Oskar Lafontaine gilt in der SPD als eine persona non grata. Die Politik, für die er steht, ist aber nur scheinbar vergessen. Offiziell spielen die rot-grünen Koalitionäre zwar die Rolle des bekehrten Eiferers, der den neuen Glauben an die sakrosankten Prinzipien der Freien Marktwirtschaft zäh verteidigt. Mit Pathos und Fanatismus geben sie vor, der Versuchung zu entsagen, die Wirtschaft durch ein ausgabenfinanziertes Konjunkturprogramm ankurbeln zu wollen. Insgeheim, in Nischen, die sie dem öffentlichen Einblick zu entziehen trachten, halten sie sich jedoch genau diese Option offen. Eine dieser Nischen wurde nun aufgedeckt, und die in ihr wirkende Branche ist darüber leider ins Gerede geraten. Seit 1999 soll die Bundesregierung, wie Recherchen der Opposition ergaben, 169 Millionen Euro für Beratungen aller Art ausgegeben haben. Man darf vermuten, daß sich noch ein deutlich höherer Betrag herausstellen wird, wenn erst der Regierungsapparat in all seinen Verästlungen durchleuchtet ist. Inwieweit der Einkauf dieser Dienstleistungen notwendig war, um die Modernisierung des Staates auf den Weg zu bringen, läßt sich derzeit nicht fair beurteilen. Da die Reformen bislang weder greifen noch der Bevölkerung vermittelbar sind, ist zugegebenermaßen ein wenig erfreuliches Fazit zu befürchten. Möglicherweise ist durch die Beratungen aber ein noch größerer Schaden abgewendet worden, oder sie haben die Tätigkeit des Staates in Bereichen optimiert, in denen er nur mit sich selbst und nicht mit den Bürgern zu tun hat. Man sollte also vorschnell weder über denen den Stab brechen, die den Rat gaben, noch über jenen, die ihn bisweilen sogar teuer bezahlten. Mehr noch: Man sollte sich hier – wie auch in vielen anderen Fällen – davor hüten, bloß den unmittelbaren Nutzen zu betrachten, den staatliche Ausgaben bewirken. Man sollte sich vielmehr fragen, ob nicht durch öffentliche Aufträge einer gefährdeten Branche die Chance geboten wurde, sich eine bessere Zukunft zu erschließen – mit allen Folgen, die so etwas für Gewinnwachstum und Beschäftigung hin und wieder zeitigen kann. Noch vor wenigen Jahren sahen sich viele Beratungsgesellschaften in der Krise. Vielen Young Professionals, die mit brillanten Studienabschlüssen auf den Markt drängten, schien die Perspektive verbaut, ein ihrem anspruchsvollen Selbstbild gemäßes Berufsleben mit wechselnden Aufgabenstellungen und ohne den Ennui kontinuierlicher Führungsverantwortung zu leben. Nun können sie aufatmen. Sie haben sich mit dem öffentlichen Sektor einen Wachstumsmarkt erschlossen – und pflegeleichte Kunden, die ihre Expertise nicht ständig in Frage stellen, zudem. Private Unternehmen wissen, daß sie professionellen Rat nur ausnahmsweise benötigen und ihr Metier ansonsten beherrschen. Das Selbstvertrauen der Staatsdiener ist in einer etablierten Marktwirtschaft hingegen strukturell unterentwickelt. Sie haben gelernt, daß die Inkompetenz bei ihnen zu Hause ist.