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„Ein ganz außergewöhnlicher Mann“

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„Ein ganz außergewöhnlicher Mann“

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Herr Spruyt, wie sähen heute die Niederlande aus, wenn Pim Fortuyn am 6. Mai 2002 nicht vom holländischen Linksextremisten Volkert van der Graaf ermordet worden wäre? Spruyt: Pim Fortuyn hätte wohl nicht nur die Parlamentswahl wenige Tage später haushoch gewonnen, sondern seine Partei, die Liste-Pim-Fortuyn (LPF), hätte demzufolge auch die Regierung gestellt. Pim wäre heute wohl Ministerpräsident der Niederlande. Statt dessen ist die Koalition aus LPF – die selbst bei den Wahlen nur noch einen Achtungserfolg erringen konnte -, christdemokratischem CDA und rechtsliberalem VVD bald wieder zerfallen. Bei den Neuwahlen im Januar 2003 schrumpfte die LPF um zwei Drittel auf gut 5 Prozent, legten die Sozialdemokraten und Sozialisten wieder gewaltig zu und wurde die vormalige Regierungspartei CDA erneut stärkste Kraft. Also hat der Mord nicht nur Pim Fortuyn, sondern auch dessen politisches Werk ausgelöscht? Spruyt: Nein, denn das politische Klima in den Niederlanden ist durch ihn „fortuynisiert“ worden und mit ihm mehr oder weniger auch unsere politischen Parteien. Pim hat etwas wachgerufen: Das Programm der Koalition nach der Wahl im Mai 2002 war mit einem rechts-konservativen Profil stark geprägt von seinem politischen Wollen. Diese Koalition gibt es aber nicht mehr. Spruyt: Ja, aber bedenken Sie zum Beispiel das weitgehende Zerbrechen des politisch-korrekten Denkens in den Niederlanden. Heute hat die Politik nicht mehr die Möglichkeit, gewisse Themen zu tabuisieren. Außerdem sind heute alle großen Parteien gezwungen, von sich aus deutlich zu machen, wie sie unsere Identität als Niederländer definieren und das zu benennen, was wir als Nation verteidigen wollen. Also wäre Pim Fortuyn heute doch politisch überflüssig? Spruyt: Nein, denn obwohl dieser Prozeß die Niederlande in ihren Grundfesten erschüttert hat, ist der allgemeine Wandel des Klimas doch nicht das gleiche, wie aktive fortuynistische Politik in Regierungsverantwortung zu gestalten. Darauf besteht angesichts des Schrumpfens der Orientierungslosigkeit und der Zerstrittenheit der LPF heute kaum noch Aussicht? Spruyt: Zwar wird es von nun an rechts neben der VVD dauerhaft eine politische Position geben, doch mit mehr als fünf bis zehn Sitzen wird die LPF nicht rechnen können. Doch die Partei ist nur formal Pims politischer Erbe. Sein intellektuelles Erbe dagegen wird wohl in den konservativen Kreisen der Niederlande bewahrt werden. So mancher Konservative versteht Fortuyns Anliegen besser als er selbst. Zum Beispiel? Spruyt: Der CDA hat erst jüngst ein sehr einleuchtendes Dossier über die Irrwege der multikulturellen Gesellschaft zusammengestellt. Dort wird klar, daß die Kernwerte unserer Geschichte und unserer Gesellschaft nicht zur Disposition gestellt werden dürfen, daß hier die Toleranz enden muß. Das ist kein Konzept, um Menschen auszuschließen. Im Gegenteil, dieses Konzept ermöglicht erst Integration, indem es den inneren Wert einer Gemeinschaft definiert, der sie erst zur Gemeinschaft macht. Aber es ist ein Konzept gegen den Multikulturalismus und gegen alles Fremde, das sich feindlich verhält und auf falschverstandene Toleranz spekuliert. Ohne Pim Fortuyn wäre die Erarbeitung solcher Konzepte im CDA heute nicht möglich. Aber auch die VVD hat Teile der fortuynschen Inhalte übernommen, wie zum Beispiel die Rechtssicherheit der Bürger im Sinne einer forcierten Inneren Sicherheit. Ist das nicht nur Kosmetik? Spruyt: Das glaube ich nicht, dazu ist der Einschnitt zu tief, die Veränderung des Klimas zu fundamental. Ich glaube, würde sich Pim Fortuyn heute in den Niederlanden umschauen, wäre er doch ein Stück zufriedener als damals. Pim würde sehen, daß seine Bücher, seine Arbeit, selbst sein Tod nicht umsonst waren. Sie haben ihn persönlich gekannt? Spruyt: Eine Woche vor seinem Tod habe ich ihn das letzte Mal zu Hause besucht, danach noch einige Male mit ihm telefoniert. Er hatte damals schon ein Gefühl geäußert, seine politische Mission nicht zu überleben. Er wurde schließlich auch mehrfach konkret bedroht. Wieso hat er sich nicht geschützt? Spruyt: Das bleibt mir auch unverständlich. Sah er sich als eine Art