Horst Köhler weiß, was er seinem Amt als höchster Repräsentant unserer Demokratie schuldig ist. Der neuerlichen Welle neiderfüllter Verunglimpfungen, die die gewählten Abgeordneten des deutschen Volkes über sich ergehen lassen müssen, tritt er unerschrocken entgegen. Politiker sind keine „Raffkes“, sagt er, jedenfalls nicht alle. Ihm ist, so darf unterstellt werden, bewußt, daß es hier keineswegs bloß um eine Stilfrage geht. Die Bürger haben nicht das Recht, den Unmut, den sie über die zumeist bescheidenen Perspektiven ihres Lebens empfinden mögen, an den Politikern abzureagieren. Diese sind keine Dienstleistungsunternehmen, an die man im dreisten Gefühl der Konsumentenwillkür beliebige Forderungen stellen dürfte. Ohne einen gewissen Respekt vor den Volksvertretern droht, auch wenn die Lippenbekenntnisse der Politikerverächter oft gegenteiliges verlauten, die parlamentarische Demokratie insgesamt beschädigt zu werden. Die Verteidigungsstrategie, die Bundestagspräsident Wolfgang Thierse verfolgt, ist daher unzureichend. Es ist nicht damit getan, darauf hinzuweisen, daß Abgeordnete das selbstverständliche Recht haben, die Höhe ihrer Nebenverdienste zu verschweigen, weil ein Großteil „der Manager, Unternehmer oder Chefredakteure“ seine Einkünfte ja ebenfalls nicht offenlegt. Auch die Bemerkung, daß Abgeordnete ihre berufliche Verwurzelung nicht aufgeben sollten, mag zwar im Kern durchaus zutreffend sein – schließlich können Parlamentarier im Prinzip ja durchaus abgewählt werden und sind leichter in das normale Arbeitsleben zu reintegrieren, wenn sie zu diesem nicht ganz den Anschluß verloren haben. Derartige Sachargumente stoßen aber in dieser Öffentlichkeit, wie sich in der Bundesrepublik in den vergangenen Jahren herausgebildet hat, auf taube Ohren. Sie hört nur zu, wenn man die Schelte erwidert und das Standvermögen hat, die Grundsätze des bürgerlichen Parlamentarismus offensiv zu vertreten. Und zu diesen gehört nun einmal die Möglichkeit, durch Geld Entscheidungsprozesse zu beeinflussen und auf diese Weise die durch ein egalitäres und daher illiberales Wahlrecht verursachte falsche Abbildung der auf Reichtum gründenden gesellschaftlichen Machtverhältnisse zu korrigieren. In den Anfangstagen der Demokratie hat der Wähler durch das ehrwürdige Prinzip des Stimmenkaufs sogar selber etwas davon gehabt. Da er aber sein Kreuzchen alsbald unter Ausschluß der Öffentlichkeit setzte und man sich im Zuge der Erosion klassischer Ehrbegriffe nicht mehr auf seinen Eid, gleichwohl richtig gewählt zu haben, verlassen mochte, mußte man dazu übergehen, sich statt seiner der von ihm erkorenen Repräsentanten durch Zuwendungen zu versichern. Diese Praxis hat sich bewährt, und es ist daher kein Zufall, daß sie auch von den jungen Demokratien des Ostens aufgegriffen wurde. Viele haben sie diffamiert. Eine Alternative, die nicht jenseits unserer Ordnung läge, hat aber noch niemand aufgezeigt.