Der Siemens-Konzern droht seiner Belegschaft offen und ehrlich mit der Verlagerung von 2.500 Arbeitsplätzen in Niedriglohnländer, sofern sie die Rückkehr zur 40-Stunden-Woche und eine Kürzung des Urlaubs- und des Weihnachtsgeldes nicht akzeptiert. Der Bekleidungshersteller Steilmann will in Zukunft in Rumänien statt in Cottbus produzieren. Pfaff schließt die Nähmaschinenfabrikation in Kaiserslautern, um sie in Zukunft in China zu betreiben. Die in Deutschland tätigen Unternehmen setzen sich, das zeigen diese Beispiele, entschlossen gegen den Reformstau zur Wehr. Sie wollen das Schicksal ihrer zukünftigen Erträge nicht in die Hände von gewissenlosen Politikern legen, die notwendige Veränderungen bloß zerreden und im demokratischen Hickhack wechselseitig blockieren, statt ihre Unpopularität endlich auch für eine unpopuläre Politik zu nutzen. Sie wollen im übrigen nicht länger einer nur auf den eigenen Vorteil bedachten und von Neidgefühlen zerfressenen Arbeitsbevölkerung zum Munde reden, bloß damit diese über allen Zukunftsängsten nicht den Kopf verliert. Wenn die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes zu zwei Dritteln die Einsicht in überfällige Reformen verweigern, weil diese vielleicht tatsächlich die Reichen reicher und die nicht so Reichen ärmer machen würden, haben sie das Wohlwollen der Wirtschaft zu Recht verspielt und verdienen keine weitere Schonung. Man wird sicherlich nicht behaupten können, daß Siemens, Steilmann und Pfaff ihre Entscheidungen vor dem Hintergrund der jüngsten Provokationen des Bundeskanzlers und des neuen SPD-Generalsekretärs getroffen hätten. Unternehmen pflegen nicht im Affekt zu handeln. Sie verstehen es aber, unmißverständliche Konsequenzen zu ziehen, wenn sie den Eindruck gewinnen müssen, daß die Politik ihnen den Konsens aufkündigt. Genau dies aber haben Gerhard Schröder und Klaus Uwe Benneter getan. Ihr Vorwurf, „deutsche“ Unternehmen handelten unpatriotisch, wenn sie Arbeitsplätze ins „Ausland“ verlagern, signalisierte in alarmierender Weise einen markanten Kurswechsel: Statt wie bisher gemeinsam mit der Wirtschaft zu überlegen, wie man eine unwillige Bevölkerung dazu bringen kann, die Last der Reformen zu tragen und drastische Wohlstandseinbußen hinzunehmen, scheint die sozialdemokratische Führung plötzlich auf eine demagogische Stimmungsmache zu setzen, die ausgerechnet jene des Verrats am Gemeinwohl bezichtigt, denen aus ihrem Selbstverständnis heraus sowieso nicht an diesem gelegen sein kann. Mangelnder Patriotismus kann für Unternehmen – ob mit oder ohne Globalisierung – kein Vorwurf sein, so wie er eigentlich auch für Politiker mit der Prägung eines Schröders oder eines Benneters keiner sein dürfte. Entsolidarisierung zwischen Politik und Wirtschaft ist aber das, was wir jetzt am wenigsten gebrauchen können. Nur wenn beide am gleichen Strang ziehen, werden die Menschen erkennen können, daß jede Reformverweigerung zwecklos ist.