Märtyrer der Demokratie, der für die Freiheit fällt, wenn das Schicksal es fordert? Spruyt: Ich weiß es nicht, er war einfach ein ungewöhnlicher Mann. Sehen Sie, am Ende seines Buches „Die verwaiste Gesellschaft“ ist von Moses die Rede, der sein Volk durch die Wüste ins gelobte Land führt, es selbst aber nie lebend erreicht hat. Vielleicht ist das ein Schlüssel zu dem Licht, in dem er sich selbst sah. Das mag megaloman gewesen sein, aber ich halte es für möglich, daß er sich in messianischen Kategorien gesehen hat. Der flämische Journalist Hugo Camps hat ihn in seinem Selbstverständnis als „Kulturträger einer Geistesmarke ‚Niederlande'“ beschrieben. Spruyt: Das war seine große Idee. Es ging ihm darum, die Niederländer zu sich selbst zu führen. Und das in mehrfacher Hinsicht. Erstens, sollten sie wieder zu ihrer eigenen Geschichte und Tradition finden. Denn er liebte die Geschichte der Niederlande. Zweitens, sollten die Bürger, die längst die Demokratie aus der Hand und an die Politiker ausgeliefert hatten, diese wieder zurückerobern. Pim sagte einmal: „Wir haben eine schlechte Regierung, aber wir haben auch schlechte Bürger.“ Wie wahr! Das Volk hatte seine Verantwortung an den Staat übertragen und damit aus Bequemlichkeit seine Souveränität abgegeben. Pim war kein Politiker, sondern immer ein Bürger, auch als er schließlich Politik machte. Ihn trennte die innere Hingabe an die Dinge, für die er Politik machte, von den herkömmlichen Politikern, die Politik machen, weil sie ein Karriereziel verfolgen. Er hatte sicher auch seine Schattenseiten, aber er handelte aus Sorge darum, daß wir eines Tages alles verlieren würden, was wir lieben, wenn wir einfach so weitermachen wie bisher. War er demzufolge ein Konservativer? Spruyt: Ganz sicher war er auch ein Konservativer. Das Bemühen, die Identität der Gesellschaft zu bewahren, die durch den ihm verhaßten Relativismus – den er als eine geistige Form von Aids betrachtete – bedroht war, ist ein typisch konservativer Wesenszug. Andererseits lehnte er den Begriff in der politischen Debatte ab, da es den Linken damals gelungen war, „Konservativer“ gefühlsmäßig etwa mit „Reaktionär“ gleichzusetzen. Pim war aber gerade auf die klassische Modernität der Niederlande mit ihrer geistigen Aufgeschlossenheit, ihrer sozialen Fürsorglichkeit und ihrer liberalen Bürgerfreiheit so ausgesprochen stolz. Er sah den Sinn der niederländischen Geschichte darin, daß wir eine Entwicklung hin zu einem modernen liberalen Gemeinwesen durchgemacht haben, nun aber sollte dieses Erreichte – konservativ – bewahrt werden. Haben die Niederländer diese Botschaft des Bürgers Fortuyn denn verstanden, oder beschränken sich alle Veränderungen nur auf die Ebene des Politischen? Spruyt: Die Debatte um unsere Normen und Werte des vergangenen Jahres wurde durchaus breit geführt: Was hält uns als nationale Gemeinschaft überhaupt noch zusammen? Allmählich dringt die Notwendigkeit ins allgemeine Bewußtsein, daß wir unsere niederländische Identität definieren müssen, um deutlich zu machen, was wir von Ausländern inhaltlich erwarten, wenn sie Teil unserer Gesellschaft werden wollen. Warum haben dann nach der Neuwahl im Januar die Sozialdemokraten und die Sozialisten so zugelegt? Diese Zugewinne für die multikulturalistischen Parteien zeugen nicht von der Dauerhaftigkeit der fortuynschen Idee. Spruyt: Viele Niederländer, vor allem in den sozialen Problemgebieten, hatten gehofft, die LPF würde ihre Probleme lösen. Doch nach Pims Tod und dem traurigen Bild, daß seine Partei danach geboten hat, haben sie sich mit ihrem sozialen Anliegen zurück zu den Sozialdemokraten und Sozialisten mit ihrem Linkspopulisten Jan Marijnissen geflüchtet. Wie haben Sie selbst Pim Fortuyns Tod empfunden? Spruyt: Nun, Entsetzen, … schließlich Wut. Es blieb lange Zeit einfach unfaßbar. Dann wechselten Trauer und Zorn sich ab und das verpflichtende Gefühl, sein Vermächtnis zu wahren, stellte sich ein. Heute ist der 6. Mai, und der Fall Pim Fortuyn wird heute abend alle Fernsehkanäle füllen, wie er heute morgen alle wichtigen Zeitungen gefüllt hat. Er fehlt uns. Sehen Sie eine politische Verantwortung für diesen Mord? Spruyt: Aber sicher, eindeutig haben linke Politiker und die Medien, die fast alle links sind, mit ihrer Dämonisierung Pims ein Klima geschaffen, in dem sich der Attentäter aufgefordert fühlen konnte, zu