Für George W. Bush ist alles klar: „Amerika denkt, daß die Türkei als europäische Macht in die Europäische Union gehört“, sagte er auf einer Veranstaltung der Universität Istanbul am Rande der Nato-Tagung. Bushs Wunsch ist – aus seiner Perspektive – verständlich. Die USA möchten, daß die EU die Türkei politisch und wirtschaftlich stabilisiert. Eine stabile Türkei liegt auch im europäischen und deutschen Interesse. Doch darin erschöpft sich die transatlantische Schnittmenge bereits. Denn die Kosten und politischen Risiken dieser Operation trüge allein die EU. Wenn sie den Türken gestattet, ihr Gewicht und ihre Probleme in die Union heinzutragen, wird ihr innerer Zusammenhalt dramatisch abnehmen. Als außenpolitisches Subjekt wäre sie dann dauerhaft neutralisiert. Den USA, die die Entstehung machtpolitischer Konkurrenten verhindern wollen, kann das nur recht sein, nicht aber Europa. Trotzdem hat Kanzler Schröder George Bush sofort beigepflichtet und sich, wie CSU-Landesgruppenchef Michael Glos höhnte, „vor Servilität überschlagen“. Das ist um so merkwürdiger, weil die SPD bei den Europawahlen gerade eine vernichtende Niederlage einstecken mußte. Vielleicht hat der türkischstämmige Spitzenkandidat, der Reiseunternehmer Vural Öger, ihr nicht gerade geschadet – genutzt hat er ihr auf keinen Fall. Er hat zwar Stimmen aus dem Lager der eingebürgerten Türken geholt, dafür aber ist die Masse der traditionellen SPD-Wähler zu Hause geblieben. Das ist eine Warnung an alle deutschen Volksparteien, nicht zu vergessen, wem sie in der Hauptsache verpflichtet sind! Schröder beruft sich auf ein vor 41 Jahren gegebenes Beitrittsversprechen. Diese Begründung überzeugt nicht. Das Wiedervereinigungsgebot stand 40 Jahre lang im Grundgesetz, ohne daß er und seine politischen Freunde sich 1989 daran gebunden fühlten. Auch die Türken wissen, daß nicht alles, was auf diplomatischer Ebene gesagt und versprochen wird, wörtlich zu nehmen ist. Deutschland könnte sich darauf konzentrieren, der Türkei eine privilegierte Partnerschaft als die faktische Erfüllung dieses Versprechens schmackhaft zu machen. Doch solange Berlin ihr die Option auf die Vollmitgliedschaft offenhält, hat die Regierung in Ankara keinen Grund, sich mit weniger zufriedenzugeben. Das Argument Schröders, man dürfe die Türken nicht „enttäuschen“, ist überdies ein hübsch verlogenes, weil er gleichzeitig ihre Erwartungen hochschraubt. Die Türkei, so der Kanzler weiter, habe sich in den vergangenen Jahren sehr positiv entwickelt und trete mittlerweile „selbstbewußt, aber nicht überheblich“ auf dem internationalen Parkett auf. Da ist es wieder, das altbekannte, inhaltsleere Schröder-Geschwätz. Schröder taugt weder zum Analytiker noch zum politischen Strategen, doch in den letzten Monaten hatte es den Anschein, daß er sich auf eine seriöse Politik-Moderation konzentrieren würde. Warum dann dieser Rückfall? Auch er weiß ganz genau, daß ein türkischer EU-Beitritt für Deutschland unkontrollierbare Folgen hätte. Dieser steht auch im Widerspruch zum außenpolitischen Konzept Berlins, das auf die europäische Integration abzielt. Außenminister Joschka Fischer wird nicht müde zu betonen, daß sie für Deutschland lebenswichtig sei, weil nur sie verhindern könne, daß der für das europäische Gleichgewicht zu groß geratene deutsche Nationalstaat mit den Nachbarn wieder in Konflikt gerät. Es sei dahingestellt, ob Fischers Einschätzung richtig ist. Hier geht es darum, daß eine türkische EU-Mitgliedschaft eine Integration auf unabsehbare Zeit unmöglich macht. Eben darum sind Großbritannien, Italien und andere Länder, die einen engeren Zusammenschluß ablehnen, so vehement dafür. Natürlich würde die Türkei sich stets daran erinnern, daß es die USA waren, die ihr den Beitritt zum Europa-Klub ermöglicht und die Europäer ihn nur zähneknirschend hingenommen haben. Sie werden sich daher als Statthalter der US-Interessen erweisen. In seiner Begründungsnot hat Fischer vor einigen Monaten die „strategische Option“ nachgeschoben, die einer EU mit Außengrenzen bis zum Irak angeblich zuwachsen würde. Der Unsinn war so offensichtlich, daß er ihn seitdem nicht wiederholt hat. Weder partei- noch innen- oder außenpolitisch gibt es für die deutsche Regierung einen Grund, den Beitritt zu betreiben. Man wird das Gefühl nicht los, daß es in dieser Frage längst nicht mehr mit rechten Dingen zugeht. Ist der Druck aus den USA schon so übermächtig, daß dem Kanzler nichts anderes übrigbleibt, als nachzugeben? Ist die Aufnahme der Türkei der Preis, den Deutschland für seinen Anti-Bush-Wahlkampf 2002 zu zahlen hat? Droht den deutschen Firmen in Übersee im Verweigerungsfall eine Klagewelle? Müssen Politiker von Rot-Grün mit peinlichen Enthüllungen rechnen? Nur sehr naive Leute können schließlich glauben, daß die USA die von der DDR-Staatssicherheit angelegten Akten über westdeutsche Politiker, die sogenannten „Rosenholzdateien“, vollständig nach Deutschland zurückgeführt haben. Wo die Regierenden es nicht für nötig halten, Klarheit über ihre Grundsätze, Motive und Absichten zu schaffen, schießen Spekulationen ins Kraut. Das könnte die Stunde einer bissigen Opposition sein – wenn es sie denn gäbe.