In totalitären Systemen mag ein Gefangenenlager ein rechtsfreier Raum sein, in einer Demokratie geht das nicht. Das ist im Klartext die Botschaft des Obersten Gerichtshofs der USA an die Bush-Regierung. Für eines der Lieblingsprojekte von US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, den Quasi-Gulag für echte und falsche Terrorverdächtige in Guantánamo auf Kuba, dürften damit die Tage gezählt sein. Die Vollmacht des Kongresses, „alle notwendigen Maßnahmen“ im Kampf gegen den Terror zu ergreifen, war eben nicht als Ermächtigungsgesetz gemeint, das Verdächtige und Verhaftete zu Rechtlosen macht. Die kolonialistische Spitzfindigkeit, auf dem Marinestützpunkt seien US-Gerichte nicht zuständig, weil Guantánamo schließlich in Kuba liege, haben die Richter nicht gelten lassen. Die 600 Häftlinge aus 42 Ländern, die dort seit Jahren ohne Anklage oder Begründung festgehalten werden, dürfen also vor US-Gerichten gegen ihre Behandlung klagen. Das wird noch peinlich für die Bush-Krieger – schließlich verdanken nicht wenige der Gefangenen ihr Schicksal allein einer seinerzeit in Afghanistan gezahlten Kopfprämie. Dem ramponierten Ansehen der USA als Rechtsstaat tut dieses Urteil gut. Daß die peinliche Pleite vor dem obersten Gerichtshof den Schwarz-Weiß-Denker im Weißen Haus und seinen für totalitäre Lösungen anfälligen Pentagon-Chef zur Räson bringen wird, ist indes kaum zu erwarten. Wollte George W. Bush seinem Land etwas wirklich Gutes tun, er müßte nach dieser Blamage Rumsfeld feuern und selbst zurücktreten. Als Demokratiebringer sind die beiden denkbar ungeeignet.