bei ihrem Anti-Parteien-Prinzip bleiben sollten. Wer aber im Landtag ernsthaft und dauerhaft Politik mitgestalten will, der muß erstmal Partei werden. Denn im Gegensatz zum Gemeinderat oder Kreistag sind Landtage und Bundestag Parteienparlamente. Denn: Unser Regierungssystem braucht auf dieser Ebene Parteien, um eindeutige, verläßliche und strategische Mehrheiten herzustellen, ohne die das System nicht funktioniert. Warum haben die Freien Wähler dann dennoch einen solchen Erfolg? Oberreuter: Weil die etablierten Parteien an Integrationskraft verlieren. In den siebziger Jahren konnten sie noch gut neunzig Prozent der Wähler hinter sich versammeln, heute sind es gerade noch siebzig Prozent. Auch dahinter steht natürlich die Individualisierung der Gesellschaft. Wenn sich die Freien Wähler jedoch, wie ich vermute, als nicht zu einer koordinierten Politik in der Lage erweisen werden, dann werden sie Episode bleiben. Auch die FDP feiert mit acht Prozent einen überraschenden Erfolg. Sind die Bayern plötzlich liberal geworden? Oberreuter: Nein, auch ihr Erfolg ist Ausdruck von Protest gegen CSU-Entscheidungen. Der Trend geht derzeit hin zum Protest ohne „Radikalisierung“. Ergebnis: der Einzug von FDP und Freien Wählern in den Landtag. Eine Ursache, zwei Ergebnisse.   Prof. Dr. Heinrich Oberreuter ist Direktor der Akademie für Politische Bildung in Tutzing und bekannt als Gastkommentator in Presse, Funk und Fernsehen. Regelmäßig kommentierte er zeitweilig im Bayerischen Rundfunk und im Rheinischen Merkur. Außerdem lehrt der 1942 geborene Breslauer Politologie an der Universität Passau und ist Mitherausgeber der Zeitschrift für Politik.   Akademie für Politische Bildung Tutzing: Die Akademie (www.apb-tutzing.de) wurde 1957 als Anstalt des Öffentlichen Rechts gegründet. Damit schuf sich der Freistaat Bayern eine eigene Einrichtung zur Weiterbildung und Erforschung politikwissenschaftlicher Themen. Alle sechs Jahre wird der Direktor vom bayerischen Ministerpräsidenten neu ernannt. Heinrich Oberreuter hat das Amt seit 1993 inne.   Christlich-Soziale Union: Die CSU wurde als Landespartei 1946 gegründet. Erster Vorsitzender war Josef Müller, genannt „Ochsensepp“, vormals Mitglied der Bayerischen Volkspartei (BVP) und wegen Beteiligung am katholischen Widerstand gegen Hitler von 1943 bis 1945 im KZ Dachau interniert. Zwar errang die CSU 1946 mit 52 Prozent auf Anhieb die absolute Mehrheit im Land, doch bereits 1950 fiel sie durch  Konkurrenz der Bayernpartei (BP) auf 27 Prozent ab. 1954 mußte sie trotz Steigerung auf 38 Prozent gar in die Opposition — gegen eine Koalition aus SPD, BP, FDP und BHE. Erst 1962 errang sie endlich wieder die absolute Mehrheit, die sie nun am 28. September 2008 erneut verloren hat.

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