In Deutschland haben wir uns daran gewöhnt, daß Ergebnisse von schulischem Lernen mit Zensuren bewertet werden. Was aber eine fast gleich lange Tradition wie die Ziffernzensierung aufweist, ist die pädagogische Diagnostik, daß heißt die wissenschaftliche Erfassung von Lernergebnissen und Lernverläufen. Es gibt eine beträchtliche Menge von empirischen Untersuchungen, die allesamt das Gleiche belegen: die Zensierung von Schülerleistungen ist längst nicht so genau und auch nicht so zutreffend, wie es die Lehrer selbst und die Abnehmer der Zensuren, daß heißt die Schüler, die Eltern oder die Personalfachleute glauben. Für den einzelnen Schüler ist jede Zensur eine ziemlich ungenaue Schätzung seiner Leistung, und es wäre ein großer Fortschritt, wenn diese unvermeidliche Ungenauigkeit der Lehrerbeurteilung auch mitgeteilt würde. Dann aber würde etwas enden, was man als das stillschweigende „so tun, als ob“ bezeichnen könnte. Wir alle tun so, als ob wir aus den individuellen Zensuren, die wir oder unsere Kinder oder Bewerber erhalten, hinreichende Information über deren Wissen und Fähigkeiten erhalten. Das ist bekanntermaßen nicht der Fall und kann nur in Grenzen durch verbesserte Lerndiagnostik verändert werden. Der andere Teil der Wahrheit ist gleichfalls unbequem: Um den Informationsgehalt von Zensuren hinreichend verstehen und nutzen zu können, muß halt mehr als die Zensuren mitgeteilt werden. Und das geht nicht anders als durch verbale Beschreibungen – der Lerninhalte und Lernziele, des Lernverhaltens und der Lernfortschritte sowie der Lernschwierigkeiten. Deshalb sollte der erste Schritt darin bestehen, diese verbalen Leistungsbeschreibungen zu geben, die – wenn man sich denn gern weiterhin täuschen möchte – durch Zensuren ergänzt werden können. Prof. Dr. Karl-Heinz Arnold ist Leiter des Institutes für Angewandte Erziehungswissenschaft und Allgemeine Didaktik an der Universität Hildesheim. Aufregung im Land der Dichter und Denker. Per PISA X ist festgestellt, in den Schulnoten sei der Wurm drin. Alle Empörungspolitiker auf Sendung. Notenungerechtigkeit ist nämlich unzumutbar. Das muss geregelt werden. Mehrere hunderttausend Lehrer, eigenständige Personen, dem Chaos Tür und Tor geöffnet. Unfaßbar! Wegen Sozialgerechtigkeit, Gerechtigkeitsgerechtigkeit: Alle sollen die gleiche Chance haben, Bundespräsident zu werden. Reformstau für 100 Jahre! Das gibt ganz viele 1a abgesicherte Arbeitsplätze beim Staat. Es wiehern Amtsschimmel, daß Fenster scheppern. Generationen regierender Damen und Herren haben Gelegenheit feierliche Regierungserklärungen vom Stapel zu lassen; Generationen opponierender Damen und Herren, können Regierenden Totalversagen vorwerfen. Notengerechtigkeit ist gut fürs Sozialprodukt, laßt uns in die Hände spucken. Legionen sind beschäftigt: Regierungs-Werbeleute haben Aufträge; Christiansen hat ein Thema; auch Bundespräsident Rau hat Grund zu tiefer Sorge. Noten abschaffen? Auf keinen Fall. Ich lerne: Was ist mein Fortschritt? Du lernst: Es fragen besorgt die Eltern. Wir lernen: Was können die Schüler-Kollegen? Ihr lernt: Aber ich will wissen, ob meine Arbeit fortschreitet. Das war es dann. Bundesweite Vergleichbarkeit? Vollkokolores. Im besten Fall, Sozialismus pur. Warum sollen Schüler aus Unter- und Kleinkleckersdorf für gleiche Leistung in Deutsch die gleiche Note bekommen? Damit sie bei der Bewerbung um die Position als Inspektor in Großkleckersdorf die gleiche Chance haben? Legt der einstellende Personalreferent Zeugnisse akkurat nebeneinander und entscheidet gegen den im Gespräch gewonnenen Eindruck? Möglich, daß es Leute gibt, die dies so sehen. Gegen Ahnungslosigkeit ist eben kein Kraut gewachsen. Und was ist übrigens gleiche Leistung? Die Bildungsstandards! Ach, so … Dr. Bernardo Trier ist Leiter des Arbeitskreises Grundsätze und Liberalismus der Kölner FDP und war 2002 Bundestagskandidat.