Die Mai-Arbeitslosigkeit hat in diesem Jahr den höchsten Stand seit 1991 erreicht. Dennoch blieb ihr Ausmaß hinter den Erwartungen zurück. Gegenüber dem Vormonat waren sogar saisonbereinigt 4.000 Menschen weniger in den Kundenkarteien der Bundesanstalt für Arbeit registriert. Dies ist ein Phänomen, das man seit mehr als einem Jahr nicht mehr kannte. Arbeitsminister Wolfgang Clement bleibt trotz der überraschenden Zahlen bescheiden. Er schließt sich der von den meisten Konjunkturforschern schon seit Jahren vertretenen Auffassung an, daß eine Trendwende frühestens in einigen Monaten vielleicht erwartet werden darf. Anstaltsleiter Florian Gerster sieht denn auch den Grund für die günstige statistische Entwicklung weniger in einer Aufhellung der ökonomischen Perspektiven unseres Landes, sondern in einem effizienteren Management der Arbeitslosigkeitsverwaltung. Unterdessen wird nämlich stärker als zuvor darauf geachtet, daß Arbeitsuchende ihre Chancenlosigkeit tatsächlich durch eigene Initiative erfahren und nicht nur aus mangelnden Jobangeboten durch das Arbeitsamt folgern. Auf diese Weise soll zum einen verhindert werden, daß die Lethargie der Arbeitgeber und Investoren die beschäftigungslosen Massen ansteckt und damit möglicherweise ihren Druck auf jene, die noch in Lohn und Brot stehen, mindert. Zum anderen gilt es ganz pragmatisch, den Sozialstaat von Menschen ohne Hoffnung und Perspektive zu entlasten. Viele haben sich bereits abgemeldet und werden nun irgendwo im Dreieck zwischen Sozialhilfe, Familiensolidarität und Schattenwirtschaft ihr Glück machen. Anderen ist es vergönnt, von der Arbeitslosigkeit direkt in die Selbständigkeit zu geraten. Wenn sie, die bereits als abhängig Beschäftigte ihren Platz in der Gesellschaft nicht fanden, nun, wofür nicht bloß die Wahrscheinlichkeit spricht, gleichfalls als Unternehmer scheitern, werden auch sie sich keinen Illusionen mehr darüber hingeben, daß sie irgendwelche Ansprüche an die Solidargemeinschaft hätten. Clement untertreibt daher keineswegs, wenn er von einem „Silberstreif am Horizont“ redet. Seine Politik, auf falsche Versprechungen zu verzichten und statt dessen die Hausaufgaben zu erledigen, trägt erste Früchte. Die Bundesregierung kann nicht die Konjunktur, sondern allenfalls durch Erleichterungen die Stimmung der Arbeitgeber verbessern. Sie beschränkt sich somit darauf, auf der Grundlage eines fortdauernden Abbaus von Arbeitsplätzen dafür Sorge zu tragen, daß die dem Gemeinwesen aufgebürdeten Kosten der Beschäftigungslosigkeit vertretbar bleiben. Sollte ihr dies gelingen, spielt die Zeit für sie. Dank der Altersstruktur unserer Gesellschaft wird die Zahl jener, die netto aus dem Erwerbsleben ausscheiden, den Stellenabbau bald mehr als kompensieren. Der Arbeitsmarkt dürfte uns dann keine Sorgen mehr bereiten. Die Ernte einer perspektivisch angelegten Bevölkerungspolitik kann eingefahren werden.