handeln. Welche Konsequenzen haben die politisch Verantwortlichen gezogen? Spruyt: Keine, ihren Anteil an der Schuld verdrängen sie konsequent. Der damalige Sprecher der LPF, Mat Herben, sagte am Abend des 6. Mai 2002: „Diese Kugel kam von links“. Spruyt: Und wurde dafür heftig angegriffen, obwohl das natürlich zutrifft, wie wir heute wissen. Dennoch verweigert sich die Linke weiterhin jeder Reflexion über ihre Verantwortung. Pim Fortuyn stand kurz vor einem Wahlsieg, der die politischen Verhältnisse verändert hätte. Hat der Mord also nicht auch eine politische Dimension? Spruyt: Das ist der Punkt! Hier ist nicht nur ein Mensch getötet, sondern auch Demokratie zerstört worden. Die Linke und der größte Teil des Establishments tun weiterhin so, als handle es sich nur um eine tragische Privatangelegenheit: Ein Mann hat einen anderen erschossen – so einfach ist das. Daß das allerdings die Methode in einer Bananenrepublik ist, wird wohlweislich übersehen. Mit dem Mord wurde am demokratischen System vorbei Politik gemacht, und das sollte für jeden echten Demokraten eigentlich unerträglich sein. Doch der Einfachheit halber läßt man das einfach außer Betracht. Empfinden Sie diese Menschen als Heuchler? Spruyt: Ich empfinde all jene linken Politiker, die nicht bereit sind, Verantwortung für das zu übernehmen, was passiert ist, und die zudem vielleicht auch noch froh sind, daß die Geschichte Pim Fortuyns und seiner Partei damit ein Ende hat, als unverantwortlich. Hatte Pim Fortuyn auch eine europäische Bedeutung? Spruyt: Er unterschied sich ganz grundlegend von den anderen europäischen Rechtspolitikern wie Jean-Marie Le Pen oder Jörg Haider. Doch das hat der größte Teil von Rundfunk und Presse in unseren europäischen Nachbarländern schlicht ignoriert. Dort war Pim Fortuyn einfach „der Rechtspopulist“, sozusagen ein „holländischer Haider“. Wie sollte er angesichts solcher Desinformation außerhalb der Niederlande Bedeutung erlangen? Haider ist dies gelungen. Spruyt: Der verfolgte auch eine andere Politik. Nämlich? Spruyt: Anders als andere europäische Rechtspolitiker betrachtete Pim Fortuyn Ausländer nicht als Problem an sich, sondern er stellte ein kulturelles Problem fest, das die Quelle aller anderen Problem mit gewissen Ausländern darstellt. Er wollte – und das traute sich bis zu seinem Aktivwerden in der Politik niemand – über dieses Problem diskutieren und sich dabei nicht über den Tisch ziehen lassen. Aber wenn es gelingt, diese Probleme im Sinne einer Bewahrung der Niederlande auszuräumen, dann sollten auch integrationswillige Ausländer in den Niederlanden willkommen sein. Pim Fortuyn verfolgte also eine positive Vision, anders als andere Rechtspolitiker, die einfach mit der klassischen politischen Methode, politische Interessen zu vertreten, operieren. Haider der Polarisierer … Spruyt: … und Fortuyn, der zwar meisterlich provozieren konnte, aber am Ende alle versöhnen wollte. Pim Fortuyn, ermordet am 6. Mai 2002 vom holländischen Linksextremisten Volkert van der Graaf:
„Er konnte Polemik zur Kunst erheben. Getragen war er von einer Überzeugung, von einem Neonationalismus, der ihm allein gehörte, von einer halbreligiösen Berufung: Rebel with a cause. Seine Revolte war in ihrem ganzen Dadaismus geradeaus und gelebt. Zweifeln war nicht erlaubt. Pim Fortuyn wollte ein moderner Populist werden. Eigentlich war er ein altmodischer Patriot. Kein Blut-und-Boden-Held, sondern mehr der Kulturträger einer Geistesmarke: die „Niederlande“. Der Bürger sollte entkolonisiert und das Land zurückerobert, die Erstarrung des institutionellen und ritualisierten Gemeinwesens geknackt werden. Er wollte wieder fröhliche Bürger am Horizont. Bürger, die Theater machen können. Bürger mit einer großen Schnauze.“ Foto: Der linksliberale Journalist Hugo Camps in der flämischen Tageszeitung „De Morgen“, Mai 2002 Bart Jan Spruyt ist Direktor der „Edmund-Burke-Stiftung“ in Den Haag. Die Stiftung, erst 2000 gegründet, ist der einzige konservative Think Tank Hollands. Spruyt, der Pim Fortuyn persönlich kannte, studierte Geschichte und war dann als politischer Journalist für verschiedene holländische Zeitungen tätig. Inzwischen ist der Buchautor auch als regelmäßiger Kommentator in Radio und Fernsehen bekannt. Geboren wurde er 1964 in Rotterdam. weitere Interview-Partner der JF

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