Ist dies der gefährlichste Mann Europas?“ titelte am 25. November 1998 die britische Sun, und warnte: „Oskar Lafontaine stellt die größte Bedrohung für die britische Lebensart seit 1945 dar.“ Kaum fünf Monate im Amt, am 11. März 1999 erklärte der damalige SPD-Chef und Bundesfinanzminister seinen Rücktritt von allen Ämtern. Und nicht nur die britische Hochfinanz atmete auf: Lafontaine konnte seine neokeynesianischen – nach Pariser Vorbild gestalteten – Wirtschaftskonzepte nicht gegen die geballte Medienmacht und deren damaligen Liebling, den Bundeskanzler, durchsetzen. Gerhard Schröder ist inzwischen ebenfalls vom SPD-Vorsitz zurückgetreten – und Kanzler auf Abruf. Jetzt oder nie, scheint sich der 61jährige Saarländer daher gedacht haben: Der Bild-Zeitungskolumnist machte seine mehrfach verkündete Drohung wahr, trat aus der SPD aus und erklärte, als Spitzenkandidat für ein eventuelles Bündnis aus PDS und Wahlalternative (WASG) antreten zu wollen. Mit dem Linkspopulisten als Aushängeschild und Hartz-IV-Frust im Volk dürfte der Einzug in den Bundestag kein Problem sein. Was bewegt den einstigen Internatsschüler des Bischöflichen Konvikts in Prüm/Eifel, nun sogar mit leibhaftigen Kommunisten gemeinsame Sache zu machen? Daß der Bäckerssohn, dessen Vater kurz vor Kriegsende fiel, allem Militärischen und der Nato ablehnend gegenüberstand, läßt sich nachvollziehen. Daß er als Physiker und Politiker eines Steinkohlelandes die Kernkraft ablehnte, auch. Daß er 1989/90 über „nationale Besoffenheit“ höhnte und ihm Paris näher lag als Leipzig, er gegen Über- und danach Spätaussiedler agitierte, ist wohl aus seinem deutsch-französischen Stammbaum zumindest erklärbar. Daß Lafontaine für das Lager der EU-Verfassungsgegner in Paris eine Wahlkampfrede hielt und dabei die kulturelle Vorherrschaft der USA als „fast kulturimperialistisch“ geißelte und für ein „soziales Europa“ warb, während Schröder in Toulouse für ein Ja der Franzosen auftrat, symbolisiert gleichfalls den „roten Faden“ in seinem politischen Weg: Sein „Herz schlägt links“ (so sein Buch von 1999) – genauer: linksrheinisch. Manchmal erscheint er gar wie ein französischer Sozialist mit deutschem Paß. So läßt sich verstehen, daß er als saarländischer Ministerpräsident einen „Leibkoch“ hatte und trotz mutmaßlicher Bimbes- und Rotlicht-Affären absolute SPD-Mehrheiten im Saarland holte wo er häufig wie ein Volkstribun gefeiert wurde. Seine Beamtenschelte („Sesselfurzer“) oder sein Ja zur Einschränkung des Asylrechts im Grundgesetz kam nicht nur bei „seinen“ Saarländern, sondern auch potentiell „rechten“ Protestwählern an. In Paris würde Lafontaine sicherlich immer noch zu den sozialistischen Spitzenpolitikern zählen. Ab Oktober könnte er zumindest wieder im Berliner Reichstag für Wirbel sorgen – wenn durch seine „Mithilfe“ dann ein Sechs-Parteien-Bundestag eine große Koalition „unausweichlich“ machen würde.